Dienstag, 21. Juli 2020

Die viertgrößte Nation: Hundland

Die viertgrößte Nation: Hundland

Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, der stets mehr Tieren als Menschen ein Heim war. Nicht anzahlmäßig, jedoch von der Gesamtmasse her waren Hunde die Majoritätshalter unter den nicht-menschlichen Wirbeltieren des Arnoldschen Hauses. Meine Mutter war und ist noch immer begeisterte Hundetrainerin. Ihre Begeisterung ging so weit, dass nicht selten der eine oder andere Hundename vorausging, wenn ich als Kind gerufen wurde. Meist kam der richtige, also mein eigener Name an dritter Stelle. Es sei denn natürlich, wir hatten zu diesem Zeitpunkt mehr als zwei Hunde. Ich liebe die Hunde meiner Mutter, die ich trotz Wissens um die tatsächlichen Zugehörigkeitsverhältnisse dennoch stets als unsere Hunde bezeichne. Besuche ich mein Elternhaus, überschlagen sich die beiden Hündinnen vor Freude, und auch mich erfüllt es, sie sodann so lange zu knuddeln, bis sie meiner überdrüssig sind. Dieser Zeitpunkt ist meist gekommen, sobald ihnen meine Mutter ein Mohrrübchen zu knabbern gegeben hat. Für die Skeptiker unter den Leserinnen und Lesern: Nein, ihre Freude ist kein Pawlowscher Reflex auf die Erwartung eines Snacks, es ist Liebe!

Weltweit gibt es knapp unter 300 Millionen Haushunde – 9,4 Millionen allein in Deutschland. Gäbe man ihnen ein eigenes Land, wäre Hundland nach den USA das viertbevölkerungsstärkste der Welt, und wie auch dort äßen alle Hundländer täglich Fleisch mit entsprechenden Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Reizthema! Hundefreunde und vermutlich auch meine Mutter, von der ich weiß, dass sie meine Kolumne liest, rufen jetzt vermutlich: „Was erlaubt der Arnold sich? Hunde sind Fleischfresser! Tierquälerei!“ Zugegeben, meine Mutter riefe nicht Arnold, sondern Andreas, aber zuvor zwei Hundenamen, dennoch wäre die Entgegnung inhaltlich vermutlich sehr ähnlich. Es ist jedoch ein naturalistischer Fehlschluss, dass die Ernährung unserer Vorfahren, also etwa der des Wolfes beim Hund und der von Ötzi beim Menschen, die beste für uns Haushunde und -menschen sei. Die carnivoren Hundejahre sind ebenso vorbei wie das Leben eines Höhlenmenschen für uns. Gut 15.000 Jahre mag es her sein, seit die Domestizierung ihren Anfang genommen hatte. Hunde begannen von dem zu leben, was Menschen ihnen übriggelassen hatten. Mit dem Übergang von Jägern und Sammlern zu sesshafen Ackerbauern haben sich zudem zahlreiche genetische Veränderungen im Laufe der Generationen ergeben, die die neue Nahrung mit jeder evolutionären Entwicklung immer besser nutzbar gemacht hatten – für Mensch und Hund. Heute können beide problemfrei ohne Fleisch artgerecht ernährt werden, denn beide sind omnivor, können pflanzliche und tierische Lebensmittel gleichermaßen gut verdauen. Einer gut geplanten veganen Ernährung steht weder beim Menschen noch beim Hund etwas entgegen. 

Die Tierschutzorganisation PETA hatte im Jahr 2013 in einer Längsschnittstudie insgesamt 300 Hunde über ein Jahr hinweg untersucht. Eine geringere Anfälligkeit für Infektionskrankheiten, Krebserkrankungen und Schilddrüsenunterfunktionen bei vegan ernährten Hunden war festzustellen. Natürlich gab es auch beachtenswerte Punkte. Bei manchen Tieren scheint beispielsweise eine Zufütterung mit L-Carnitin und Taurin sinnvoll. Wie jede Ernährung ist auch die vegane nicht frei von Hürden – weder beim Menschen noch beim Hund. Aber sie ist möglich, ganz und gar nicht unnatürlich und trägt, wenn mangelfrei geplant, offenbar zur Gesunderhaltung bei. Heute Abend besuche ich meine Hunde wieder. Vielleicht bringe ich Möhrchen mit.

