Werbung wirkt vegane Wunder |
Bayerns Wirtschaftsminister wird kürzlich im BILD-Interview zitiert, dass sich die Debatte um Großschlachter Tönnies nicht darauf zuspitzen dürfe, dass Fleisch einmal pro Woche reiche. „Für einen Büromenschen auf dem Vegan-Trip vielleicht - für den Bauarbeiter nicht. Wenn der nur einmal die Woche Fleisch kriegt und nur Salat, fällt er am dritten Tag vom Gerüst runter», sagte er. Beim fleisch-, milch- und eilosen Frühstück mit meiner Freundin lese ich ihr das Zitat vor. Sie lächelt, klickt auf Youtube und zeigt mir den Kanal „Hier kocht Alex“. „Er ist Bauarbeiter!“, sagt sie und zwinkert. Der Videoblogger Alexander Flohr ist Straßenbaumeister, wie ich auf seiner gleichnamigen Homepage nachlese. Offenbar ist er noch nicht von einem Gerüst gefallen. Zugegeben, der Straßenbau ist vermutlich recht gerüstarm, dennoch scheint er nach dem Asphaltieren und Pflastern noch ausreichend Energie zu haben, um Kochvideos zu drehen.
Ich selbst bin so ein „Büromensch auf dem Vegan-Trip“! Vegan-Trip? Der Duden definiert Trip als kurzfristig, ohne große Vorbereitung unternommene Reise. Meine persönliche Reise ist gerade ins siebte Jahr gegangen. Sehr kurzfristig erscheint mir das nicht, und ohne große Vorbereitung eine vegane Ernährung zu beginnen, erscheint mir nicht sehr schlau. Gut geplant liefert sie alle nötigen Nährstoffe, aber, wie Minister Aiwanger weiß, offenbar keine Kraft. Ich spiegele mich in der Brille meiner Freundin. Ich sehe nicht gerade aus wie ein Lauch, denke ich mir. Warum ist Lauch so negativ konnotiert? Nach Herodot soll er den Arbeitern, die die Pyramiden erbaut haben, als Nahrung gedient haben. Er hat Frosthärte. Wenn das keine Zeichen von Stärke sind! Warum sagt keiner: „Du bist ein Löwe!“ und meint damit, dass du den ganzen Tag faul in der Sonne liegst. Nein, der Löwe ist kein Lauch, er isst Fleisch! Meine Freundin sieht mich grübeln und liest meine Gedanken (eine ihrer veganen Superkräfte, die Aiwanger verschweigt). „Patrik Baboumian!“, sagt sie. Ja, denke ich, 2011 den Titel „Stärkster Mann Deutschlands“ errungen, fünf Weltrekorde in Strongman-Disziplinen aufgestellt, deutsche Meistertitel und einen Europameistertitel gewonnen. Google wirft viele weitere Beispiele aus. Da das Internet auch in Bayern vielerorts funktioniert, frage ich mich, wie ein sicherlich von seinem Stab gut vorbereiteter Politiker zu solchen Aussagen kommt.
Salat hat als Sinnbild für Anti-Kraft eine gewisse bayerische Tradition. „Von Salat schrumpft der Bizeps“ sangen die Rapper Kollegah und Majoe, als sie ihr Musikvideo 2014 in der Oberpfalz gedreht hatten. Möglicherweise war das eines der Rechercheergebnisse des Ministerbüros. Einen Song wie „Von pflanzlichen Proteinen wächst der Bizeps“ gibt es dahingegen nicht, obwohl ihn Patrik sicher singen würde. Die Antwort ist: „Werbung wirkt!“ Wie kaum eine andere Sparte hat es die Fleisch- und Milchindustrie geschafft, ihre Produkte mit Attributen wie Männlichkeit und Kraft zu verknüpfen. „Milch mach müde Männer munter“ war in den 50er-Jahren entstanden, „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“ wenige Jahre später. Seitdem wurden wir von gut trainierten Football-Spielern („Seven T-Bone-Steaks for the Tigers!“), oberkörperfrei grillenden Muskelmännern und milchtrinkenden Cowboys geprägt. Dabei ist es dem Körper völlig egal, woher er seine Proteine bekommt. Rindfleisch hat 26 Prozent Protein – wie auch Linsen.
„Isst du Linsen, Erbsen, Bohnen, kriegst du Arme wie Kanonen!“ Nicht der beste Werbespruch, aber ein Anfang.
Foto: Inge Kohrmann Fotografie
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