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Der Mohr sollte seine Schuldigkeit getan haben ... |
Gestern fand fast direkt vor meinem Wohnzimmerfenster eine Demonstration statt, um auf Alltagsrassismus aufmerksam zu machen. Kern der Demonstration und Grund für den gewählten Ort war die dort befindliche Apotheke "Zum Mohren". Die Anmelder fühlen sich durch den Begriff "Mohr" rassistisch beleidigt. Kann ich das nachvollziehen? Nein! Wie denn auch? Ich bin weiß. Ich leide nicht unter Alltagsrassismus, wurde noch nie in meinem eigenen Land gefragt, wo ich herkomme, und kenne nicht einmal ein Wort, das Weiße wie mich generell zu beleidigen gedacht oder geeignet ist. Würde ich mich beleidigt fühlen, wenn es die "Kraut"-Apotheke und als Logo eine überzeichnete Karikatur eines Deutschen gäbe? Ich weiß es nicht, denn "die Krauts" hat man vermutlich seit Ende des zweiten Weltkrieges nicht mehr als Bezeichnung für Deutsche gehört. Habe ich ausreichend emotionale Intelligenz und Empathie, um mir vorstellen zu können, dass sich Menschen dunkler Hautfarbe dadurch getriggert fühlen können? Ja, absolut. Wer bin ich, daran zu zweifeln, wenn ich es nicht einmal schaffe, mich in die Situation hineinzuversetzen?
Um auf so etwas aufmerksam zu machen, gibt es das Demonstrationsrecht. Finde ich es gut, dass jemand seine Meinung frei sagen und sich dazu unter freiem Himmel mit anderen versammeln darf? Ja, natürlich. Ich bin Demokrat, und die Menschenrechte sind die schützenswerteste Errungenschaft, auf die wir noch dazu wirklich mal stolz sein dürfen. Ist es okay, wenn Andersdenkende ebenfalls bei einer solchen Demonstration zugegen sind und dafür eintreten, dass ein Name wie "Mohren-Apotheke" beibehalten wird? Ja, ich finde es aus demokratischer und menschenrechtlicher Sicht absolut wichtig, dass ein Diskurs möglich ist. Kann ich es nachvollziehen, dass sich Menschen dazu stellen und anscheinend wissen, was selbst Gerichte nicht letztinstanzlich festgestellt haben, nämlich, ob "Mohr" grundsätzlich rassistisch ist oder ob die Bezeichnung nur kontextbezogen bewertet werden und somit beides sein kann? Nein, das vermag ich, wie oben dargelegt, nicht. Ich bin weiß. Ich bin in mehrfacher Hinsicht privilegiert in diesem, meinem Land. Bei vielen anderen ist das leider nicht so, obwohl es nicht minder ihr Land ist, wie es das meine ist, wie im heutigen
Online-Artikel der Wetterauer Zeitung zu lesen war.
Wer nicht glaubt, dass es Alltagsrassismus gibt, dem empfehle ich einen Blick in die Kommentare zu diesem Artikel auf der
Facebookseite der Wetterauer Zeitung. 42 von zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Blogs 135 Reaktionen waren lachende Smileys. Offenbar schafft es fast ein Drittel der Reagierenden ebenfalls nicht, nachzuvollziehen, dass man sich rassistisch beleidigt fühlen kann, bemüht sich allerdings offenbar auch nicht und kann nur auf Spott zurückgreifen und Menschen der Lächerlichkeit preisgeben, die sie nicht verstehen. Noch armseliger ist es, was sich in den 177 Kommentaren findet:
"Vielleicht haben die nichts anderes zu tun?", schreibt eine. Ich als Bürger des Landes der Dichter und Denker vermag mir zumindest vorzustellen, dass es Menschen gibt, denen das zu diesem Zeitpunkt das Wichtigste sein könnte, selbst wenn sie anderes zu tun gehabt hätten, zum Beispiel sich stets zu erklären, wo sie herkommen, und die dafür einstehen wollen, dass künftige Generationen das vielleicht nicht erleiden müssen, wie die nachfolgenden Beispiele eindrücklich belegen.
"Und wem es hier nicht passt soll einfach nachhause gehen. Wenn wir in deren Land wären hätte. Wir garnichts zu lachen" und "Wenn es ihnen in Deutschland nicht passt oder nicht nach ihrem Kopf geht dann sollen sie bitte wieder zurück in ihre Länder gehen", schreiben andere. Bedenkt man, dass das Versammlungsrecht nur Deutschen zusteht, wird klar, wie diese Autoren Menschen anderer Hautfarbe sehen.
"Jeder einzelne muss wegen Rufmord, Geschäftsschädigung, Verschwendung von Steuergeldern und das nicht einhalten der Corana Verhaltensregeln, hart verurteilt werden", schreibt ein anderer. Als Demokrat bin ich da etwas anderer Auffassung. Ich finde es gut, dass wir eine Gewaltenteilung haben, es den Gerichten vorbehalten ist, Recht zu sprechen und nicht bereits die Meinung einzelner zur Aushebelung des Grundgesetzes führt.
"Eine Frage, welchen Namen soll sich eine Fam. aussuchen , die Mohr heißt, auch seit Generationen, ev. Schczubowski, oder Õzdemir ?", fragt eine andere und ein weiterer gipfelt in der Feststellung: "Würden die alle mehr arbeiten dann hätten sie keine Lust auf Demo!"
Nach all diesen Worten ist mir eines klar geworden: Wer solche Sätze alltäglich hört, dem tut wahrscheinlich auch der alltägliche Blick auf den Mohr auf Apothekenschildern, Schokoladentafeln oder Schaumspeisen inzwischen weh. Rassismus ist kein Gespenst, sondern Alltag.
Der Mohr sollte offenkundig seine Schuldigkeit getan haben ... und vielleicht besser aus unserem Alltag sprachlich und bildlich entfernt werden (frei nach Shakespeare).