Dienstag, 7. Juli 2020

Werbung wirkt vegane Wunder

Werbung wirkt vegane Wunder
Bayerns Wirtschaftsminister wird kürzlich im BILD-Interview zitiert, dass sich die Debatte um Großschlachter Tönnies nicht darauf zuspitzen dürfe, dass Fleisch einmal pro Woche reiche. „Für einen Büromenschen auf dem Vegan-Trip vielleicht - für den Bauarbeiter nicht. Wenn der nur einmal die Woche Fleisch kriegt und nur Salat, fällt er am dritten Tag vom Gerüst runter», sagte er. Beim fleisch-, milch- und eilosen Frühstück mit meiner Freundin lese ich ihr das Zitat vor. Sie lächelt, klickt auf Youtube und zeigt mir den Kanal „Hier kocht Alex“. „Er ist Bauarbeiter!“, sagt sie und zwinkert. Der Videoblogger Alexander Flohr ist Straßenbaumeister, wie ich auf seiner gleichnamigen Homepage nachlese. Offenbar ist er noch nicht von einem Gerüst gefallen. Zugegeben, der Straßenbau ist vermutlich recht gerüstarm, dennoch scheint er nach dem Asphaltieren und Pflastern noch ausreichend Energie zu haben, um Kochvideos zu drehen.

Ich selbst bin so ein „Büromensch auf dem Vegan-Trip“! Vegan-Trip? Der Duden definiert Trip als kurzfristig, ohne große Vorbereitung unternommene Reise. Meine persönliche Reise ist gerade ins siebte Jahr gegangen. Sehr kurzfristig erscheint mir das nicht, und ohne große Vorbereitung eine vegane Ernährung zu beginnen, erscheint mir nicht sehr schlau. Gut geplant liefert sie alle nötigen Nährstoffe, aber, wie Minister Aiwanger weiß, offenbar keine Kraft. Ich spiegele mich in der Brille meiner Freundin. Ich sehe nicht gerade aus wie ein Lauch, denke ich mir. Warum ist Lauch so negativ konnotiert? Nach Herodot soll er den Arbeitern, die die Pyramiden erbaut haben, als Nahrung gedient haben. Er hat Frosthärte. Wenn das keine Zeichen von Stärke sind! Warum sagt keiner: „Du bist ein Löwe!“ und meint damit, dass du den ganzen Tag faul in der Sonne liegst. Nein, der Löwe ist kein Lauch, er isst Fleisch! Meine Freundin sieht mich grübeln und liest meine Gedanken (eine ihrer veganen Superkräfte, die Aiwanger verschweigt). „Patrik Baboumian!“, sagt sie. Ja, denke ich, 2011 den Titel „Stärkster Mann Deutschlands“ errungen, fünf Weltrekorde in Strongman-Disziplinen aufgestellt, deutsche Meistertitel und einen Europameistertitel gewonnen. Google wirft viele weitere Beispiele aus. Da das Internet auch in Bayern vielerorts funktioniert, frage ich mich, wie ein sicherlich von seinem Stab gut vorbereiteter Politiker zu solchen Aussagen kommt.

Salat hat als Sinnbild für Anti-Kraft eine gewisse bayerische Tradition. „Von Salat schrumpft der Bizeps“ sangen die Rapper Kollegah und Majoe, als sie ihr Musikvideo 2014 in der Oberpfalz gedreht hatten. Möglicherweise war das eines der Rechercheergebnisse des Ministerbüros. Einen Song wie „Von pflanzlichen Proteinen wächst der Bizeps“ gibt es dahingegen nicht, obwohl ihn Patrik sicher singen würde. Die Antwort ist: „Werbung wirkt!“ Wie kaum eine andere Sparte hat es die Fleisch- und Milchindustrie geschafft, ihre Produkte mit Attributen wie Männlichkeit und Kraft zu verknüpfen. „Milch mach müde Männer munter“ war in den 50er-Jahren entstanden, „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“ wenige Jahre später. Seitdem wurden wir von gut trainierten Football-Spielern („Seven T-Bone-Steaks for the Tigers!“), oberkörperfrei grillenden Muskelmännern und milchtrinkenden Cowboys geprägt. Dabei ist es dem Körper völlig egal, woher er seine Proteine bekommt. Rindfleisch hat 26 Prozent Protein – wie auch Linsen.
„Isst du Linsen, Erbsen, Bohnen, kriegst du Arme wie Kanonen!“ Nicht der beste Werbespruch, aber ein Anfang.

Foto: Inge Kohrmann Fotografie