Samstag, 20. September 2008

Die Ägyptenreise

„Sand! Nichts als Sand!“, sagte Victor, das Vikunja.
„Was sonst?“, fragte Driss, das einheimische Dromedar, das ihre fünfköpfige Reisegruppe anführte, rhetorisch. Sie waren schließlich in der Weißen Wüste.
Doch ganz stimmte das nicht. Neben dem Sand müsste auch noch Laura, die Lamadame, auf deren Drängen sich Vic überhaupt auf diese Reise eingelassen hatte, zu finden sein.
Aber sie musste ja unbedingt mit Alejandro, einem arroganten Alpaka, kichernd wie ein verliebter Teenager, durch die Gegend rennen.
„Dabei hat sie nicht mal ordentliche Höcker!“, sagte Travis mit unverkennbar australischem Dialekt zu Victor. Nicht nur bei den Gefühlen anderer war Travis ein richtiges Trampeltier. Vic war merklich eifersüchtig.
„Chauvi!“, sagte Tülay und erntete dafür einen Blick auf ihre wohlgeformten Höcker.

Mittwoch, 17. September 2008

Fremder Quark

Fremden Quark rührt man nicht an.

Bezeichnenderweise fiel mir das ein, als ich gestern meinen Quark zu Mittag anrührte. Nicht unsittlich, mehr cremig. Nochzudem kein fremder, sondern definitiv meiner. Metaphorisch ist dieser mehrdeutige Sinnspruch jedoch auch nicht zu verachten, denn weshalb sollte man den sprichwörtlich Kund getanen Unsinn eines anderen auch anrühren. Unsinn wird nicht besser, wenn man sich mit ihm beschäftigt.
In diesem Sinne: Buon appetito! Oder auch gerade nicht ;-)

Samstag, 13. September 2008

Ein Job für Zander

„Sag mal, was ist denn mit Zander los? Er stand heute Morgen ganz schön unter Strom“, sagte Batilda und schwamm, an einem Zangen putzenden Flusskrebs vorbei, ins dichte Flussgras hinein. Batilda war eine Barbe. Zander dahingegen kein Zander, sondern ein Zitteraal, was erklärt, weshalb er ab und an unter Strom stand. Stanislava, die angesprochen wurde, chillte gerade auf einem Stein. Sie war ein Steinschill und mochte Zander nicht nur seines Names wegen. Der Flusskrebs, dessen Namen keiner kannte, putzte weiter seine Zangen. Er sprach ja auch kein fischisch.

Samstag, 30. August 2008

Gespensterspiele

„Oh, Mama!“, sagte Michael, der ungeduldig schon in der Tür stand.
„Jetzt halt still!“
Sie wischte ihm die letzten Reste des Mittagessens aus den Mundwinkeln und wuschelte ihm zum Abschied durch die Haare.
„Aber wenn die Laternen angehen, bist du wieder zuhause!“, rief ihm seine Mutter hinterher.
Michael hob die Hand und rannte weiter. Am Ende der Straße schwenkte er in die Hofeinfahrt von Andis Elternhaus.
„Ist Andi schon mit den Hausaufgaben fertig?“
„Hallo, Micha. Warte! Ich rufe ihn“, sagte seine Mutter. „Andi! Micha ist da!“
Sie wandte sich wieder zu ihm.
„Wo wollt ihr denn hin?“
„Zur Burg, Frau Bendrup! Dennis, Max und Maike kommen auch mit.“
„Na, dann viel Spaß. Als wir Kinder waren, spielten wir auch oft in den Ruinen.“
Hastig rannte Andi an ihr vorbei und rief: „Tschüs, Mama!“.
Er versteckte eine große Tüte unter dem Arm.
„Hey, junger Mann, du bist aber …“
„Ja, ja. Zum Abendessen wieder da.“
Micha zuckte mit den Schultern und verabschiedete sich von Andis Mutter, die kopfschüttelnd am Türrahmen lehnte.
„Warte auf mich, Andi! Ich komme!“

Dienstag, 26. August 2008

Integration

Wir gingen zusammen spazieren. So wie wir es regelmäßig taten. Der Tag lud dazu ein. Vielleicht der letzte Tag in diesem Jahr bei warmen Wetter. Der Sommer bäumte sich nach Tagen der Kälte ein letztes Mal auf. Die 20 Grad-Marke wurde nach langem mal wieder geknackt. Und das merkte man. Überall entlang der Weser genossen Spaziergänger den angenehmen Sonntagnachmittag. Man hörte Kinder lachen, sah verliebte Paare sich einander auf den Bänken herzen, und alles fühlte sich mehr nach Frühling, denn nach Herbst an. Nur mein Kumpel war von einer kaum zu bessernden Laune.

Samstag, 23. August 2008

Schriftsteller und Gott

Schriftsteller und Gott haben gemein, dass beide Welten erschaffen, doch Schriftsteller überarbeiten.

Das fiel mir ein, nachdem ich mich gestern mit Calliope getroffen hatte, um den Plot unserer Kriminalgeschichte zu Ende zu entwickeln und wollte - im virtuellen Sinne - zu Papier, als ich meinen Beitrag zum Thema Elternliebe im Lyric Letter gerade fertig hatte. Kreative und arbeitssame 24 Stunden, möchte ich meinen ;-)
Zu meinem Aphorismus lasse ich natürlich die Sintflut außer Acht. Als Überarbeitung war sie ja offenkundig nicht allzu effektiv, schaut man sich all die menschlichen Niederträchtigkeiten an, die einem Tag für Tag in den Medien serviert werden. Armageddon, das Menü ... Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende.

Mittwoch, 13. August 2008

Francesco Fontanello
Kapitel III

„Ok! Geh rein und hol ihn raus“, sagte Marcello zu seinem Partner. Beide saßen in ihrem Wagen und warteten vor Francescos Wohnhaus.
„Ich denke ja gar nicht daran“, antwortete sein Partner und dachte nicht im Geringsten daran.
„Du weißt, was der Chef gesagt hat: ‚Er hat seine Warnung bekommen. Jetzt bringt ihn her!’. Also hol ihn raus!“, sagte Marcello und deutete auf den Hauseingang.
„Warum gehst Du denn nicht rein, hä?“, erwiderte sein Partner und verschränkte die Arme.
„Das weißt Du genau!“, sagte Marcello und versuchte, nicht an die fiese alte Frau zu denken. Zu spät, dachte er und schlug dabei verärgert auf das Armaturenbrett. Er dachte bereits an die fiese alte Frau.
„Ich geh jedenfalls nicht“, sagte sein Partner und rückte seine Desert Eagle im Schulterholster zurecht.
„Na gut, dann lässt du mit keine andere Wahl“, sagte Marcello und holte mit der Faust aus.

„Merda, merda, merda“, wiederholte Francesco nun schon seit einer halben Stunde sein neues Mantra. „Ich habe es wirklich vermasselt. Cretino! Wie konnte ich nur die Adressen verwechseln?“
Da ihm noch immer keine Antwort einfiel, entschied er, seinen Kopf weiter im Rhythmus seines Mantras gegen die Wand zu schlagen. Es war jedoch kein Monlog. Mrs Zuckerman schlug im gleichen Rhythmus mit ihrem Besen gegen die dünne Wand, die beide Appartements trennte, und raunte dabei üble Beschimpfungen. Letztlich gab Francesco sich geschlagen. Mrs. Zuckerman und auch die Wand waren härter als er. Er drehte sich mit dem Rücken zur Wand und ließ sich daran herunter gleiten, bis er, einer lieblos abgelegten Puppe nicht unähnlich, mit zusammengesackten Schultern reglos liegen blieb. Picolino, der sein Schicksal teilte und ihn daher gut verstand, blickte ihn traurig von der Couch her an.
Der Anrufbeantworter nahm ein Gespräch an: „Bambino!“, ertönte die Stimme von Francescos Mama aus den kleinen Lautsprechern. Sie klang verärgert. Francesco sah seine Mama geistig vor Augen, mit den Händen in die breiten Hüften gestemmt, den schwarz belockten Kopf schüttelnd. Nun würde ihre Predigt folgen. „Don Calabrese möchte, dass Du ihn noch heute Morgen besuchst. Was hast Du wieder angestellt?“ Da war sie, die Predigt. „Don Calabrese war ganz Welt entrückt. Er konnte mir nicht mal sagen, was los ist. Hast Du es wieder vermasselt? Mio filio, so eine Chance …“
Und es wäre noch ewig so weiter gegangen, doch hatte der Anrufbeantworter erbarmen und fraß das Band. Aus Mitleid vermutlich.

„Schnick, schnack, schnuck“, sagten Marcello und sein Partner uni sono.
„Nein! Warum ausgerechnet Brunnen?“, sagte Marcello, als er auch das dritte Mal mit dem Stein, den er mit seiner Kindskopf großen Faust geformt hatte, keinen Erfolg hatte. Mit gesenkten Schultern stieg er aus und ging auf Francescos Wohnhaus zu. Als er die Hälfte des Weges mit kleinen, unwilligen Schritten überwunden hatte, drehte er sich noch einmal zum Wagen um. Sein Partner winkte ihm zu, weiterzugehen. Und Marcello ging weiter. Langsam, aber stetig.

Vom Telefonanruf seiner Mutter aus der Puppenlethargie befreit, entschloss Francesco, es wieder mit dem Kopf-gegen-Wand-Hämmern zu versuchen. Kurz darauf entschloss sich Mrs. Zuckerman wieder mit ihrem Besen zu antworten und testete dabei erfolgreich einige Schimpfwörter aus ihrem israelischen Heimatland. Zeitgleich trat Marcello durch die nur angelehnte Haustür in den Flur. Als Marcello den zweiten Schritt ins Haus tat, verstärkte Francesco seine Geißelung gerade, indem er gleichzeitig mit Kopf und Fäusten gegen die Wand hämmerte und lauthals „Ahaha!“ schrie. Mrs. Zuckerman rüstete auf, indem sie neben dem Besen auch noch den Handfeger in die Hand nahm und beidseitig Francescos Hämmern beantwortete. Die Beschimpfungen hatte sie zwischenzeitlich eingestellt, um sich mehr auf das Gegen-Hämmern zu konzentrieren. Franceso hämmerte und jammerte. Mrs. Zuckerman gegen-hämmerte und gegen-hämmerte. Marcello stand unschlüssig in der Mitte beider Wohnungstüren und irrte zwischen Furcht und Faszination. Bis Francesco sich entschied, zu fliehen und im Flur gegen ihn prallte, während Mrs. Zuckerman gleichzeitig der Geduldsfaden gerissen war und den Flur betrat, um das Gegen-Hämmern auf Francesco fortzuführen. Ihr boshaftes Grinsen spürte Marcello ungesehen tief in seinem Rücken und Francesco selbst durch dessen gorillahaften Rücken.

„Hast Du Deinen Anzug vom Zeltverleih?“, fragte Francesco, als Marcello, dessen Partner und er auf der Fahrt zum Haus Don Calabreses waren. Doch die erwünschte Wirkung, ein Wutausbruch, der ihm das erneute Fliehen ermöglichen würde, blieb aus. Marcello war nicht empfänglich für boshaften Sarkasmus. Außerdem hatte er seinen Anzug tatsächlich aus einem Zelt schneidern lassen. Der nächste würde jedoch wieder von der Stange kommen müssen. Leider nahm ihm die fiese alte Frau mehr Scheine aus seiner Geldbörse, als sie für die Reparatur ihrer Tür verlangt hatte, nämlich alle.
„Ging doch gut!“, sagte sein Partner zu Marcello und konnte das am ehesten behaupten. Er hatte als einziger keine Besenstiel breite Beulen.
Nach wenigen Metern hielt der Wagen abrupt an, da Marcello Francesco unbedingt mit der flachen Hand gegen den Hinterkopf schlagen musste. Denn genau in dem Moment hatte er das Gefühl, die Bemerkung über seinen Anzug könnte boshafter Sarkasmus gewesen sein.

Kapitel II | Kapitel IV

Freitag, 1. August 2008

Herrin der Nacht

Kraftvoll breitet sie die Schwingen
und stürzt hinab vom hohen Turm,
furchtlos jeden zu bezwingen,
selbst Alb, Dämon und Lindenwurm.

Die Großmeist'rin der schwarzen Macht,
Herrin über dunkles Treiben,
Regentin jeder sternlos' Nacht.
Böses könnte fort sich schreiben.

Ein jeder Schurke würde fliehn,
säh er sie bloß am Himmel ziehn.
Doch leider ist da ein Problem,
noch nie hat jemand sie geseh'n.

Zu lautlos flattert ihre Schwing,
wenn wachsam sie die Nacht durchstreift.
Und niemand spürt, wenn sie ihn greift:
Sie ist der Böse Schmetterling.

Wie Satan irdisch Einfluss nahm

Einst stand ich vor dem Höllentor
und Satan stand verschränkt davor.
Er sprach zu mir in dunklem Moll
und fragte mich, was ich hier woll'.
Ich sprach zu ihm: "Ach, sei so nett
und richte mir mein Höllenbett.
Gelump wie uns will keine Welt,
schon gar nicht unterm Himmelszelt.
Öffne mir doch deine Pforten,
gib mein Glück mir anderorten."

Doch schien er davon nicht verzückt
und blickt' in Leere, ganz entrückt.
Er sagte mir, wie unerhört,
er habe schon von uns gehört.
So sprach er dann, fast schon in Dur,
so dass ich dacht', was hat er nur?:
"Lieber Freund, zieh bloß von dannen,
hier erwart ich andre Mannen.
Auf Erden gibt's für Dich zu tun,
dort kannst Du auf den Lohrbeern ruhn."
So war ich der Höll genommen
und zur Politik gekommen.

Mittwoch, 30. Juli 2008

Dialoge II - Über Schwalbennestersuppe

"Wie schmeckt sie denn?", fragte Sabine.
"Hmmm!", antwortete Charlotte und rieb sich dabei den flachen Bauch. "Lecker nach Kalb und Huhn und feinsten Gewürzen."
"Und die Nester?"
"Eigentlich haben die keinen Eigengeschmack."
"Warum sind sie dann in der Suppe, wenn sie keinen Eigengeschmack haben?"
"Du bist halt kein Gourmet. Schwalbennestersuppe ist die exklusivste Vorspeise, die man sich gönnen kann."
"Mami", sagte Sabines kleine Tochter, "können wir jetzt endlich wieder nach hause?"
"Tut mir leid, Schatz, aber wir können uns die Wohnung nicht mehr leisten", sagte Sabine, die Weißnestsalangane, schiss in Charlottes Suppe, und beide flogen obdachlos von dannen.

