Dienstag, 18. Februar 2020

Ih, wie unnatürlich!

Ih, wie unnatürlich!
Frühstück! Das bedeutet für mich Vollkornbrot, vegetabiler Aufstrich, knackiges Gemüse, dazu Tee und ein Glas Obstsaft, frisch aus dem Mixer, sowie eine Tablette Vitamin B12, ein paar Tropfen Vitamin D3 und eine Kapsel Selen. „Das ist doch keine natürliche Ernährung!“, höre ich dann, nachdem ich gefragt wurde, was ich so zum Frühstück esse. Häufig liegt mir dann die Gegenfrage auf der Zunge, wie natürlich eine Ernährung sein kann, die Milch von fremden Tiermüttern beinhaltet und Fleisch, das unsere Zähne gar nicht wirkungsvoll zerkleinern können, ohne es zuvor gebraten oder gekocht zu haben. Feuer zu machen, ist schließlich auch nicht natürlich. Es sei denn, man ist ein Drache, ein Magier oder ähnliches. Diskussionen, die ich so weiterführe, münden meistens in „Deine Mutter ist doof!“ und „Deine Mutter viel doofer!“, bis in dieser Art der Diskussion erfahrene Kindergartenkinder unter Einsatz von Sandschaufeln und Förmchen das Ganze gewaltsam, effektiv, aber gerechtfertigt beenden. 
Zurück zur Sachlichkeit! Was ist heute noch natürlich? Kann man in einer Welt, in der wir elektrisches Licht nutzen, um auch nach Einbruch der Dunkelheit noch aktiv sein zu können, in der wir in der Lage sind, binnen weniger Stunden so weit zu reisen, wie es der Neandertaler in Generationen nicht vermocht hätte, in der wir nach einem Unfall zusammengenäht werden oder gar Spenderorgane eingepflanzt bekommen und weiterleben können, obwohl die Natur einen anderen Fortgang für uns vorgesehen hatte, überhaupt noch Natürlichkeit für uns beanspruchen? 

Vitamin B 12 kommt nur in tierischen Lebensmitteln vor und auch nur dann, wenn das Tier zuvor die Möglichkeit hatte, es mit der eigenen Nahrung aufzunehmen. Das funktioniert nur in ausreichendem Maße, wenn eine Weidenhaltung gegeben ist, das Tier also natürlich lebt, denn das Vitamin wird von Bakterien produziert, die eben nicht im wider die Natur der meisten unserer Nutztiere verfütterten Kraftfutter vorkommt. Schon unsere Nutztiere leben offenbar überwiegend nicht natürlich. Es wundert also nicht, dass 60 Prozent der weltweiten B12-Produktion nicht auf dem Frühstückstisch der Veganer landen, sondern tatsächlich dem Nutzvieh zugefüttert wird, damit es nicht das Schicksal selbiger erleidet. Der größtenteils vegan lebende Gorilla nimmt übrigens keine B12-Tabletten. Er wäscht einfach seine Lebensmittel nicht! Für mich keine Option! B12-Supplementation ist folglich das Kreuz, das Veganer und Allesesser direkt oder indirekt vereint tragen. 
Dasselbe trifft auf Vitamin D zu. Auch hieran mangelt es allen Ernährungsformen. Das Sonnenvitamin ist in Milchprodukten, Fleisch und Pilzen zwar enthalten, wird aber in relevanten Mengen nur unter Sonneneinstrahlung produziert. Früher war es natürlich, bei Tag draußen, bei Nacht im Bett zu sein und keinen Vitamin D-Mangel zu haben. Heute sind wir tagsüber in geschlossenen vier Wänden und arbeiten dafür, um nach Einbruch der Dunkelheit das Haus beleuchten und uns D3-Präparate leisten zu können. 
Der Selenmangel kommt übrigens daher, dass wir selenarme Böden haben. In Finnland werden Felder schon seit Jahrzehnten mit Selen gedüngt, um das auszugleichen. Wir haben dafür die Pharmaindustrie oder holen uns Lebensmittel aus Ländern mit selenhaltigeren Böden. 

Vielleicht ist es daher am besten, wir nehmen alle B12-, D3- und Selentabletten und verabschieden uns vom Gedanken, dass wir auch nur im Ansatz noch natürlich leben. Dann muss auch niemand aus dem Kindergarten auftauchen und mit Förmchen hauen.