Dienstag, 29. Juli 2008

Dialoge I - Über den Robbenfang

"Oh, mein Gott. Ich bin verantwortlich für den Tod von Robbenbabies", sagte Andy.
"Na, und?", sagte Lennart. "Wen kümmern Robben?"
"Ihre großen schwarzen Kulleraugen verfolgen mich im Schlaf."
"Hör zu, Andy!", sagte Lennart kopfschüttelnd. "Du bist gesund, hast immer zu essen, trägst diesen wundervollen Pelz. Sei doch zufrieden mit dir. Wären Robben erfolgreicher, müssten sie nicht gekeult werden."
"Aber ich keule sie doch gar nicht", sagte Andy.
"Nein, Du nicht. Aber andere keulen sie, damit Menschen Pelze tragen können."
"Übersiehst Du da nicht, dass wir alle die Wahl haben?"
"Haben wir nicht, Andy", sagte Lennart, der Lude. "Was wäre ich ohne meine Statussymbole, ohne meinen Pelzmantel?"
"Hmmm? Weiß nicht", erwiderte Andy, der Eisbär, fraß ihn und zog, etwas besser gelaunt, weiter, zurück in das endlose Weiß Grönlands.
"Ob das Gewissensbisse waren?", fragte sich Paulchen, der Heuler, und sandte ihm große schwarze Kulleraugen glücklich hinterher.

Sonntag, 27. Juli 2008

Als Poseidons Traum der Alb befiel

Sterne, trauernd hilflos über ihm,
Geben ratlos alter Zeiten kund,
Stolzer Zeiten, die verloren sind,
Garn aus alter, ferner Seemannszeit,

Als gereckte Flossen ihn gegrüßt,
Fischer schenkten täglich ihr Gebet,
Nasse Wälder luden ein zum Gang,
Wogend Vielfalt eines großen Reichs.

Nunmehr gehen wütend Riesen um,
Darben sein Geleit durchs kalte Meer,
Fisch und Wal sind lange totgefischt,
Salzgeschmack, verdrängt von Öl und Gift.

Leer von Flora, trister Meeresgrund,
Nur Ruinen aus der Menschenhand.
Wandelt einsam noch, in endlos Frist,
- wo niemand mehr sein Segel hisst.

Samstag, 26. Juli 2008

Das seltsame Leben des Magnus Vates
Kapitel IV

Es war mitten in der Nacht. Magnus saß im Schneidersitz auf dem Bett. Er genoss die Stille. Doch es war eine trügerische Stille. Die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Doch Magnus war vorbereitet. Gut vorbereitet und definitiv besser als  s i e  dachten. Doch wie alles so weit kommen konnte, war ihm unerklärlich. Klar, er hasste seinen Job. Er hasste es, sich verstecken zu müssen, doch er hatte doch eigentlich immer getan, was  s i e  von ihm wollten.

Er saß oft so in seinem Bett. Seit einigen Wochen jeden Tag. Ohne Ausnahme. Veränderungen gingen in ihm vor. Im Alter von fünf Jahren empfand er das letzte Mal so. Damals, als  e s  aus ihm heraus brach.

Er lebte mit seinen Eltern auf einer Hofreite weit außerhalb der nächsten Dörfer. Tiere waren stets um ihn herum und manchmal seine einzigen Gesprächspartner, wenn seine Eltern wieder einmal unterwegs waren und sich um die Notwendigkeiten, die ihr Hof mit sich brachte, kümmerten. Oft bis spät in die Nacht. Irgendwann hatte Magnus entdeckt, dass er fühlen konnte, was die Tiere wünschten. Er fütterte sie, wenn er spürte, dass sie Hunger haben, gab ihnen zu trinken, wenn er merkte, sie waren durstig. Irgendwann ging es weiter. Er begann ihre Ängste zu spüren. Die Ängste der Schweine vor der Schlachtbank. Die Abneigung, die die Kühe empfanden, wenn sein Vater die Melkmaschine in Gang brachte. Selbst die Furcht, die Mäuse empfanden, wenn sie im Heuschober, stets auf der Hut vor den Katzen des Hofes, nach Nahrung suchten. Es wurde Tag für Tag intensiver. Und schlimmer zu verkraften. Je weiter sich der Tag entfernte, als er den ersten Durst eines Tieres spürte, desto schlimmer wurden die Empfindungen, die seinen Geist und sein Herz füllten. Nicht nur ein Tier, alle Tiere gelangten nach und nach in seine Empfindungen. Alle zur gleichen Zeit. Es fühlte sich an wie tausend Stimmen, die durcheinander in ihm sprachen, ohne dass er die Sprache verstehen konnte. Er wurde jeden Tag panischer, ohne das er seinen Eltern erklären konnte, was mit ihm passierte. Kein Arzt konnte ihm helfen. Letztlich gaben jedoch seine Geschichten von den Stimmen der Tiere den Ausschlag, dass man ihn in ein Sanatorium für Kinder einwies. Doch jedes Mal, wenn Tiere in seine Nähe kamen, kehrte mit den Stimmen auch die Panik in seine Augen zurück. Eine schwere Ochlophobie attestierte man ihm, weil man es nicht besser wusste. Dabei waren Menschen gar nicht sein Problem.

So verbrachte er seine Kindheit, bis  s i e  auf den Plan traten. S i e  holten ihn raus und erklärten ihm, was er war. Ihm, einem inzwischen achtjährigen Jungen, der nichts von dem verstand. Doch im Laufe der Jahre, die er in  i h r e r  Obhut war, lernte er, sich gegen die Gefühle abzuschotten und sie nur noch bewusst zuzulassen. Und er lerne, dass die Empfindungen nur die Spitze des Eisberges waren. Sie waren nur Sendungen, die er empfing. Doch er konnte auch selbst senden. Senden und das Programm selbst gestalten. Anfangs war es noch schwierig. Doch je einfacher das Lebewesen, desto schneller hatte er es unter Kontrolle. Irgendwann als Teenager hatte er den Dreh dann raus. S i e integrierten ihn wieder in die Gesellschaft. Er ging auf eine normale Schule, lebte wieder bei seinen Eltern, doch während die anderen Kinder Katz und Maus spielten, spielte er wirklich Katz und Maus.

Doch das war Jahre her. Seine Eltern sah er nur noch zu Geburtstagen und an Weihnachten. Aber so ist das nun mal, wenn man älter wird, dachte er. S i e  hatten ihm jedenfalls einen großen Dienst erwiesen. Ohne  s i e  wäre er vermutlich wahnsinnig geworden. Doch als er  i h n e n  die Veränderungen, die in ihm seit wenigen Wochen vorgingen voller Stolz erläutert hatte, spürte er plötzlich Feindseligkeit. Also zog er sich wieder zurück und behielt für sich, was noch in ihm vorging. Er testete dann und wann, wie weit er war. Natürlich gab es Unfälle, doch  s i e  hätten ihm ja helfen können. Er spürte, dass da noch mehr war. Dass noch mehr seinen Weg ins Freie einforderte. Und  s i e  spürten das auch, was  auch der Grund für den Besuch war, den er gebührend zu empfangen plante.

Magnus wusste nicht, weshalb er es plötzlich spürte, doch er spürte es. Sie kamen. Wie er es erwartet hatte. Wie schon vielen andere vor ihm, sandten  s i e  auch ihm einen ihrer Meuchelmörder. Magnus hob seine linke Braue. Sie sind zu zweit. Starke Kräfte. Unterschiedliche Kräfte. S i e  mussten wirklich Angst vor dem haben, was sich in ihm entwickelte. Dann spürte er einen Stich durch seinen Kopf fahren und verlor sie. Nichts mehr. Er strengte sich an, doch belohnte ihn nicht die geringste Spur für seine Anstrengungen. Keine Wahrnehmung mehr. Was soll's?, dachte er sich. Ich weiß ohnehin, dass ihr da seid.

So viele Veränderungen gingen in ihm in den letzten Wochen vor. Wie damals, als er noch Kind war. Doch seinerzeit wurde er panisch. Er glaubte, den Verstand zu verlieren. Heute war es anders. Er ließ die Veränderungen kommen. Ließ zu, dass sie ein bewusster Teil von ihm wurden. Dennoch kam es überraschend für ihn. Vor wenigen Wochen dachte er noch, ein Tierflüsterer zu sein, wäre seine Bestimmung.

Kaum, dass der letzte Gedanke den bewussten Teil seines Gehirns erreicht hatte, sah er auch schon die Klinke seiner Tür sich nach unten neigen. Magnus setzte sich gerade hin und hielt die Taschenlampe bereit. Die Tür öffnete sich. Magnus knipste sie an und schaute in zwei überraschte Gesichter. Fast zur selben Sekunde hob der blonde Hühne, der im Türrahmen erschienen war, seine Arme und ein helles Blitzen wuchs zwischen seinen Fingern. Magische Energie. Auch das hatte er erwartet. Jetzt hieß es handeln. Im Bruchteil einer Sekunde war er in die Ganglien tausender von Fliegen eingedrungen, die er seit Stunden an seiner Decke zu einem unruhigen schwarzen Teppich angesammelt hatte und ließ sie zeitgleich einen schützenden Vorhang zwischen ihm und seinen gedungenen Mördern aufbauen. Hoffentlich reichte der kurze Lichteinfall der Taschenlampe, um ihre Körper reflektierend werden zu lassen, hoffte er inständig, als er sich ruckartig zur Sicherheit vom Bett fallen ließ. Aus den Augenwinkeln erkannte er noch, dass der kleinere der beiden Assasinen, die Gefahr nahen sah und seinen Partner warnen wollte. Doch es war bereits zu spät. Die Energie entlud sich in dorthin, wo er zuvor saß, wo nun sein Schutzvorhang, ein unruhiger Spiegel aus unzähligen Insekten, bedrohlich summte, und wurde in alle Richtungen gebrochen und zerstreut. Er spürte den Schmerz seiner sechsbeinigen Verbündenden wie Myriaden feiner Nadelstiche in seinem Kopf. Aber er spürte noch etwas anderes. Zwei magische Präsenzen und deren großen Schmerz.

Als er aufstand, lagen vor der Tür zwei qualmende menschliche Körper, um sie herum ein stinkender Teppich verglühter Schmeißfliegen. Einige wenige krabbelten auf dem Parkett des Schlafzimmerbodens herum, ziellos im Kreis, und würden auf kurz oder lang ebenso verenden. Die zwei Begabten lagen gekrümmt bewegungslos vor ihm. Die Präsenz des Großen war gerade verblasst, als der Kleine zitternde Augenlider öffnete.

Wohl eher Klasse sechs, dachte er und hauchte mit dem letzten Gedanken sein Leben aus.
„Das scheint mir auch so, oder?“, fragte Magnus die letzten überlebenden Fliegen und öffnete ein Fenster für sie. Dann machte er sich daran, die richtigen Tiere für die Leichenbeseitigung zu orten. Nicht, dass er noch Ärger mit Frau Hansen bekäme. Er mochte seine Vermieterin sehr.

Kapitel III | Kapitel V

Freitag, 25. Juli 2008

Fancesco Fontanello
Kapitel II

Als Francesco gerade seine Wohnungstür aufschließen wollte, nahm er den Geruch des Todes wahr. Doch es war nur Mrs. Zuckerman, die hinter ihm, mit dem Fuß auf den Boden tippend und bösem Blick, im Türrahmen zu ihrer Wohnung stand. Sie hatte nur den einen. Bösen Blick natürlich, nicht Türrahmen. Von denen hatte sie mehrere. Im Augenblick sogar mehr als Türen, denn ihre Wohnungstür war in der Mitte zerbrochen und lag im Flur.
„Zwei Herren haben das hier für Sie da gelassen“, spie sie ihm mürrisch entgegen. „Sie baten mich höflich, Ihnen auszurichten, dass es ihnen Leid täte, dass er aus Plüsch wäre.“
Francesco nahm den Plüsch-Pferdekopf Schicksals ergeben entgegen und sah in Gedanken einen traurigen Mafiosi-Sprössling weinend vor sich, der nun mit einem kopflosen Pferd knuddeln musste.
Mit so einem hätte sich Opa wohl auch noch mal zur Seite gedreht und ein paar Stündchen weiter geschlafen, dachte er. Aber es stimmte schon. Bei all den Fleischskandalen. Wer mochte da schon noch mit rohem Fleisch ohne Herkunftsstempel hantieren?
„Danke, Mrs. Zuckermann. Es war sehr nett von Ihnen, das für mich entgegen zu nehmen.“
„Ach, lecken Sie mich doch am Arsch“, sagte sie freundlich, doch mit Nachdruck und drückte einen Teil der Tür in den Rahmen. Da es der untere war, fand sie Gelegenheit Francesco noch den Mittelfinger zu zeigen, bevor sie im Dunkel ihrer Wohnung verschwand.
„Tja, da ist wohl was schief gegangen“, sagte Francesco zu dem Pferdekopf. Doch der starrte ihn nur ratlos an. Was blieb ihm auch anderes übrig?

„Ahhh!“, schrie Marcello Mastinetto, dessen Äußeres an ein Erdbeben auf zwei Beinen denken ließ. „Diese fiese, alte Frau!“, schrie er weiter in hellen Tönen, denen man nie zugetraut hätte, an seinen daumendicken Stimmbändern vorzukommen - ganz wie ein Bergmassiv im Stimmbruch – und rieb sich dabei unaufhörlich sein rotes Ohr.
„Du hättest ja vorher klopfen können“, sagte sein Partner. Mit verschmitzt gewundenen Mundwinkeln.
„Ich konnte doch nicht ahnen, dass es zwei Erdgeschosswohnungen gibt.“
„Die zweite Wohnungstür hinter Dir war ja auch nicht zu sehen. Hast ja keine Augen am Hinterkopf, nicht?“, sagte er und gleich darauf, dass er sich nicht so anstellen soll. Obwohl sein Ohr auch noch ganz schön pochte. Erniedrigend, so behandelt zu werden. Und gefährlich. Schließlich lässt sich ein Ohr nicht endlos drehen.
„Ich denke, wir sind uns einig, dass Don Calabrese davon nichts erfährt, oder?“, vergewisserte er sich bei Marcello.
„Ahhh!“, antwortete dieser, was sein Partner als Zustimmung empfand und es dabei beließ.
„Diese fiese, alte Frau!“

„Was mag ich wohl falsch gemacht haben?“, fragte sich Francesco ein zweites Mal und kuschelte sich mit dem Plüschschädel unter seinem Kopf auf das Sofa. Doch der antwortete wieder nicht.
Mangels Gesprächspartner knipste er seinen 42 Zoll Panasonic an und schaute die Abendnachrichten. Sein Pferdekopf, den er inzwischen Piccolino getauft hatte, schaute während dessen auf Francescos Hinterkopf. Mangels Alternative.
„In den frühen Morgenstunden wurde ein Mordanschlag auf den Chicagoer Baugiganten Alonso Calabrese verübt“, sagte die blonde Nachrichtensprecherin mit dem tiefen Dekolleté.
„Wer wagt sich denn das?“, fragte Francesco das tiefe Dekolleté.
„Ein unerkannt entkommener Attentäter drang unbemerkt in das Schlafzimmer der Millionärsvilla ein und schoss mehrmals auf das Bett des Baulöwen"
„Lustig! Wie bei mir heute morgen.“
„Wie durch ein Wunder blieb Calabrese unverletzt.“
„Ähhhh!“
„Das CPD sucht in diesem Zusammenhang nach Zeugen, die gegen 06:00 Uhr einen schwarzen Lincoln, Baujahr 2001, vom Tatort flüchten sahen.“
„Argh!“, sagte Francesco und, um sicher zu gehen, gleich im Anschluss noch „Oh, oh!“, während er nach e i n e m Zettel in seiner Hosentasche kramte und z w e i rausholte. „Aouuu! Der falsche Zettel!“, heulte er und hob dabei die Hände zum Himmel, wie Del Piero, wenn er Gott fragt, warum der Ball bloß nicht rein gegangen war, und ließ sicherheitshalber gleich noch ein zweites „Aouuu!“ folgen. Anschließend versuchte er, sich mit mäßigem Erfolg die Haare zu raufen.

Alonso Calabrese saß, die Wand annickend, hinter seinem riesigen Tropenholzschreibtisch.
„Wäre er doch nur nicht der Sohn der Großtante meiner Haushälterin, ich würde ihn eigenhändig meucheln.“, sprach er zur Wand, an der ein Bild seines Großvaters, dem Begründer des Syndikats, hing. Doch das war Zufall. Er sprach zufällig zur Wand und ganz bestimmt nicht zum Bild seines Großvaters.
Als es klopfte, wandte er sich von der Wand zur doppelflügeligen Holztür, die zu seinem Vorzimmer führte. Tolle Schnitzereien, musste er jedes Mal denken, wenn er sie anschaute. Also dachte er es auch diesesmal.
„Capo, ein Laufbursche von Don Sebastiano gab das hier für Sie ab. Es ist ihr Mantel aus der Reinigung“, sagte sein Sekretär mit dem ausgebeulten Jackett.
Calabrese winkte ab, woraufhin sich sein Sekretär, rückwärts verneigend, wieder aus dem Büro entfernte.
„Er ist ein guter Junge und kann gut mit Waffen umgehen“, äffte er seine Haushälterin nach und wackelte dabei mit seinem Kopf, als wäre er ein Plastikhündchen auf der Hutablage eines Autos.
„Aber gleichzeitig meine Sachen von der Reinigung holen, ist wohl zu viel.“, sagte er weiter und beschloss, den Rest des Tages die Wand anzunicken, bis er alles verdaut hatte.

Kapitel I | Kapitel III

Donnerstag, 24. Juli 2008

Die Stimme aus dem Supermarkt

Kommen Sie zu uns!
Wir lieben Lebensmittel!
Hier sind die kleinen Preise!
Wir werden jeden Tag ein bisschen besser.

Schauen Sie weg,
Nicht ins gequälte Mitarbeiterlächeln.
Lieber zu den kleinen Preisen.
Sie werden jeden Tag ein bisschen besser.

Sie wirken nur für Sie.
Überstunden stör’n sie nicht.
Und Sie nicht ihre Zukunftsangst.
Doch wohl die unverschämte Milchpreispolitik.

Klar entlassen wir
Wen Überstunden mürben.
Das alles geht ja wohl nur unbezahlt.
Wir lieben kleine Lebensmittelpreise – wie auch Sie.

Wir zahlen gut.
Vierfünfzig stündlich.
Davon kriegt man wohl die Mäuler satt.
Und Sie Quark, Brot, Wurst – alles heut im Angebot.

Kommen Sie zu uns!
Schau’n Sie: Alles frisch!
So war es gestern, ist’s heute noch.
So günstig wie’s die Konkurrenz nicht hat.

Wir werden jeden Tag
Nicht nur besser: Größer.
Märkte in jedem Dorf, jeder Stadt.
Alles nur mit kleinsten, liebsten Preisen.

Frau Meier braucht
Nur selten Schlaf.
Mitternacht ist doch nicht Schlafenszeit.
Kaufen Sie noch jetzt das Special-Offer-Fleisch.

Bleiben Sie bei uns,
Begrüßen Sie den kleinen Preis.
Sie kennen doch Herrn Müller kaum.
Lieben Sie nicht auch - ?

Mittwoch, 23. Juli 2008

Das seltsame Leben des Magnus Vates
Kapitel III

„Kennst Du Vates?“ fragte Reynard Lewkow seinen Beifahrer, als er in das beschauliche Wohngebiet einbog.
„Nein. Ich weiß nur, dass er mit drei klassifiziert ist und dass s i e ihn los werden wollen.“
„Er soll Menschen kontrollieren können.“
„Genau deshalb bin ich ja auch dabei. Und genau deshalb wollen s i e ihn los werden.“

Marian Calea war nur aus diesem Grund Lewkow zugeteilt worden. Normalerweise säuberte Lewkow im Alleingang, wenn s i e ihn anforderten. Zumeist handelte es sich um Begabte, die sich nicht an die Regeln hielten. Und um Begabte, die zu auffällig wurden und die  S a c h e  in Gefahr brachten. Zu dieser Sorte gehörte wohl auch Vates. In den letzten Wochen, hatten  s i e  ihm gesagt, sei er mehrfach ertappt worden, wie er die Gedanken normaler Bürger nicht nur las, sondern sie auch nach seinem Willen steuerte. Nicht, dass  s i e  die Menschen viel kümmerte. Nein, sie waren  i h n e n  egal. Mehr als das. Verhasst, sogar. Doch Vates ließ sich immer weniger von  i h n e n  sagen. Er geriet außer Kontrolle. Er musste weg. Er war eine Gefahr. Das sah Lewkow ähnlich. Klasse drei und Gedankenlesen, dachte er damals. Nie und nimmer.

„Lewkow, erledigen Sie das für uns“, sagten sie ihm, „doch passen Sie auf sich auf. Vates ist unberechenbar.“ Und sie teilten ihm Calea zu. Von Calea hatte auch zuvor schon mal gehört. Er war ein Klasse-Sechs-Begabter. Was sollte er ihm nutzen?, hatte er gedacht, doch natürlich für sich behalten. Lewkow war nicht lebensmüde. Er wusste, dass er funktionieren musste, wenn er später einen Teil des Kuchens bekommen wollte.

Calea war ein magerer, bleicher und ganz und gar unscheinbarer kleiner Mann mit lichtem, grauem Haar. Er sah aus wie ein Buchhalter aus den 60ern. Doch Lewkow hatte gelernt, dass die Unauffälligen zumeist die, mit den größten Kräften waren. Er selbst lebte für seine Aufgabe, ging in ihr auf, empfand sie als seine Berufung. Und das trug er auch nach außen. Er trug seine langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, hatte immer einen schwarzen Ledermantel an, wenn er benötigt wurde. Das waren seine Markenzeichen. Er war ein Klasse-Neun-Begabter. Der Klasse-Neun-Begabte in seinen Augen.

Calea wurde ihm vorgestellt. Er würde einen Schutzschild um sie herum errichten, wenn er Vates liquidierte. Ein Schutzschild, das ihn vor der Gedankenkontrolle schützen sollte. S i e  wussten nicht, wie weit Vates schon war, ob er es auch mit den Gedanken und Emotionen der Begabten aufnehmen konnte. Doch Risiken wollten  s i e  nicht eingehen. Vates eigenmächtige Auftritte unter den normalen Menschen waren Risiko genug in ihren Augen. Schon das zweite Mal mussten sie heute seine Mordspuren beseitigen, und in dieser Nacht hatten  s i e  es nur ganz knapp vor der Polizei geschafft. Er musste weg.

„Da vorne ist es. Buchenallee 23. Er wohnt Souparterre. Der Eingang ist seitlich vom Haus. Über ihm wohnt nur eine alte, schwerhörige Dame.“
„Ich weiß“, sagte Lewkow. „Ich habe die Akte auch gelesen. Wir gehen so vor: Wenn wir vor seiner Tür stehen, bauen Sie den Schutzschild um uns beide auf, ich entriegele die Tür, und sobald ich sie geöffnet habe, heizte ich ihm ein. Er ist nur Klasse drei. Vielleicht vier, wenn er tatsächlich die Gedanken von Menschen lesen kann. Er wird nicht mal merken, wie ihm geschieht.“
Oder Klasse fünf, wenn er sie steuern kann, dachte Calea, doch behielt es für sich.

Mit diesen Worten stiegen beide aus dem unauffälligen dunklen VW Passat und schlichen leise, darauf bedacht, dem Boden nicht das winzigste Geräusch zu gönnen, um das Haus herum. Lewkow gab Calea mit dem Zeigefinger das Zeichen, nun seinen Part zu leisten. Calea schloß die Augen, atmete kurz durch und als er sie wieder öffnete, schien es für Lewkow, als sei alles um ihn herum ein bisschen leiser geworden und auch die Nacht wirkte auf ihn eine kaum merkliche Nuance dunkler als zuvor. Anerkennend nickend, griff er in die Innentasche seines Ledermantels und fischte ein dünnes Lederetui hervor, aus dem er sodann zwei flache, gebogene Metallstifte entnahm und behutsam ins Türschloss einführte. Dann noch einen und noch einen, bis er alle Sicherungsstifte des Schlosses wieder in den Schließzylinder geführt hatte und öffnen konnte. Langsam drehte er den Riegel zurück, bis er wieder vollständig zurückgefahren war und die Sicherung der Tür aufgab.

Lewkow richtete sich auf, steckte sein Einbruchswerkzeug ebenso behutsam, wie er es zum Einsatz gebracht hatte, wieder zurück in ihr ledernes Bett und richtete sich unter dem schmunzelnden Blick Caleas wieder auf. Er rollte mit den Augen und mahnte ihn, mit seinen Zeigefinger vor den Lippen, zur Ernsthaftigkeit, dann traten beide durch die Tür.

Vor ihnen lag ein Flur, von dem vier Türen abgingen. Zwei links, eine rechts und eine ihnen direkt gegenüber.
OK, der Plan zeigte mir links zwei Räume, Küche und Bad, rechts das Wohnzimmer, dachte sich Lewkow, und geradeaus das Schlafzimmer. Da sollte er sein. Er konzentrierte sich und versuchte sein Opfer zu orten. Küche und Bad waren sauber. Das Wohnzimmer auch. Und das Schlafzimmer - auch? Lewkow hob die Brauen. Er musste doch in seiner Wohnung sein. Das hatten  s i e  ihm doch noch unterwegs per Telefon mitgeteilt. Er bekam einen angestrengten Blick, als er es nochmals versuchte, was Calea nun bemerkte und seinerseits mit den Augen rollte. Vorsichtig klopfte er mit dem Handrücken auf Lewkows Schulter und beschrieb mit seinem Zeigefinger einen Kreis um sie herum. Lewkow schlug sich mit der Hand an die Stirn. Natürlich, sagte er sich in Gedanken, die Schutzsphäre. Es ist vier Uhr. Er ist im Bett, kam er zum Schluss.

Vorsichtig drückte Calea die Klinke herunter, während Lewkow bereits kleine Blitze zwischen seinen Fingern knistern ließ. So ein unnötiges Gehabe, dachte sich Calea. Lewkow ahlt sich geradezu in seiner Rolle als magischer Killer. Wie in den Filmen, wenn die Mafiosi durchladen, bevor sie einen Laden stürmen. Als gingen sie mit nicht schussbereiten Waffen zu einer Schießerei. Ein Magiebegabter war immer schussbereit. Magie brauchte keine Aufwärmphase.

Als er die Tür geräuschlos geöffnet hatte, sahen sie sich Vates direkt gegenüber. Er saß im Schneidersitz auf seinem Bett und schaltete im Moment ihres Eintretens eine Taschenlampe an, mit der er sich theatralisch, wie in einem schlechten Horrorfilm, von unten ins Gesicht leuchtete. Lewkow verlor keine Zeit. Er breitete seine gestreckten Arme nach vorne aus und ließ die Blitze, die die Finger seiner Hände miteinander verbanden, dadurch im Bruchteil einer Sekunde wachsen. Just in der Sekunde als er seine Handflächen Vates entgegenstreckte, packte ihn Calea an der Schulter. Doch die Warnung kam zu spät. Was sich im Schein der Taschenlampe abzeichnete, konnte er nicht mehr mitteilen. Die zehn Blitze entluden sich bereits in Richtung Vates' Körper.

Kapitel IIKapitel IV

Dienstag, 22. Juli 2008

Ein Fernweh

Vor Stunden noch lagst du in meinen Armen,
Hieltest mich mit tiefen Blicken fest gebannt.
Ich spürte um mich deinen sanften, warmen
Hauch, der so lieblich mich beim Namen nannt.

Doch nunmehr lieg ich wieder ganz alleine,
Starre einsam, traurig an die leere Wand
Und sehne mich so sehr danach, als deine
Stimme ewge Liebe mir ganz leis gestand.

Wohl weiß ich, dass die kalten Tage ziehen
Und dass du alsbald das Kalt erneut vertreibst,
doch allzu gerne würd ich jetzt schon fliehen
und spüren, wie Liebe Du mir einverleibst.

Bald find ich Dich erneut in meinen Armen,
wie auch mich von tiefem Blicke fest gebannt,
und spüre wieder diesen sanften, warmen
Hauch, der mir so zärtlich erst die Lieb gestand.