Freitag, 14. Februar 2020

Buchvorstellung: Fräulein Ökos "Projekt Plastikfrei"

Buchvorstellung: Fräulein Ökos "Projekt Plastikfrei"

Vor einem Monat hat meine Workshop-Partnerin und Freundin Svenja ihr Buch "Projekt Plastikfrei" herausgebracht. Heute komme ich endlich dazu, hier im Blog ein wenig davon zu erzählen - gelesen habe ich es natürlich direkt nach Erscheinen. Svenjas 112-seitiger Ratgeber, der im Frech-Verlag erschienen ist, verspricht, in nur sechs Wochen auf einen Zero-Waste-Lebensweg zu führen, indem jede Woche ein anderer Lebensbereich entmüllt wird. "Dein Zero-Waste-Neustart: Zimmer für Zimmer in 6 Wochen" ist daher der vielversprechende Untertitel.

Der Inhalt ist eingeteilt in Einkaufen, Badezimmer, Wohn- und Arbeitszimmer, Schlaf- und Kinderzimmer sowie Unterwegs und auf Reisen. Was gleich ins Auge fällt ist, dass Svenjas Buch zwar auf eine Reise durch die Wohnung einlädt, aber den Einstieg auch in jedem anderen Bereich zulässt, geradezu dazu einlädt. Die Reihenfolge ist jedoch schlüssig gewählt - es sind die einfachsten Schritte, die zu Anfang gegangen werden. Die Erfolge ermutigen und erlauben es, auch die späteren Räume mit viel Mut zur Veränderung zu betreten. Erstaunlicherweise hat meine Reise mit "Plastic Diary" auf demselben Weg begonnen, was mich bestätigt - immerhin konnte ich durch diese Reise-Route dabei bleiben.


Svenja aka Fräulein Öko hat keine Drogerieartikel- und Kochrezept-Sammlung in der Art von "Und als nächstes nehme man ..." geschrieben. Zwar verliert das Buch nie die nötige Sachlichkeit, um die Lust am Nachmachen der vielen Rezepte nicht zu verwässern, doch es bleibt immer ein Reiseführer durch die Wohnung. Svenja nimmt mich als Leser mit und ich habe den Eindruck, als höre ich sie Dinge sagen wie: "Schau mal, hier kannst du dies machen!" und "Guck mal! Das funktioniert bei mir gut!" Es ist kein Buch zur Belehrung, es ist eins, das freundlich zu Nachahmung animiert! Dieser Stil wird nicht nur durch den Aufbau und Svenjas freundschaftliche Art zu schreiben gestützt, sondern auch durch die sehr schönen Illustrationen, die dem Buch einen noch sympatischeren Charakter geben.


Abgerundet wird das Buch durch Checklisten, die es mir als Leser einfach machen, Svenjas Weg zu folgen. Seifenstück zum Händewaschen benutzt? Check! Deocreme selbst gemacht? Check! Holzzahnbürste gekauft? Check! Nach und nach schleichen sich so immer mehr ökologische Alternativen in den Haushalt und plötzlich greift man beim Müll-Rausbringen ins Leere. Auch dass Svenja im Buch nicht grob von Möglichkeiten spricht, wie "Kauf dir Zahnpastaersatz!", sondern konkret ihre Marken nennt und auch Bezugsquellen angibt, zeigt, dass hier eine Autorin am Werk war, die nicht lediglich auf den fahrenden Zug des inzwischen durchaus rentablen Öko-Ratgeber-Zuges aufspringt, sondern schlichtweg teilhaben lässt an dem ökologischen Leben, das ihr eigenes ist.


Svenjas Buch gibt es überall im Buchhandel unter der ISBN978-3-7724-4950-5. Sie stellt ihr Buch unter anderem am 28. Februar im Nix-Drum-Rum in Bad Nauheim vor. Sollten hier schon alle Plätze belegt sein, findet ihr sie und ihr Buch (zusammen mit mir) auch am 21. März, 18:00-20:00 Uhr, in der Honighalle in Friedrichsdorf oder am 4. April, 14:00-15:00 Uhr, zur Ernst-Ludwig-Buchmesse im Kleinen Hörsal des Max-Planck-Institituts, Parkstraße 1 in Bad Nauheim. 
Ein schönes Interview, das ich mit Fräulein Öko führen durfte findet ihr bei der Wetterauer Zeitung:
https://www.wetterauer-zeitung.de/wetterau/friedberg-ort28695/youtuberin-fraeulein-erklaert-laesst-sich-plastik-alltag-vermeiden-13448812.html
Viel Spaß beim Lesen!