Sonntag, 20. Juli 2008

Francesco Fontanello
Kapitel I

Als Francesco Fontanello diesen Morgen aufgestanden war, merkte er sofort, dass es sein linker Fuß war, den er dazu genommen hatte, denn er war damit in eine Haarbürste getreten, die vor seinem Bett lag. Also verbrachte er die ersten zwanzig Sekunden des Morgens damit, wie ein Derwisch auf einem Bein hüpfend Ahhhhhhh zu schreien, bis er abrupt aufhörte. Nicht nur, da er merkte, dass es eigentlich gar nicht so weh getan hatte, sondern auch, da ihm einfiel, gar keine Bürste zu besitzen. Was er vor seinem Bett getrieben hatte, wusste er nicht und fragen konnte er ihn auch nicht mehr, da der Igel in diesem Moment beleidigt durch die offene Schlafzimmertür in den Garten getrippelt war.

Francesco wohnte im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses in einem Vorort von Chicago. Er hatte Glück, die Erdgeschosswohnung bekommen zu haben. So konnte er direkt vom Schlafzimmer in den Garten. Und auch die Igel. In beide Richtungen. Im Grunde wusste er gar nicht, weshalb es Glück war, die Erdgeschosswohnung mit all den blühenden Blumen dahinter bekommen zu haben. Doch es waren die Worte des Maklers. Und auch die von Mrs. Zuckerman, der Hausmeisterin, die die andere Erdgeschosswohnung des Hauses bewohnte. Doch die waren vermutlich beide keine Allergiker. Also rieb sich Francesco erstmal seine zu gequollenen Augen und putzte sich geräuschvoll die Nase. Und konnte zumindest durch letzteres sicher sein, dass Mrs. Zuckerman nun auch wach war. Seine tägliche Art der Rache für all die Blumen, die sie vor seiner Terrasse gepflanzt hatte.

Im Badezimmer angekommen, nickte sich Francesco erst einmal anerkennend zu. Also nicht sich selbst. Er war ja nicht schizophren. Seinem Spiegelbild natürlich, denn was er sah, war ein durchtrainierter italienischer Premiumkörper im leistungsfähigsten Alter. Auch wenn er ihn etwas verschwommen sah. Der verquollenen Augen wegen. Er sprang unter die Dusche und säuberte sich singend. Zu den schönen Klängen von Nessun Dorma. Wie das Italiener nun mal machen. Zwar nicht wirklich schön, wie auch, schließlich war seine Familie schon die vierte Generation nicht mehr im Land der schönen Klänge beheimatet, aber immerhin laut. Vielleicht ein weiterer Grund, weshalb Mrs. Zuckerman vornehmlich Blumen pflanzte, gegen die er allergisch war.

Heute war sein großer Tag. Der erste Auftrag würde erfolgen. Er war aufgeregt, doch seiner Fähigkeiten sicher. Es musste also ein kräftiges Frühstück her. Mit allem drum und dran. Also machte er sich ein Meal Replacement Shake mit einem Extraschuß Whey Protein Powder. Einen solchen Körper bekam man schließlich nicht von Eiern mit Speck. Wieder nickte er sich anerkennend zu. Diesesmal jedoch ohne Spiegel. Wer hatte sowas auch schon in der Küche? Doch er war nicht auf den Kopf gefallen und ging wieder ins Badezimmer, vor dessen Spiegel er nochmal nickte und sich anerkennend mit dem Shaker zuprostete. Opa wäre stolz auf ihn gewesen. War er aber nicht. Denn er wusste von all dem nichts. Er war tot. Vor ein paar Jahren an Herzversagen gestorben. Jeder reagiert halt auf seine Weise, wenn er morgens erwacht und in die toten Augen eines Pferdekopfes blickt.

Francesco zog sich seine schwarze Anzugsjacke über, steckte seine Pistole in das Schulterholster und nickte sich im Garderobenspiegel nochmal anerkennend zu. Sicher ist sicher. Dann schloss er die Wohnungstür hinter sich und stellte sich breitbeinig mit den Händen an den Hüften und hoch erhobenen Kinn demonstrativ auf. Anschließend raufte er sich die Haare. Oder hätte es jedenfalls getan, wenn ihm etwas mehr als er schwarze Haarkranz geblieben wäre. Also klatschte er sich nur auf die bis zum Hinterkopf reichende Stirn. Er hatte sein Magazin auf der Garderobe liegen gelassen, als er sich anerkennend zugenickt hatte. Neben dem Wohnungstürschlüssel im übrigen, weshalb es ein zweites mal klatschte.

Mrs. Zuckerman machte ihm natürlich gerne mit ihrem Zweitschlüssel auf. Sie hatte dabei ein diabolisches Grinsen aufgesetzt. Nicht, dass die alte Mrs. Zuckerman je anders als diabolisch grinste, doch dieses mal war es außerordentlich diabolisch. Vermutlich hatte sie Samen besonders allergener Pflanzen in den weiten Taschen ihres rosa, mit Plüsch besetzten Morgenrockes und sah die jungen Pflanzen bereits sprießen. Direkt in Francescos Kopfkissenbezug.
„Danke, Mrs. Zuckerman“, sagte Fransesco, als Mrs. Zuckerman ihm aufgeschlossen hatte und sich wortlos wieder durch ihre offene Wohnungstür begeben hatte. „Sie sind ein Engel.“
„Ach, lecken sie mich doch am Arsch“, sagte sie höflich, aber bestimmt. Vier Uhr morgens schien nicht ihre Zeit zu sein.

Doch Francesco war bereit. Er lud seine Waffe durch und verstaute sie dort, wo er sie zuvor bereits ohne Magazin verstaut hatte. Das anerkennende Zunicken musste ausfallen, denn er war inzwischen nicht mehr in seiner Wohnung, sondern auf dem Weg zum Auto, einem schwarzen Lincoln mit extra großen Kofferraum.

Rückspiegel und erster Auftrag, ich komme.

Kapitel II

Donnerstag, 26. Juni 2008

Hüte

Hüte wirken irgendwie aufgesetzt.


Nur vier Worte und so mehrdeutig. Ich liebe diesen kurzen Satz irgendwie. Hoffe, das klingt nicht aufgesetzt ;-)

Mittwoch, 25. Juni 2008

Volle Züge

Zwei Pendler in recht vollen Zügen
bekämpften im wetteifrig Lügen
einander gescheit,
doch ging es zu weit,
als sie ankamen bevor's sie bestiegen.

Montag, 23. Juni 2008

Nidda

Die Gräfin gelangte nach Nidda.
Per Eselsfrau namens Aida.
Wo der Esel bleibt stehn,
sollte ihr Schloss entstehn.
Kaum hat er gestanden, schallt’s: „Nit da!

Freitag, 20. Juni 2008

Gütersloh

Ein Jungchen aus Gütersloh rannte
als es für sein Liebchen entbrannte,
denn sie lagen im Stroh,
als es lohderte loh
und's Kippchen danach ihn entmannte.

Donnerstag, 19. Juni 2008

Reichelsheim

Wenn Reichelsheims goldener Löwe
Sich paart mit ner goldenen Möwe,
Wird das Land tief und platt
Und das Ried schlicht zum Watt.
Ein Glück passt kein Löwe zur Möwe.

Friedberg

In Friedberg, der Kreisstadt zu Hessen,
der König des Rocks oft ging essen,
nahm sich Kirschen vom Baum
aus dem Ockstädter Raum,
nur zu besingen hat er's vergessen.

München

Ein Preuße zur Brotzeit in München
entkam nur "janz knappe" dem Lünchen.
Es begab sich um vier,
dass er suchte ein Bier,
mit rötlichem Sirup zu tünchen.

Lofoten

Drei Fischersleut von den Lofoten
beangelten von ihren Booten
das beunruhigte Meer
und erstaunten doch sehr,
als hochkamen U-Bootpiloten.

Mittwoch, 18. Juni 2008

Atlantis

Ein Mann aus Atlantissens Westen
kam bei, um den Boden zu testen.
Er befand ihn zu nass,
als er stand tief im Gras,
doch nass fühlt sich Seegras am besten.

Minden

Ein Mädchen aus dem Städtchen Minden
verreiste, Erholung zu finden.
Es erreichte das Ziel
auf Fuerte im Spiel
und auch mich auf ewig zu binden.

Dienstag, 17. Juni 2008

Alabama

Herr Walace verwies, wie man Südstaatler misst
im Herzen des Südens als "Erster Rassist",
doch der "Erste Rebell",
empfand das "not so well",
da auch der Gehörnte ein Southerner ist.

Eberbach

Ein Kuckuck aus Eberbachs Norden
war einst zu ner Taube geworden.
Denn da sie flog schneller,
kam er auf den Teller
und ließ zum Verzehr sich ermorden.

Montag, 16. Juni 2008

Mexiko-Stadt

Ein Charro befand sich in Mexiko-Stadt
Und war bereits trunken, `s gab Tequila satt.
Doch das war ihm schon klar,
Als er die Menge sah.
Nur Hidalgos Pferde setzt das nicht schachmatt.

Sonntag, 15. Juni 2008

Quebec

Ein Bursche aus Kanadas Quebec
Bestellte nen Eimer voll Schweinsspeck,
Doch der Engpass kam schnell
An bestellten Specks Stell.
War klar, denn er war ja in Quebec.

Samstag, 31. Mai 2008

Die verwunschenen Türme von Gloushter Castle

Zu Recht bezeichnete man Sir Jonathan Rimplington als Koryphäe auf seinem Gebiet. Immerhin war er schon seit fast siebzig Jahren der führende Experte für paranormale Phänomene in Schottland. Böse Zungen behaupteten sogar, er habe auch bei der Entstehung von Stonehenge seine Hände im Spiel gehabt. Doch das behaupteten ältere, böse Zungen auch schon zwanzig Jahre zuvor. Und dennoch schauten sie alle ehrfurchtsvoll zu ihm auf.

Sir Rimplington war mit dem Zug von Aberdeen in Richtung Nordwesten gefahren. Trotz seiner 92 Jahre wurde er noch immer regelmäßig beauftragt, Legenden um verwunschene Schlösser und Spukhäuser zu untersuchen. Seine Meinung war etwas Wert. In den seltenen Fällen, wenn Rimplington ein Phänomen nicht erklären konnte, war der finanzielle Erfolg bereits garantiert. Ein Teil der schottischen Bevölkerung brauchte Gespenstergeschichten. Nur so lockte man ausreichend Touristen aus dem In- und Ausland zu den weniger bekannten, ländlichen Gebieten. Die wenigen Fälle, die Rimplington als unerklärbare Erscheinungen klassifiziert hatte, machten seit Jahren gute Kasse. Rimplington glaubte nicht an übersinnliche Phänomene. Was er nicht erklären konnte, wies er zwar nicht als Gespenstergeschichte aus, sondern nur als n o c h nicht erklärbar, doch hörte man das bekannte "Wenn Sir John es schon nicht erklären kann ..." war es als sicher anzunehmen: In diesem Haus spukte es.

Sir John genoss die Zugfahrten stets. Sie waren ruhig. Frei von der Hektik des Straßenverkehrs. Man konnte die Landschaft in aller Ruhe genießen. All die grünen Wiesen. Die wundervollen Highlands. Zwar nannte er noch einen Führerschein sein Eigen, doch nutzte er schon lange kein Fahrzeug mehr. Wohl allerdings auch, da er sich weigerte ein Hörgerät zu tragen. Er war nicht taub, nur ein wenig "eigen, was die Auswahl akustischer Wahrnehmbarkeiten" anbelangt, wie er seinen Gesprächspartnern mit einem Augenzwinkern stets erklärte, wenn sie mal wieder seine Lippen von ihm abgewandt hatten, während sie sprachen.

Ein schwarzes Taxi brachte ihn zu einem Schloss, das, so die sich darum rankende Legende, verwunschen sein sollte. Der Fahrer hatte etwas zu ihm gesagt, wie er an seinem fordernden Blick in den Rückspiegel erkannte. Grinsend lehnte er sich zurück und fuhr sich durch die schulterlangen, schlohweißen Haare, so dass er nun nicht mehr die Augen, sondern die Mundpartie des Fahrers im Spiegel erkennen konnte.
"Verzeihen Sie. Ich war in Gedanken. Was sagten Sie, bitte?"
"Ich wollte nur fragen, ob sie einen Schirm dabei haben, der Regen scheint stärker zu werden und wir sind gleich da. Ich frage nur, weil ich Ihnen sonst gerne meinen leihe."
Der übliche Nieselregen schien sich tatsächlich zu verstärken. Nicht von Nachteil, wie Sir John sich dachte. Immerhin würde sich der Nebel dann verziehen.
"Vielen Dank, das ist sehr nett von Ihnen. Doch schauen Sie! Mein Gastgeber wartet bereits mit einem geräumigen Schirm auf mich."
Der Fahrer folgte seinem Fingerzeig und erkannte einen dicklichen, kleinen Mann in einem grauen Zweireiher, der mit einem weißen Schirm, auf dem "Smile! It`s Scotland!" in roten Buchstaben stand, vor dem großen Torbogen zum Park des Schlosses wartete.
"Das ist aber sehr nett.", sagte der Fahrer. "Wann darf ich Sie wieder abholen?"
"Mein Zug geht um zwölf Uhr mittags. Wenn Sie gegen halb zwölf hier sein könnten?"
Der Taxifahrer bejahte, ließ sich sein Salär auszahlen, das Rimplington durch ein großzügiges Trinkgeld krönte und übergab seinen Fahrgast dem wartenden Schloßherren. Rimplington war entzückt, mochte er doch nur ungern, im Regen stehen gelassen zu werden.

Lord Gloushter war das, was ein Tourist wohl erwarten würde, dächte er an einen schottischen Lord. Sein Gesicht war umrahmt von einem stolzen Backenbart, farblich passend zu seinem Anzug, und auf dem Kopf befand sich eine graue Tweedmütze. Und falls das noch nicht reichte, konnte Lord Gloushter noch mit der in den rot-blau-grünen Karomustern seiner Familie auftrumpfen, die die Weste in ein frohes Farbenspiel tauchte, die seinen voluminösen Bauch umgab.

"Ich freue mich sehr, Sie auf Casle Gloushter begrüßen zu dürfen, Sir Rimplington. Es ist mir eine Ehre." Nach Austausch der üblichen, höflichen Floskeln des gehobenen Small-Talks, führte Lord Gloushter seinen Gast den langen, gewundenen Weg durch den Schlosspark hoch zum Herrensitz. Der leichte Nebel begann sich bereits zu verziehen und gab erste Blicke auf das Schloss frei, das scheu zwischen den Bäumen hervorlugte. Zu Sir Johns Erstaunen, war es ein befestigtes Schloß mit einem Innenhof. Der Park muss also später angelegt worden sein. Die zwei Türme des Schlosses ragten bedrohlich an den Seiten des Eingangsportals empor. Das stählerne Gatter mit den üblichen spitzen Stäben am Bodenende war hochgezogen und hing respekteinflößend über ihnen, als sie durch das Tor hindurch schritten und den Innenhof betraten.

"Das sind die beiden.", flüsterte Lord Gloushter während er mit dem Finger auf sein Hörgerät klopfte, um die schwachen Batterien wieder zum Leben zu erwecken. "Die verwunschen Türme von Gloushter Castle. Aber erst lassen Sie uns erst ein Frühstück im Haupthaus einnehmen, bevor ich mehr erzähle. Meine Haushälterin hat uns eine Kleinigkeit zubereitet."

Während Sie aßen, erklärte sein Auftraggeber, dass dieses Schloss der alte Familiensitz seiner Linie sei. Der erste genau genommen. Er habe seit dem 14. Jahrhundert leer gestanden, während seine Vorfahren in einer neuen Schlossanlage 30 Meilen nördlich residierten. Dies sei auch noch immer der offizielle Familiensitz. Lord Gloushter schilderte, wie er vor zwei Jahren die Idee hatte, das Schloss wieder instand zu setzen, um es zu einem Hotel mit Konferenzräumen und allem für den gestressten Manager von heute zu machen. Die Arbeiten seien fast abgeschlossen, doch traue sich keiner der ortsansässigen Arbeiter in die beiden Türme.

„Nun, dann lehne ich mich nun zurück, was nach diesem wundervollen Frühstück für sich genommen bereits angebracht wäre, und lausche gespannt der Legende, die sich um die verwunschenen Türme von Gloushter Castle ranken. Versäumen Sie bitte nicht, werter Lord Gloushter, Ihrer Haushälterin meine vorzüglichen Glückwünsche zu Ihrer Kochkünsten zu übermittlen.“
„Sehr gerne. Vielen Dank, Sir Rimplington!“ sagte der alte Lord und begann mit seiner Geschichte.
„Es trug sich Ende des 14. Jahrhundert zu. Genau genommen im Herbst des Jahres 1397. Der erste Lord Gloushter, Aonghas Gloushter, unterhielt einen Hofmagier mit Namen Dòmhnall, wie es zu der damaligen Zeit des Aberglaubens und der Naturgötter üblich war. Er war besonders als Seher und Heiler bekannt. Wann immer Krankheiten in den umliegenden Dörfern ausbrachen, entsandte Aonghas seinen Magier und sie verschwanden in kürzester Zeit. Es soll ein weiser Magier gewesen sein. Kein Scharlatan. Auch die Kinder des Lords unterrichtete er liebevoll in allem damals bekannten Wissen. Der Gattin des Lords, Lady Maighread, stand er bei der Deutung der Sterne zur Seite. Und genau darin lag das Problem. Ein Magier, der von allen Bewohnern des Schlosses geschätzt, bewundert und gemocht wurde. Eine Gattin, die ihn gleichfalls schätzte, bewunderte und mochte und immer öfter nachts aufsuchte. Und ein Gatte, der zwar wusste, dass Sterne nur nachts am Himmel waren, jedoch andere Vorstellungen hatte, was die Sterne ihrerseits zu diesen Nächten zu sehen bekämen. Also bezichtigte er Dòmhnall, Lady Maighread verhext zu haben und Lady Maighread selbst des Ehebruchs. Der Magier war sehr entzürnt darüber, insbesondere vermutlich, wie die Aufzeichnungen vermuten lassen, da er es den alten Griechen, in deren Tradition er sich sah, nachtat und Jünglingen den Vorzug gab.“

Sir John konnte sich ein kurzes Schmunzeln nicht verkneifen, was auch auf Lord Gloushter ansteckend wirkte.

„Jedenfalls kam es zu einem Streit“, fuhr er fort, „an dessen Ende Aonghas seinen besten Mann mit dem Schwert vom Hofe trieb und ihn aus seinen Ländereien verbannte. Vor dem Schloss stehend soll Dòmhnall dann einen Fluch gesprochen haben, doch der Lord verlachte ihn nur. Nicht so seine Bediensteten. Sie wussten um Dòmhnall Können. Die meisten flohen in den nächsten Tagen und selbst die treusten Diener seiner Lordschaft nahmen bald Reißaus. Merkwürdige Stimmen ertönten von den Türmen. Türen und Fenster öffneten sich wie von Geisterhand. Und man spürte stets Blicke auf sich, wenn man die Türme im Rücken hatte. Auch meines Ahnen Lachen verstummte irgendwann. Doch er wäre nicht Lord Gloushter gewesen, wenn er untätig geflohen wäre. So beauftragte er zu Winteranfang Handwerker aus seinen Dörfern, die Türme einzureißen. Während sich Aonghas in seinem Schlafgemach des Haupthauses, in dem wir uns gerade befinden, einschloss, konnte er doch die notwendige Verunstaltung seines Schlosses nicht ertragen, begannen lautstark die Arbeiten. Hämmern, Sägen, das Krachen von Brettern, Schreie und letztlich Stille. Aus dem Fenster musste seine Lordschaft wohl allenthalben noch die fliehenden Arbeiter erkannt haben, die, eilig wie der Wind, zurück in ihre Dörfer rannten, als der der Teufel persönlich an Ihren Fersen. Nun muss auch Aonghas Panik ergriffen haben. Doch seine Flucht misslang. Man hatte ihn mit eingeschlagenem Schädel tot am Torbogen gefunden. Die Legende sagt, die verwunschenen Türme hätten ihn erschlagen. Neben ihm lag allerdings der Sattel seines Pferdes, das man wiederum im umliegenden Wald umherziehend fand, so dass ich eher vermute, dass er in seiner Panik nachlässig beim Satteln war, so dass sich der Sattel bei seiner Flucht zu Pferde löste und er mit tödlicher Folge vom Pferd fiel.“

Sir Rimplington nickte zustimmend, während Lord Gloushter fort fuhr. Draußen donnerte es und grelle Blitze zuckten, als wolle der Himmel, der seine Fluttore mittlerweile weit geöffnet hatte, gemahnen, die Gruselstimmung der Legende nicht mit allzu viel Logik zu zersetzen.

„Im Dorf erzählten sie, bei den ersten Hammerschlägen seien die Mauern erzittert und Stimmen wie Donner seien erklungen. Türen und Fenster hätten nach Ihnen geschlagen und Ziegel seien nach ihren Häuptern geschleudert worden. Lady Maighread, die seit der Verbannung Dòmhnalls auf dem Sitz von Aonghas Bruder lebte, veranlasste daraufhin, dass ein neuer Sitz gebaut würde. Sie heiratete Ihren Schwager nach dem Tode ihres Gatten und die Geschichte der Linie Gloushter begann erneut.“

„Eine schöne Geschichte.“, sagte Sir John. „Ich denke jedoch eher, dass Euer Magier doch nicht so weit geflohen war und die Fäden beim Tor- und Türöffnen nicht nur buchstäblich in der Hand hatte. Aber das sollte sich herausstellen lassen. Waren die Türme seit der Zeit verschlossen?“
„Nein. Immer wieder trauten sich Wagemutige und Abenteurer, in der neueren Zeit vornehmlich Jugendliche aus den umliegenden Gemeinden, hinein. Mit den unterschiedlichsten Ergebnissen. Manche berichten, es sei nichts passiert. Andere wiederum flohen Hals über Kopf.“

Noch eine halbe Stunde fragte Sir Rimplington seinen Gesprächspartner über die unterschiedlichsten Aspekte aus, bis er schließlich ankündigte, nun mit der Untersuchung beginnen zu wollen. Er ließ sich von Lord Gloushter zu den Türmen führen und betrat den ersten. Der Lord ließ es sich nicht nehmen, ihn zu begleiteten. Wer würde die Chance schon verstreichen lassen, dem großen Rimplington bei der Arbeit zuzuschauen, die sich jedoch als wenig spektakulär erwies. Er klopfte an Wände, befühlte die Deckenwände mit seinen Handflächen, schüttelte an Türzargen und verfing sich immer wieder fluchend in Spinnennetzen so groß, um kleine Hunde darin fangen zu können. Akribisch inspizierte er jeden Raum der beiden Türme.
„Haben Sie schon etwas gefunden? Könnte es vielleicht doch wahr sein, Sir Rimplington?“
„Ich glaube nicht an Gespenster, Geister und verwunschene Türme, Lord Gloushter. Alles lässt sich erklären. Man braucht nur die richtige Spur und das richtige Geschick, sie zu deuten.“

Im obersten Stock des linken Turmes stockte Rimplington plötzlich. Beim Befühlen der Deckenwand erfühlte er eine Unebenheit. Er stieg von seiner kleinen Leiter ab und schaute sich im Raum um. „Was haben Sie?“ fragte der Lord, was Sir John jedoch nicht beantworten konnte, da er ihm zu Rücken stand. Ein auf den ersten Blick zu fein verfugter Stein hatte seine Aufmerksamkeit gebannt. Er bewegte sich ehrfürchtig zur Wand hin, streckte seine Hand aus und schob ihn mit Kraft hinein. Ein lautes Rattern drang hinter der Wand hervor und der erschrockene Lord Gloushter musste sich mit einem Sprung nach hinten retten, sonst wäre er wohl von dem herunterfahrenden Zugang zu einem geheimen Boden erschlagen worden. Mit einem breiten Lächeln lud Sir John ein, ihm zu folgen.
„Unglaublich.“, sagte er, als beide den Boden betreten hatten. „Wenn nicht allein diese Konstruktion schon Scharen an Touristen hier her locken wird …“
„S i e sind unglaublich, Sir John.“, staunte Lord Gloushter beim Anblick all der Hebel, Zahnräder und Seile, die den Raum zu einer regelrechten Schaltzentrale machten. „Fast sechshundert Jahre ranken sich die Legenden um die verwunschenen Türme von Gloushter Casle und Sie schlendern eine Stunde herum und entlarven es als geniales Meisterstück eines beleidigten Magiers. U n g l a u b l i c h !“.

Die Schaltinstrumente waren umgeben von zahlreichen Werkbänken, Schränken mit allerlei Glasbehältnissen, deren Inhalte schon Jahrhunderte verdunstet sein mussten und nur verschiedenfarbige Beläge auf den Innenwänden zurück gelassen hatten. Zeichentafeln standen Reihe an Reihe und offenbarten Zeichnungen von Konstruktionen, die einem Galileo Galilei würdig waren.
Nach einer weiteren halben Stunde konnte Sir John den kompletten Mechanismus erklären und versprach seinen Bericht zusammen mit seiner Honorarforderung in den nächsten Tagen per Post zustellen zu lassen.
In dem geheimen Arbeitsraum des linken Turmes liefen alle mechanische Konstruktionen zusammen, die die Fenster und Türen beider Türme zu steuern in der Lage waren. Die zueinander geneigten Außenwände beider Türme waren dicker als die anderen Seiten und beherbergten einen schmalen Gang, der es dem Magier ermöglichte, unerkannt, über einen unterirdischen Stollen, von einem Turm zum anderen zu wechseln. Auch führte ein Abzweig vom Stollen weit außerhalb des Schlosses zu einem versteckten Ausgang und einer zum Haupthaus und zwar unmittelbar in das Schlafgemach von Lady Maighread.
„Ein raffinierter Bursche, dieser Dòmhnall.“, sagte Sir Rimplington. „Ganz offensichtlich stand er doch nicht ganz so in Tradition seiner gelehrten, griechischen Vorbilder.“
„All diese Gänge.“, sagte Lord Gloushter. „Kaum zu glauben, dass er all das unentdeckt anlegen konnte. Und alles nur, um eine Affäre mit meiner Ahnin zu haben.“ Verwundert schüttelte er den Kopf.
„Nein.“, gab Sir John einen Teil seiner Gedanken preis. „Ich denke, dass dieser Gang erst später angelegt wurde. Einige Hinweise in der Art wie der Tunnel abzweigt, könnte man so deuten. Ich denke, das alles war zunächst nur Selbstzweck. Als die Liebschaft begann, mag er den zusätzlichen Geheimgang erst angelegt haben. Ich vermute auch, die Schäferstündchen fanden im Schlafgemach des Haupthauses statt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dòmhnall jemanden eingeweiht hätte. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass er stets heimlich und unentdeckt bei ihr erschien, was seinen Status als Magier ihr gegenüber bestimmt ins unermessliche gesteigert haben konnte. Der Gang nach draußen wird jedoch zur gleichen Zeit wie der zwischen den Türmen entstanden sein.“ Der nicht preisgegebene Teil seiner Gedanken lautete: „Zumindest Lady Maighread ist mit Sicherheit Ihre Ahnin.“ Bis zu diesem Moment wusste Sir Rimplington noch nicht, dass er in Gedanken lachen konnte. Er konnte es.
„Ich vermute, er legte diese Konstruktionen an, um von seinem Arbeitszimmer aus alles steuern zu können, ohne sich durch vermeidbare Wege von seiner Arbeit ablenken zu müssen. Von hier aus konnte er sämtliche Fenster und Türen bedienen, unmittelbar in seinen zweiten Turm wechseln und sogar die Temperatur regeln. Sehen Sie dieses Miniaturmühlenrad neben dem Kamin?“
„Ja!“, antwortete Lord Gloushter gebannt.
„Den heißen Rauch seines Kamins leitete er nicht nach draußen, sondern über einen dünnwandigen Schacht, der parallel zu seinem Geheimgang bis in den anderen Turm läuft, in beide Gebäude. Ich bezweifle zwar, dass viel Wärme in den zweiten Turm gelangen konnte, doch die Idee ist genial. Mehr als genial, bedenkt man, dass es das 14. Jahrhundert war.“
Noch über eine Stunde unterhielten sich die beiden über die vielseitigen Möglichkeiten all der fantastischen Konstruktionen bis sie das Hupen des Taxis unterbrach. Lord Gloushter bedankte sich überschwänglich und begleitete Sir John erneut mit seinem Schirm zum Schutz vor dem jedoch wieder schwächer werdenden Regen zum wartenden Taxi. Nachdem es aus dem Sichtfeld des Lords verschwunden war, machte er sich wieder auf zum Schloss.
Um folgenden Dialog mitzubekommen, war er jedoch noch zu weit entfernt. Außerdem hätte er dazu wieder auf sein Hörgerät klopfen müssen.
„Aber Du musst das doch gespürt haben? Ich war wie erstarrt vor Angst.“
„Das war nur der Wind.“, sagte der linkte Turm. „Ich persönlich glaube nicht an Menschen.“

Mittwoch, 28. Mai 2008

Sommerliebe

Heiß beleuchtet mich das Gelbgestirn
Lässt den Schweiß in Strömen rinnen.
Immer träger werden Gang und Hirn.
Macht mich fühlen wie von Sinnen.