Dienstag, 4. Februar 2020

Flugscham und Verantwortung

Flugscham und Verantwortung
Ich bin das letzte Mal vor zehn Jahren in den Urlaub geflogen. Damals hatte ich mir wenig Gedanken gemacht, was das ökologisch bedeutet. Den Begriff „Ökologischer Fußabdruck“ hatte ich noch nie gehört. Nach selbigem gefragt, wäre meine spontane Antwort vermutlich 45 gewesen, was keineswegs die Antwort auf die Frage aller Fragen ist. Die ist bekanntlich 42, wie belesene Freunde humoristischer Science-Fiction wissen. Was Douglas Adams, der Autor von „Per Anhalter durch die Galaxis“, damals beim Schreiben sicher nicht im Sinn hatte, war, dass es dem Leben tatsächlich Sinn oder zumindest eine Zukunft gebe, seinen ökologischen Fußabdruck um ein paar Größen zu verringern – zumindest wenn man davon ausgeht, dass es sich tatsächlich um eine Schuhgröße handelte, die der größte Computer, der jemals geschaffen wurde, auf die Frage "nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest" in dessen Werk errechnet hatte. 

Flugreisen sind heute in vielen Kreisen, besonders in solchen, die der Auffassung sind, dass nach uns nicht die Sintflut kommen soll, etwas, über das man nicht spricht. Ein wenig so, wie aus dem Urlaub mit Andenken nach Hause zu kommen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit Salbe behandelt werden müssen. Es gibt sogar einen Begriff dafür:  Flight Shaming, die Scham, im Wissen um die Umweltschädlichkeit häufiger Flugreisen dennoch regelmäßig zu fliegen. Es ist aber auch zu verlockend. Auf einer Internetsuchseite für Flugreisen finde ich ein Angebot zu 49 Euro, um von Frankfurt am Main nach London zu gelangen. Unwesentlich günstiger geht es mit dem Bus, der für lediglich 15 Euro weniger, aber dafür 13 Stunden mehr Reisezeit zu buchen ist. Der Fernlinienbus ist derzeit, gemessen an den Emissionen, das ökologischste Verkehrsmittel, dicht gefolgt von den Fernzügen. Mit großem Abstand auf dem letzten Platz ist nach Daten des Umweltbundesamtes das Flugzeug, dessen Emissionen an CO2-Äquivalenten etwa um den Faktor acht höher liegen. Was machen, wenn ich keine 13 Stunden Zeit opfern möchte und mich dennoch nicht mit Flugscham plagen will. 

Ebenfalls im Internet stoße ich auf eine Seite, die CO2-Ausgleichszahlungen anbietet. Der CO2- Ausgleich soll ermöglichen, den durch den Flug anfallenden Ausstoß des Klimagases durch CO2-Zertifikate aus Klimaschutzprojekten in gleicher Höhe anderswo einzusparen. Weiter schreibt der Betreiber, die ARKTIK GmbH aus Hamburg: Wichtig ist nur, dass weltweit die Summe der Treibhausgase abnimmt. Fällt nur mir der Denkfehler auf? Ich rechne das mal in Äpfel um. Wenn ich eine Obstkiste habe, die zu voll ist und zerbrechen wird, sobald ich sie hochhebe, ich acht Apfel hinzugebe und zum Ausgleich acht Äpfel von jemandem essen lasse, was passiert dann mit der Kiste, sobald ich sie anhebe? Es gibt also nur zwei Lösungen. Entweder muss ich meine Emission reduzieren, indem ich meine Flugreisen in regelmäßige Fernbusreisen wandele oder ich verzichte. Die zweite Option wäre zu überkompensieren. Hier rehabilitiere ich arktik.de wieder, deren Mission ich jedenfalls sympatisch empfinde. Wenn der Ausgleich des Hinflugs dort 6,82 Euro kostet, wäre auf 13,64 Euro zu erhöhen, sicher in Anbetracht der ohnehin fragwürdig niedrigen Billigflugkosten nicht allzu schmerzhaft. Der ökologische Fußabdruck reduzierte sich dann gewiss von 45 auf 42. 

Übrigens: Die reine Fahrtzeit mit dem Fahrrad nach London beträgt 40 Stunden und verbraucht 25.000 Kilokalorien; in Äpfel umgerechnet knapp 300 Stück – kaum angekommen wäre die Kiste leer!

Foto: Andreas Weith, unter Lizenz CC BY-SA 4.0