Doch tauschen würde ich sie nie,
Meine schöne, trockne Sommerszeit.
Und zwäng mich Celsius auch zu Knie,
Wär zum Winterstausche nie bereit.

In keiner Zeit fühl ich so sehr,
Dass ich einen Körper habe,
Und werde eins mit Strand und Meer,
Weil ich mich der Wärme labe.

Bleib bei mir, heißer Sonnenstern,
Entlocke weiter Körpers Tränen.
Halt mir die Kälte weiter fern
Und lass mich selbst gen Meer mich sehnen.

Liebe findet sich

Man kann sich Geben und Bemühen wie man will,
Liebe lässt sich weder kaufen noch erzwingen.
Pack es wie Du willst, es wird dir nicht gelingen.
Suchst Du die Liebe, bleibe leis und horche still.

So horch in dich hinein, leb gänzlich nur dein Ich
Und vergiss dies Glück-in-andren-finden-müssen.
Zarte Lippen werden Deine liebend küssen,
denn wahre Liebe unverhofft stets findet sich.

Sonntag, 18. Mai 2008

Ausziehende Blicke

In einer Sauna gibt es keine ausziehenden Blicke.


So, das musste mal niedergeschrieben werden. Wenn dieser tiefgründige Sinnspruch keine Diskussion wert ist, weiß ich auch nicht weiter. Dann wende ich mich vielleicht dem Ausdruckstanz zu, um mich künstlerisch zu entfalten ...

Montag, 28. April 2008

Proklamation in ureigenster Sache

So, meine Lieben. Mir fällt nichts mehr ein. Daher bin ich  g e z w u n g e n,  satte 11 Tage das Land zu verlassen. In Richtung Inspiration. Einatmen heißt das im Übrigen, wie ich kürzlich erklärt bekam. Und einatmen werde ich warme, trockene Luft nordafrikanischen Klimas und das auf Fuerteventura. Und zwar zusammen mit dem Herrn Nachtwächter, der die Aufgabe widerwillig übernommen hatte, zu überwachen, dass ich Inspiration und nichts als Inspiration zu atmen bekommen. "Wohl bekomm's!", möchte man da rufen. Was ich auch tue. Aber erst morgen gegen 10:00 Uhr Ortszeit, wenn wir angekommen sein werden.

Und damit niemand gelangweilt die alten Texte meines Blogs lesen muss, sich immer und immer wieder fragend, ob es denn hoffentlich Inspiration auf Fuerteventura geben mag, habe ich rechtzeitig ein Gemeinschaftprojekt mit der wundervollen und begabten Calliope gestartet.

Wir haben es "Das literarische Metronom" getauft und planen, uns auf diesem Blog, zum Takt des virtuellen Metronoms, den ebenso virtuellen Schreibstift 
kapitelweise zuzuschieben und so peux à peux eine hübsche, kleine Kriminal-
geschichte entstehen zu lassen.

Man darf also gespannt sein. Das erste Kapitel ist für Mitte Mai geplant ...

Liebe Grüße und bis bald,
Euer Träger des Lichts

Das seltsame Leben des Magnus Vates
Kapitel II

„Ey, Mann! Echt! Diese abgefuckten Punks. Den nächsten, den ich in die Finger kriege, wird selbst seine Mutter nicht mehr lieben wollen. Das kannste mir glauben!“, sagte Michael, den aber alle nur Terror nannten. Und Terror war ein Name, der treffender kaum sein konnte. Wo er auftauchte, gab es Terror. Insbesondere dann, wenn er Alkohol getrunken hatte. Und davon hatte er heute reichlich. Erst vor eine halben Stunde hatten Punks ihr Vereinsheim überfallen und die Theke angezündet. Terror sinnte auf Rache. Wütend verschränkte er die Arme und starrte hinaus auf die vorbeiziehenden Wände des U-Bahnschachts. Seine Beine hatte er auf der gegenüberliegenden Sitzbank abgelegt. Er trug seine Stahlkappenspringer mit den obligatorischen weißen Schnürsenkeln. Heiner, der ihm schräg gegenüber saß, nickte nur grimmig und deutete mit seinem Daumen an, eine Kehle durchzuschneiden.

„Ja. OK, Mann. In zehn Minuten sind wir auch da. Haltet euch in den Schatten. Terror hat gesagt, ihr sollt nichts ohne ihn beginnen. Genau, Mann. Ein Befehl!“, kommandierte Ronny, der geschäftig im Mittelgang hin und her marschierte in das Handy. Ein weißes „K88“ hatte er im Vordergrund eines roten Hakenkreuzes mit Lackfarben auf die Schale gezeichnet. Der Kameradschaftsbund 88. Das waren s i e. Das war ihre Heimat. Sie gab ihnen Halt. Sie gab ihnen Beschäftigung. Sie war ihr Rückgrat. Und jetzt schwelte die alte Theke ihres Clubs, an der sie so viele Nächte gezecht und die alten Lieder gesungen hatten, vor sich hin.

Terror drehte durch deswegen. Eine gefährliche Situation. Nur keine Widerworte geben. Terror war seit drei Jahren ihr Anführer. Er hatte K88 gegründet und hatte große Pläne. Allein im letzten Jahr hatten sie vier andere Kameradschaften feindlich übernommen. In der Regel bedeutete das, das Terror ihre Anführer auf die eine oder andere Weise überzeugt hatte, sich K88 anzuschließen und sich ihm unterzuordnen. Anfangs waren sie gerade mal zu zehnt. Alle aus dem gleichen runtergekommenen Viertel. Jetzt nach drei Jahren waren sie weit mehr als 200. Und Terror hatte große Pläne. Alles musste geheim gehalten werden. Keiner durfte jemandem etwas von ihrer Organisation erzählen. Für den Verfassungsschutz waren sie nur 200 einzelne Skinheads. Die würden sich noch wundern, dachte sich Ronny allzu oft, wenn sie Terrors polemischen Reden über seine Pläne lauschten.

Sie hatten fast die Hälfte der urbanen Säuberungstruppe der K88 zusammengetrommelt. Bis sie im Industriegebiet angekommen sein würden, wären über 50 kampferprobte Skinheads dort versammelt. Eine der Fabrikhallen war von Hausbesetzern in Beschlag genommen. Terror wusste zwar, dass keiner von denen für den Brand verantwortlich war, doch es mussten Zeichen gesetzt werden, so waren seine Worte, als sie vor dem ausgebrannten Vereinsheim standen. Und Terror schrieb seine Zeichen in Blut, das wusste Ronny.

Er war seit einem Jahr Terrors rechte Hand. Sein Vorgänger wollte aussteigen und drohte, sie alle an die Polizei zu verraten, wenn sie ihn nicht gehen ließen. Terror legte ihm damals den Arm um die Schulter und sprach ganz ruhig, dass er natürlich aussteigen könne, immerhin sei er ihm eine große Hilfe gewesen. Als er ihm die versöhnende Hand reichte und er sie erleichtert ergriff, schlug Terror mit einem Glasascher auf ihn ein. Es dauerte fast eine Minute bis er fertig war. Terror war über und über mit Blut, Hirn und Schädelstückchen übersäht. Er sah aus wie ein wahnsinniger Schlachter. Und das war er. Als er von seinem Opfer aufstand, sagte er mit völlig ruhiger Stimme zu Ronny, dass er jetzt sein neuer Oberstgruppenführer sei und als ersten Auftrag dafür sorgen solle, dass jemand die „Verräterreste“ wegschaffte.

„Nächster Halt: Industriegebiet Ost. Ausstieg rechts“, tönte es blechern aus den Lautsprechern.
„Das glaube ich kaum“, grunzte Terror düster und stand auf. „Auf geht’s!“
Ronny und Heiner flankierten ihn und warteten an der Tür, bis der Zug zum Stillstand kam.

Ihr Wagon kam direkt vor einer der Wartebänke zu stehen, wo ein hagerer Geschäftsmann mit dichtem schwarzen Haar saß und sie anstarrte. „Was’s das für’n Arsch?“, kam von Heiner, dem langen Heinz, wie ihn alle nannten. Er war Terrors persönlicher Leibwächter. Er hatte sich auf der Straße einen Namen gemacht, und keiner wollte sich mit ihm messen. Er kam erst vor einen halben Jahr dazu. Direkt vom Knast in die K88. Er hatte dreieinhalb Jahre sitzen müssen, weil er bei einer Schlägerei mit drei Türken einen von ihnen erschlagen hatte. Extensiver Notwehrexzess hieß es. Terror holte ihn am Entlassungstag vom Knast ab. Sie wurden sofort Partner. Zwei vom gleichen Schlag.

„Mit dem machen wir uns warm, Alter“, sagte Terror ruhig und schlug mit der Faust in seine Hand. Als die Tür sich öffnete, schaute der Schlipsträger gerade zur Anzeigetafel. Sie bauten sich vor ihm auf, und Terror stieß ihm gegen den Fuß.
„Was hast Du uns so angestarrt, Du Schwuchtel?“, raunte Terror ihm entgegen, doch der Typ reagierte nicht. „Ey, Penner? Du nix verstehen?“, schob der lange Heinz aggressiv hinterher, und noch immer wurden sie nur aus abwesenden Augen angestarrt.
Terror ließ sein Messer aufschnappen. Das war sein Zeichen. Der Anzugmensch konnte nur noch fragen, was sie von ihm wollten, als Heiners Hand in seinen Haaren war und seinen Kopf nach hinten zog. Wie schon so oft, wenn sie Überzeugungsarbeit leisten mussten, setzte Terror sein Messer geübt an die Kehle dieses armen Teufels. Er war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort.

„Wir legen Dich um, Du dreckiger Homo. Was hast Du uns so angestarrt, Du …?“, brüllte Terror ihm entgegen und verstummte plötzlich. Ronny und Heiner starrten ihn perplex an.
„Es heißt: W a r u m hast Du uns so angestarrt? Und nicht W a s!“, flüsterte es ihnen grinsend entgegen. Terrors Augen waren geweitet und voller Panik. Sein Messer begann zu zittern und entfernte sich langsam vom Hals des Büromenschen. „Was ist los?“, fragte Ronny mit Verwirrung in der Stimme. Zu mehr kam er nicht mehr. Terrors Messer stak ihm in der nächsten Sekunde im Hals und noch bevor der lange Heinz deswegen erschrecken konnte, ereilte ihn das gleiche Schicksal. Terror ließ die Hand sinken und tat drei Schritte zurück. Jetzt stand der junge Mann auf und schaute ihm in die Angst geweiteten Augen. Er legte seinen Kopf leicht schief, grinste und kommentierte mit einem „Aha!“, dass es jetzt weiter gehe. Terror beugte sich über Ronnys leblosen Körper, nahm dessen Handy an sich und wählte den Polizeinotruf: „Guten Abend, mein Name ist Michael Karlstein. Im Industriegebiet Ost sammelt sich gerade eine große Gruppe Skinheads, um die Hausbesetzer in der Dieselstraße zu erschlagen. Kommen Sie schnell!“
Nach dem Auflegen trug er unter den stechenden Blicken des Geschäftsmanns erst seinen leblosen Leibwächter in den schwarzen Tunnel und entschwand dann selbst mit seinem Oberstgruppenführer auf den Schultern im Dunkel.

Als die U-Bahn einfuhr, hörte man ein kurzes, fernes Rumpeln. Der alleine auf dem Bahnsteig Zurückgebliebene stieg ein und freute sich, endlich nach hause zu kommen. Er freute sich auf sein Bett.

Kapitel IKapitel III

Samstag, 26. April 2008

Das seltsame Leben des Magnus Vates
Kapitel I

Erschöpft ließ sich Magnus auf einer der leeren Wartebanken in der U-Bahnstation nieder. Es war wieder einmal halb eins geworden, bis er aus dem Büro weg kam. Er hasste das. Warum konnten seine Chefs die Arbeit nicht vernünftiger aufteilen? Immer lastete alles auf ihm.

Der Bahnsteig war leer. Wer arbeitete auch noch um diese Zeit noch? Außer Pendlern verirrte sich ohnehin niemals jemand ins Industriegebiet. Wozu auch? Ein paar Geschäftsleute, die ihre Kontakte pflegten. Ein paar Handelsvertreter. Und natürlich die vielen Zulieferer.
Doch es musste wohl das einzige Industriegebiet der Welt sein, bei dessen Planung man keine normalen Kunden haben wollte. Es gab kein einziges Geschäft, geschweige denn ein Einkaufszentrum, das einen Normalbürger herlocken würde. Nichts. Nur Fabrikhallen und Bürogebäude. Ebenso langweilig und trist wie Magnus’ Job.

Warum musste er unbedingt in die Buchhaltung gehen? Ihm mit seinen Talenten hätte alles offen gestanden. Doch er hielt sich an die Tipps, die er bekam: Such Dir einen unauffälligen Job, kleide Dich unauffällig und verhalte Dich unauffällig.
Unauffällig. Dieses Wort begleitete ihn schon sein ganzes Leben, und er konnte es nicht mehr hören. Am Liebsten würde er aus all dem ausbrechen. Aber das kann er nicht. Viel zu gefährlich. Außerdem würden s i e es nicht zulassen.

Unauffällig. Immer nur unauffällig. Erschöpft seufzte Magnus, legte seinen Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Die Geräusche in der Menschen verlassenen U-Bahnstation verstärkten sich scheinbar, kaum dass er sie geschlossen hatte. Leise pfiff der Wind durch die dunklen U-Bahnschächte. Irgendwo her ein Klackern. Auf dem Schotter zwischen den Gleisen das Trappeln kleiner Mäusefüße. In der Ferne tropfte Wasser von der Decke. Ansonsten eine Stille, die jedem eine Gänsehaut bringen würde.

Magnus öffnete die Augen, stützte sich mit den Ellenbogen auf die Knie und schaute konzentriert zwischen die Gleise. Da saß sie, die kleine graue Hausmaus, die er zuvor gehört hatte. Neugierig blickten ihn zwei schwarze Knopfaugen an. Magnus Augen zuckten kurz und unmerklich, dann setzte sich die Maus in Bewegung, lief über die Gleise, den Bahnsteig hoch und direkt zwischen seine Füße. „Na, kleiner Freund. Überrascht?“, sagte er, während die Maus nur kurz erzitterte. „Keine Angst! Ich tu Dir nichts. Lauf! Du bis frei!“
Wie von einem Halsband befreit, drehte sich die Maus sofort um und entschwand in einem der Stadtbahntunnel.

Gleich würde die nächste U-Bahn einfahren. Die darauf wäre dann seine. Nur noch zehn Minuten. Wie sehr er sich auf sein Bett freute. Die ganze Woche war schon so verlaufen. Lange würde er das wohl nicht mehr mitmachen. Jeden Tag zehn bis zwölf Stunden Arbeit ohne Pausen. Und ohne die Einsicht seiner Vorgesetzten. Wie sagte sein Senior Manager so schön heute bei der allwöchentlichen Motivationsrede: „Herr Vates, sie wissen, dass ich diese Aufgaben keinem anderen anvertrauen kann. Sie sind der Beste, den wir haben!“ Wie schön! Schade nur, dass er die ganzen Jahre nie gespürt hat, dass es so wäre. Nur eine Beförderung in den letzten fünf Jahren, und für die musste er selbst sorgen. Dafür immer mehr Aufgaben und immer mehr Verantwortung.

Die S-Bahn fuhr ein. Müde schaute Magnus in die leeren Wagons, während sie, immer langsamer werdend, an ihm vorbei zogen. Als der Zug zum Stillstand kam, blickte er nicht mehr in einen leeren Wagon, sondern in die übellaunigen, grimmigen Gesichter dreier Skinheads. Magnus starrte sie regelrecht an. So erstaunt war er, dass um diese Uhrzeit überhaupt jemand in der U-Bahn war. Und dass auch noch jemand hier aussteigen würde, um zwanzig vor eins, konnte er sich nicht erklären. „Vielleicht ist eines der verlassenen Fabrikgebäude ihr Ziel“, dachte er sich und blickte zur Anzeigentafel. Acht Minuten noch. „Bett! Ich komme!“, kam ihm voll Vorfreude zu Gedanken.

Jemand trat gegen seine Schuhe. Als Magnus seinen Blick wieder von der Tafel zurückwandte, hatten sich die drei Glatzen um ihn herum aufgestellt.
Ein großer, gobschlächtiger Kerl mit einem schwarz-rot-karierten Blouson ergriff das Wort: „Was hast Du uns so angestarrt, Du Schwuchtel?“

Magnus war überrascht. Eigentlich war er schlagfertig, aber er war aus den Gedanken gerissen worden. Das brachte ihn auch im Büro immer wieder aus dem Konzept. Seine Gedanken gingen oft auf Reise.

„Ey, Penner? Du nix verstehen?“, sagte der Lange links von ihm. Sie waren nicht mal einen halben Meter von ihm entfernt. In der Intimdistanz, wusste er aus seinem Studium. Neben BWL hatte er auch ein paar Semester Psychologie belegt. Eine schöne Zeit war das damals.

Ein metallenes Schnappen erklang. Der Dicke vor ihm ließ ein Springmesser aufklappen. Und hielt es bedrohlich vor dem massigen Bauch mit der Spitze ihm zugewandt.

„Was wollt ihr, Jungs? Ich bin wirklich viel zu müde für so was!“, murmelte Magnus dem Anführer gelangweilt entgegen. Plötzlich griff der dritte Skin, ein kleiner drahtiger Kerl mit oliver Bomberjacke und rotem Halstuch, in Magnus Haare und riss seinen Kopf nach hinten. Wie als sei es einstudiert, schnellte die Messerhand des Dicken nach vorne und verharrte mit der Schneide an Magnus Halsschlagader. Ein leichter Riss entstand und begann sofort zu bluten.

„Wir legen Dich um, Du dreckiger Homo. Was hast Du uns so angestarrt, Du …?“, brüllte der Dicke und verstummte mitten im Satz ebenso plötzlich wie seine Hand nach vorne geschnellt war. Panik zeichnete sich auf seinen Augen ab. Seine beiden Gehilfen drehten ihm verwirrt die Köpfe zu.

Magnus Lippen umspielte ein hämisches Grinsen. „Es heißt: W a r u m hast Du uns so angestarrt? Und nicht W a s!“
Ein kaum merkliches Zucken ging durch Magnus’ Pupillen, als sich der Lange und der Drahtige ihm wieder zuwandten.

Kapitel II

Donnerstag, 24. April 2008

Verliebt

Wenn sich eine Unruhe in Dir verbreitet
Und nur einen einzigen Ruhepol ersehnt,
Wenn sich Dein Lächeln auf andere verbreitet,
Wenn Dein Mund ihren schönen Namen nur erwähnt,
Wenn Du die ganze, weite Welt umarmen willst,
Doch Deine Sehnsucht nur mit ihr im Arme stillst,
Wenn Du fühlst, dass Dein Traumesleben wirklich wird,
Solange sie nur zart in Deinem Herz logiert,
Und Du Dich glücksgefangen fragst, wie es das gibt,
So ist die Antwort denkbar leicht: Du bist verliebt!

Montag, 21. April 2008

Warum?

Fragend richte ich den Blick gen Himmel.
Über meinem Haupt kreist ein Warum.
Warum hast Du mich verlassen?
Warum hast Du mir das angetan?
Doch nur ein Habicht ruft einsam
Und ohne Antwort mir entgegen.
Bist auch Du verlassen?
Fragst auch Du nach dem Warum?
Ist der Himmel leer?
Keine Antwort scheint am Firmament.
So hör ich weiter Deinen Schrei verhallen.
Du siehst mich weiter dieses Nichts anstarren.
Bis der Grund für das Warum
Gleich Deinem Schrei im Nichts verhallt.

Sonntag, 20. April 2008

Tränen

Warum nur tragt ihr nach außen mein Leid?
Kein Grund für klammes Wangen bewandern.
Bewandert doch die Wangen der andern!
Zieht fort! Ich gelobe freies Geleit.

Ich brauche Euer Salz nicht schmecken,
Auch nicht eure Ströme auf mir ziehen,
Keinen tränenschweren Fall zu Knien.
Zieht fort! Zieht fort aus euren Verstecken.

Meine Lieder schrieb ich bereits mit Salz
Der Tränen, die ich still in mich geweint,
Mit dem Blute des Herzens, das mir greint.
So zieht fort! Zieht fort auf Trauers Walz.

Mittelerde-Zyklus: Erwachen

Geknechtet vom dem Joch der Orkenscharen
Kniet der Menschenkrieger, taub vor Scham,
Vor der Truhe, der er einst sein Schwert entnahm,
Und führt sein Messer zu den grauen Haaren,

Die einstmals wild wallten und widerstanden
Jedem Kamm, die bis zu den Schultern reichten,
Die sich niemals beugten und nie erweichten,
gleich ihm im Kampfe gegen Orkenbanden.

Mit jedem Büschel ergrauten Haars, das fällt,
Kehren alte Schlachtenlieder ihm zurück.
Vergessene Kräfte wachsen Stück für Stück
Und führen Streitaxt wie Schwert zurück ins Feld.

Der letzte Schnitt. Die Verwandlung ist vollbracht.
Stahlgraue Augen erblicken sich im Schild.
Nicht mehr seine Haare, das Lachen wird wild.
Orks, habt Acht! Der Orkenschlächter ist erwacht.

Samstag, 19. April 2008

Sonett über kreisende Gedanken

'Wie geht es Dir?', klingt stimmenlos die Frage
Und gleichfalls ohne Ton dann meine Antwort.
Keine Litanei. Bloß ein einziges Wort.
Alles sagend und Beginn meiner Klage.

'Schlecht!', höre ich mich und dann doch nicht sagen.
Und das, was mir wellenlos entgegenschallt,
Trifft mich nicht unerwartet, doch es verhallt.
Ewiger Diskurs und Frage der Fragen!

'Warum?', beginnt die Wanderung im Kreise,
Denn keinen gibt es, der diese Frage hört.
Sie klingt in mir, weswegen nur mich verstört,
Dass jeder Antwort folgt 'Warum?' ganz leise.

Ach, könnte man mich nur vom Kreis erlösen
und Gedanken im eignen Kopfe lösen.

Donnerstag, 17. April 2008

Motor meiner Träume

Zu begehren und lieben,
war der Motor der Welten,
die ich mir erträumt,
solange Dein Kuss mich benetzte,
Dein Blick mich im Herzen berührte.

So verweile mit Lippen,
So verweile mit Augen,
an Munde und Herzen zugleich
Und lass Dich verführen zum Traume,
zum Traum unsrer eigenen Welten.

Samstag, 12. April 2008

Heilige Pfründe

Ein Priester aus heiligen Pfründen
der Nächsten ließ stotternd verkünden,
dass es ihm sei zu hart,
"jenes Zöli-b-bat",
selbst Päpste schon starben in Sünden.

Engelsdorf

In Engelsdorf fand sich ein Recke,
Der baute ne Eisenbahnstrecke,
Doch gewahrte er schnell:
„Wenn ich Schienen bestell,
So ist das sehr dienlich dem Zwecke.“

Freitag, 11. April 2008

Mähren

Ein maßloser Trinker aus Mähren,
Der trank mehr denn eines zu Ehren.
Doch das finale Glas,
Das entnahm ihm den Spaß.
Man sollt' keine Stundgläser leeren.

Donnerstag, 10. April 2008

Zur Stadt

Es brachen zwei schrille Popanzen
Zur Stadt auf und wollten zum Tanzen,
Doch verschloss sich das Tor
Mit den Damen davor.
Da half auch kein Schmücken mit Pflanzen.

Konstantinopel

Die Herrscher von Konstantinopel
Verneinten die Wagen von Opel,
Hätten sie wohl gefahr’n,
Zum Trotz Ihres Gebahr’n,
Doch gab’s keinen einzigen Opel.

Rüdesheim

Zwei Bürger aus Rüdesheim waren
Am Rhein mit touristischen Scharen
Und sie gossen hinein
Ungenießbaren Wein,
Erworben von Pfälzer Barbaren.

Riga

Es wollten drei Letten nach Riga
Und stiegen auf eine Quadriga,
Doch sie kamen nicht hin,
Denn sie war’n in Berlin
Und Nike nicht ihre Amiga.

Sumpfige Gründe

Ein Fröschlein aus sumpfigen Gründen
Ereilte, ob lukullischer Sünden,
Der Verlust eines Beins.
„Das Verbliebne bleibt meins“,
So ließ er’s dem Mâitre verkünden.

Montag, 7. April 2008

An meinem See II - Mein Lied zu Deiner Melodie

In sanften Melodien kräuselt sich der See.
Der Wind malt Noten vor sich her,
Die meine Seele streicheln
Wie die schönsten Symphonien.

Stundenlang kann mich erbauen
Wie sich stille Töne auf Dir zeichnen,
Mit warmem Hauch in meinem Nacken
Und frischer Frühlingsluft in mir.

Nur kurze Zeit muss ich
Deine blauen Notenblätter schauen
Und alle Last entgleitet meiner Seele,
Wie auch mein Herz wird leicht.

Ein Lächeln beginnt dann tief in mir,
Durchströmt mich und mündet letztlich
Auf meinen Augen und Lippen.

Und mit diesen Lippen gebe ich Dir
Etwas zurück Durch dieses Lied,
Das ich Dir zu Deinen Klängen singe.

Freitag, 4. April 2008

An meinem See

Wie gefesselt stehe ich an Dir,
Atme die Ruhe, die Du strahlst,
Wie frische Frühlingsdüfte ein.
Du, türkises Auge meiner Heimat,
Lässt mich Wurzeln schlagen wollen.

Manchmal wär ich gern ein Baum,
hielt Wache Deiner schönen Ufer,
Fing Deine Schönheit mit knorrigem Auge
Und ließe mich vom gleichen Wind liebkosen.
Meine Wurzeln tränken das, was mir vergönnt.

So genieße ich nur diese Augenblicke,
wie die Sonne diamanten in Dir strahlt,
Sehe Deine zarten Wellen
mir zum Abschied winken.
Ich gehe nun, vergiss mich nicht.

Donnerstag, 3. April 2008

Das Kind in unserem Inneren

Das Kind in unserem Inneren stirbt nicht im Alter;
es wird nur erzogen.


Dieser Sinnspruch fiel mir während eines Spaziergangs ein. Auch mit dem Ankratzen der vierten Lebensdekade fühle ich mich noch immer jung genug, um wie ein albernes Kind zu sein. Nur halt nicht mehr überall ;-)

Dienstag, 1. April 2008

Im Wald

Der Waldboden knackte ehrfurchtvoll, als die schwere, braune Tatze ihren Eindruck hinterließ. Der volle Mond entließ fahles Licht durch die noch kahlen Äste der schützenden Baumkronen und beleuchtete den massigen Körper. Schritt für Schritt bahnte der ungestüme Koloss seinen Weg durch das Geäst. Die erfolglosen Versuche der pieksenden Ästlein und Sträucher, seinen Pfad zu ändern, ignorierte er mit stoischer Ruhe. Er witterte. Mit einem Stoß seiner Vorderläufe richtete er sich auf und hielt die schwarze Schnauze in den Wind. Der schwere Kopf drehte sich suchend. Erst nach links, dann nach rechts und schließlich ließ er seine kompromisslosen Zentner wieder auf die harte Erde fallen. Als die Krallen bewehrten Tatzen den Boden berühren, zittern die noch jungen Blätter, die der Frühling erst getrieben hatte. Zielstrebig brach der riesige Jäger durch das schutzlose Unterholz und bahnt sich seinen Weg. Er hat sein Ziel gefunden.

Marietta irrte seit Stunden durch den Wald. Bevor es dunkel wird, so ihre Mutter, sollte sie zuhause sein, doch die Verlockung war zu groß. Es gab einfach zu viel zu sehen. All die verschiedenen Bäume, Sträucher und Waldblumen. All die wundervollen Gerüche. Nach feuchter Erde, nach dem alten Laub vom letzten Herbst, nach Tannennadeln. Und auch so viel zu hören. Unzählige Vögel stimmten ihr Frühlingslied ein und forderten sich gegenseitig, die schönsten Melodien zu singen. Kurz nach dem Mittagessen war sie aufgebrochen, um im nahen Wald spazieren zu gehen. Wie ihre Mutter ihr auftrug, beging sie nur die bekannten Pfade. Doch dann sah sie diese zarten Rehe vor ihr. Sie waren so wundervoll anzuschauen. Wie sie anmutig auf der Lichtung standen. Marietta konnte ihre Lebensenergie förmlich spüren. Sie glaubte fast, sie riechen zu können. Sie musste ihnen einfach folgen. Hinein in den Wald. Weg von den von Pferden und Kutschrädern festgestampften Routen, die vom Dorf durch den Wald führten und sie auch sicher zurück geleitet hätten. Doch sie fand sie nicht mehr. Nur ein paar gefühlte Minuten lief sie den Rehen hinterher, bis die weder Rehe noch ihren Rückweg mehr fand. Seit Stunden schon irrte sie umher. Der Mond stand inzwischen hell am Himmel und der Wald begann unheimlich zu werden. Die Schatten wuchsen und griffen nach ihr. Eine unbekannte Unruhe rührte sich in ihr.

Ein gigantischer Schatten fiel die Lichtung herab und ließ alles Kleingetier augenblicklich verstummen. Nicht einmal der Kauz, der eben noch eine Maus erspäht und zu seinem Abendmahl erkoren hatte, traute sich von seinem Ast herunter und zog Stille der Mahlzeit vor. Jedes Tier, das schnell genug flüchten konnte, war geflüchtet. Was nicht schnell genug war, verharrte regungslos. Der mächtigste Bär, den der Wald je gesehen hatte, stand aufgebäumt vor dem Mond. Sein lautes Schnüffeln war das einzige Geräusch, das zwischen die Bäume drang. Er witterte. Die Spur wurde heißer. Der Bär wusste, dass er seinem Ziel nahe war. Zufriedenheit machte sich in ihm breit. Der wohlbekannte Geruch war so leicht aufzunehmen. Nie hätte er die Spur verloren. Die Freude, es einzuholen und zu umschlingen, übermannte den massigen Jäger. Doch plötzlich verharrte der riesige Schädel. Die Pupillen weiteten sich. Ein anderer Geruch drängte sich durch die Nase und trieb zur Eile. Mit einem Satz stieß sich das größte Raubtier des Waldes ab und rannte los. Junge Bäume brachen unter der brachialen Gewalt seiner Hatz. Die letzten Tiere flüchteten in die andere Richtung und der braune Riese entschwand im Dunkel des Waldes.

Marietta lief ziellos umher. Wies nicht das Moos an den Bäumen die Richtung. Doch in welcher Richtung lag das Dorf. Lag es nicht im Süden des Waldes? Marietta ging auf den nächsten Baum zu und fand das gesuchte Moos. Und zwar auf allen Seiten des Baumes. So kam sie nicht weiter. Der Mond stand mittlerweile hoch am Himmel. Ihre Mutter ist bestimmt schon auf dem Weg sie zu suchen. Doch was sollte sie bloß machen? Stehen bleiben? Ihr entgegen gehen? Langsam verzweifelte Marietta. Eine einsame Träne lief ihr die Wange herab und forderte ein tiefes Schluchzen ein. Plötzlich zuckte Marietta zusammen. Äste knacken hinter ihr. Sie drehte sich um und erspähte nur wenige Meter hinter ihr glühende Augen. Auch links von ihr knackte es und das zweite Paar glühender Augen fixierte sie. Sie erstarrte. Ihre Atmung wurde flach. Wie sehr wünschte sie sich, mehr bei ihrer Mutter aufgepasst zu haben. Doch ihre Mutter war nicht einmal hier. Sie würde zu spät kommen. Marietta würde nie wieder zum Dorf zurückkehren. Nie wieder gefunden werden. Als dicht an ihrer rechten Seite Äste brachen, erwachte sie aus ihrer Angststarre, drehte sich um und begann um ihr Leben zu laufen. Sie rannte so schnell, dass ihre Beine und ihre Lunge sofort wie lichterloh entfacht brannten. Ihre Verfolger trachteten ihre Jagd mit ihren letzten schnellen Sprints enden zu lassen. Dann sah Marietta den alles verschlingenden Schatten vor sich über sie hinweg kriechen und wilde Bärenaugen auf sie zukommen.

Der braune Koloss hatte sein Ziel erreicht. Keine Sekunde zu spät. Sie lief ihm entgegen. Nur noch wenige Meter. 900 Kilogramm reine Kraft sprangen nach vorne und zerbrachen die Wirbelsäule als wären es nur dünne Ästchen. Der Körper erschlaffte augenblicklich. Mit einen Angst erfüllenden Brüllen öffnete sich das Bärenmaul und entblößte Reißzähne so groß wie Kinderhände. Mit einem unerbittlichen Stoß senkten sich die Zähne in das Genick und zerbissen mit einem lauten Knirschen Halswirbel, Muskeln, Fleisch und Adern. Blutgeschmack füllte das Maul des Bären. Triumphierend und warnend zugleich reckte sich der Bär auf und brüllte sein Mark erschütterndes Grollen in die Nacht hinaus. In der Ferne sah man den letzen Wolf winselnd im Dickicht verschwinden. Schwer atmend ließ sich der Bär nieder und schaute zufrieden auf sein Werk. Eine Handtuch große Zunge leckte sich schmatzend das Blut von der Schnauze. Langsam krochen die Tiere des Waldes wieder aus ihren Verstecken und die übliche nächtliche Geschäftigkeit des Waldes setzte wieder ein. Sogar der Mond schien heller zu leuchten. Der Schatten des Kolosses lag friedlich auf dem Blut verschmierten Waldboden, als neben ihm ein kleiner Schatten erwuchs. Schritte traten neben den Bären. Kleine Kinderhände fuhren zärtlich über das Fell.
„Tut mir Leid, Mami. Es tut mir so leid.“ Große braune Bärenaugen schauten tadelnd zu ihr herüber. Marietta kroch weinend zwischen die großen Arme ihrer Mutter und ließ sich liebevoll von ihnen umschlingen.
„Ich verspreche, ich werde künftig besser aufpassen. Aber nie, Mami, nie werde ich mich in einen so großen Bären wandeln können wie Du.“, kam stolz aus Mariettas Mund.
Mit ihr auf dem Rücken liegend wanderte die Bärin unter den mahnenden Blicken des Mondes wieder dem Dorf entgegen.
„Wäre kein Vollmond gewesen, wärst Du nun tot“, dachte die Bärin, „warte bis wir zuhause sind, junges Fräulein.“
Doch das Glück, die eigene Tochter gerettet zu haben, sollte allen Zorn überwiegen und der Wald sah künftig zu Vollmondnächten einen großen und einen kleinen Bären zwischen Lunas magischen, fahlen Strahlen wandern.

Donnerstag, 20. März 2008

Der Marquis - Der Ball

Der Ball war prächtig. Die erlesenen Gäste, allesamt Mitglieder des Pariser Hochadels, umschwärmten einander wie balzende Pfauen. Ein Kostüm auffälliger, aber vor allem kostspieliger als das andere. Das hohe Gewölbe des Ballsaales war ausgefüllt von unzähligen Kerzen, die den Anschein erweckten, man sei unter freiem Sternenhimmel. Und frei zu sein war genau das, was die Maskerade bezweckten sollte. Frei zu sein und alle Hemmungen fallen zu lassen. Jedenfalls für einen.

Mit gierigen Blicken streiften die Augen des Marquis von Dekolletee zu Dekolletee. Durch quälende Korsagen an Üppigkeit kaum zu übertreffende Berge an Weiblichkeit ließen den Gedanken des Marquis keine Rast. Sie drehten sich immerzu um das eine. Dann erblickten sie endlich das ersehnte Ziel. Keine Üppigkeit lud ihn ein, sich an ihr zu laben. Kein pompöses Kostüm zur Zurschaustellung des Standes lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Lächeln kam über seine Lippen. Kein keusches Lächeln. Ein wissendes, ein erfahrenes Lächeln. Das Lächeln eines Connaisseurs. Mit festem Ziel vor Augen schritt er voran und wurde bereits nach wenigen Schritten von seiner Auserkorenen bemerkt, die nun ebenfalls zu schmunzeln begann.

„Bonsoir, Madame! Ein bezaubernder Abend, finden Sie nicht?“ grüßte der Marquis mit einem gehauchten Kuss auf die schwarz behandschuhte Hand seiner Gesprächspartnerin.
„Bonsoir, Monsieur! Ja, das ist er. Noch nie gab sich De la Croix so viel Mühe mit der Ausrichtung seines Maskenballs, heißt es.“
„Noch nie hatte er so bezaubernde Gäste, Comtesse!“
„Ihr habt mich erkannt? Oh, Marquis. Ihr seid ein Spielverderber!“, sagte die Comtesse nonchalant und schlug spielerisch mit ihrem Fächer aus.
„Wie könnte ich Euch je nicht erkennen, Comtesse? Nie raubte mir jemand so sehr Herz und Atem wie Ihr!“
„Marquis!“, flüsterte sie mit gesenktem Kopf, ohne ihn jedoch aus den Augen zu verlieren. „Schweigt stille! Wenn mein Gatte Eure Worte vernimmt, wird er Euch auf der Stelle töten.“
„Diese Gefahr wäre ich bereit einzugehen. Wer wäre das nicht? Ihr seid atemberaubend. Euer Kostüm lässt keinen Mann mehr seinen Blick von Euch abwenden. Ist Euch das etwa entgangen?“
„Meint Ihr wirklich?“, gab die Comtesse mit gespieltem Erstaunen zurück.
Natürlich wusste sie um die Wirkung Ihren Feenkostüms, das sich mit schwarzem Samt eng um ihren schlanken Körper schlang. Auch ohne dieses Kostüm wäre ihr die Aufmerksamkeit aller männlichen Maskierten gewiss gewesen. Ihre wie Seide auf ihre bleichen, zarten Schultern fallenden dunklen Haare, ihre leuchtenden Augen, aber vor allem ihr schlanker Körper mit seinen kleinen, aber so erregenden Brüsten, ließen sie wie einen Magneten wirken, der jeden Mann, sei es Jüngling oder Greis, erbarmungslos anzog. Wie eine Zauberin zog sie selbst die gottesfürchtigsten Ehegatten in Ihren Bann. Doch musste sie keinen Zauber sprechen. Sie war der Zauber.

Musik spielte auf. Mit einer höflichen Verbeugung hielt der Marquis seine Hand zur Aufforderung und zum Geleit gestreckt und spitzte seine Lippen zu einem verfänglichen Lächeln. Gemeinsam schritten sie an den Rand der Tanzgesellschaft, nahe hohen Glastüren zum Garten, und ließen sich zu den Klängen des Hausorchesters fallen.
Näher als es sich geziemt kamen sich die Wangen der beiden Tanzenden. Sie kamen sich so nahe, dass ein Beobachter das Flimmern der Luft dazwischen hätte sehen können. Doch schenkte niemand beiden Aufmerksamkeit. Der Marquis hatte den Platz mit Bedacht gewählt.
„Ihr seid betörend, Comtesse. Ich schmecke noch das Salz Eurer zarten Haut auf meiner Zunge“, hauchte der Marquis ihr mit heißem Atem ins Ohr „und keine Stimme hallte mir je länger im Ohr als Euer süßes Stöhnen.“
„Ihr lasst mich schwindeln, Marquis. Auch ich habe Euch nicht vergessen können. Euer Körper ging mir nie aus dem Kopf. Selbst als ich mit dem Comte auf Reisen war, blieben meine Träume stets mit Euch verbracht.“
„Was gäbe ich darum, nur einen Tag der Comte zu sein. Euch nur einen Tag wie er nicht teilen zu müssen.“
Der Marquis schob seine Lippen näher zum Ohr der betörenden Fee und ergänzte: „Oder nur eine Nacht, Comtesse?“

Die Musiker spielten den letzten Ton ihres Stückes und verhaltenes Klatschen setzte ein bis das nächste Stück begann.
„Ein wundervolles Stück, De la Croix!“, lobte der Comte, „Ihr habt da wahrhaftig ausgezeichnete Künstler engagiert.“
„Merci bien, Monsieur le Comte. Es ist das beste Orchester, das man haben kann und jeden Sou wert. “
„Da sprecht Ihr wohl, De la Croix. Sagt, hab ihr die Comtesse gesehen. Es wird leider bald Zeit für uns aufzubrechen. Ihr wisst ja, die Geschäfte!“
„Natürlich, Monsieur le Comte. Ich glaube Eure bezaubernde Gattin tanzend nahe der Türen zum Wintergarten gesehen zu haben.“, antwortete der Hausherr und blickte zur erwähnten Stelle, die jedoch leer war. „Oh! Vor wenigen Minuten stand Sie noch dort.“
„Lasst sie bitte suchen, De la Croix. Ich breche mit meinem Lakaien zur Kutsche auf.“, forderte der Comte De la Croix im Geschäftston auf und setzte sich, seinem Diener winkend in Bewegung. „Wartet, De la Croix. Da seid ihr ja!“, warf er fröhlich seiner heraneilenden Gattin entgegen.
„Bon soir, mon cher mari“, hauchte sie schweren Atems.
„Ich bin erfreut, dass Euch der Ball so viel Freude bereitet hat, ma belle Comtesse.“, sang er förmlich und küste seine Gattin zart auf die Wange.
„Das Tanzen ist ihre Leidenschaft!“, zwinkerte er De la Croix zu, verneigte sich höflich und schritt mit seiner eingehakten Comtesse zum großen Portal, das zur wartenden Kutsche führte.

„Ihr amüsiert Euch hoffentlich, Monsieur le Marquis?“, wollte De la Croix höflich wissen, als er den Marquis an eine Säule am Rande des Saales lehnen sah.
„Ihr kennt mich, De la Croix. In meinem Alter ist der Tanz nichts mehr für mich. Ich erfreue mich jedoch an den vielen Menschen, die glücklich das Tanzbein schwingen.“
„Eure Freude ist meine Freude, Monsieur le Marquis.“, vernahm er den lächelnden Gastgeber, der seine Maske wieder aufzog und sofort in den Massen unterging.
„Das will ich nicht annehmen!“, flüsterte der Marquis sich selbst zu und blickte, mit der Hand am Degen, in die Runde. Seiner war aus gutem Grund der einzige in der Festgesellschaft, der nicht aus verziertem Holz gefertigt war. „Man wird mit meinem Lebenswandel nicht alt, wenn man fair kämpft.“, kam es ihm zu Gedanken und ließ ihn schmunzeln. Seine Blicke schweiften umher bis sie erneut zur Rast kamen. „Bonsoir, Madame la Baronesse“ sagte er grinsend zu sich selbst und stieß sich von der Säule ab. Sein Lächeln wurde bereits erwidert.