Mittwoch, 12. März 2014

Planet Of The Cows (Teil 1)

Soweit hätte es kommen können: Planet Of The Cows!
Charly saß in der Küche und mühte sich, seinen in die Jahre gekommenen Toaster mittels Lötkolben, Schraubenzieher und Zange wieder fit zu machen. Er lag geöffnet vor ihm, während ihm sein Freund Maik Tipps gab, die sich zwar nicht darauf bezogen, was er machen sollte, doch zumindest darauf, was er nicht machen sollte.
„Den grünen und den roten Draht solltest du nicht verbinden“, sagte Maik.
„Wieso nicht?“
„Na, schau doch mal. Zusammen mit der Spule - in Anbetracht der Hitzeentwicklung - die Brotkrumen haben auch eine Wirkung - könnte sich ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum ergeben.“
Charly, dem man eine Ähnlichkeit mit dem jungen Charlton Heston nachsagte, weshalb sich jede Beschreibung seiner Person erübrigt, blickte ihn skeptisch an.
„Raum-Zeit-Kontinuum!“, sagte Maik, dem man keine Ähnlichkeit zu irgendeiner lebenden Person nachsagte, dessen Beschreibung aber auch völlig verzichtbar ist, da er in wenigen Sekunden an einem Stromschlag versterben würde, nachdem Charly den grünen und den roten Draht zusammengebracht und den Stecker des Toasters wieder mit der Steckdose verbunden haben würde.
Charly brachte den roten und den grünen Draht zusammen und verband den Stecker des Toasters wieder mit der Steckdose. Ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum entstand, der Charly weit, weit in die Zukunft an einen anderen Ort und Maik im Hier und Jetzt tot auf den Boden katapultierte.

Charly hörte ein Rauschen. Es wiederholte sich. Die Luft roch salzig. Durch seine geschlossenen Augenlider drang es rot und wärmend. Seine Hände griffen warmen, feuchten Sand. Charly öffnete die Augen. Möwen flogen über einen wolkenlosen blauen Himmel. Eigentlich erwartete er seine Zimmerdecke zu sehen. Seine Verwirrung den blauen Himmel stattdessen zu sehen, hielt sich jedoch in Grenzen, da er ja bereits die Sache mit dem Rauschen und der salzigen Luft als abnormal empfunden hatte. Seine Berliner Plattenbauwohnung war zwar auch feucht, aber gerauscht hatte es bislang ebenso wenig, wie es salzig gewesen wäre. Charly richtete sich auf und blickte über einen weiten Ozean, an dessen Strand er lag. Er war so weit sein Augenlicht reichte allein.
„Wo ist mein Toaster?“, fragte er sich, um sich geistig an etwas Vertrautem zu klammern. Er ging einige Schritte. Der Sand drang zwischen seine Zehen und rieb bei jedem Schritt unangenehm an der Haut. Wenn er doch nur auf Maik gehört hätte, nicht barfuß in der Wohnung herumzulaufen, dann hätte er jetzt zumindest seine Filzpantoffeln an. Gut, das mit dem roten und grünen Draht wäre auch ein befolgenswerter Tipp gewesen, doch immerhin funktionierte der Toaster wieder. Wenn auch nicht so, wie er sollte.
Hinter ihm mischte sich zum Meeresrauschen ein Schnauben. Erschrocken drehte Charly sich um und blickte in die Augen zweier monströser Pferde. Auf ihnen saßen, aufrecht sitzend, zwei leibliche Stiere in Uniform.
„Ein Menschling in freier Wildbahn“, sagte der eine.
„Fangen wir ihn und sperren ihn zu den anderen“, sagte der andere. In Charly Ohren klang das jedoch nach: „Muh, Muhu, Muhuhu“, weshalb er nicht ahnte, dass wegzulaufen die Maßnahme der Sekunde gewesen wäre. Doch er war ohnehin viel zu gelähmt, ob des Anblicks. Berittene Bullen hatte er schon oft gesehen, als Rindviecher hatte er sie schon oft bezeichnet, doch noch nie waren sie ihm so realitätsnah als solche erschienen. Insbesondere nicht mit Hörnern. Und so fingen sie ihn mitsamt des Fragzeichens in Ausgestaltung einer neonfarbenen Leuchtreklame über seinem Kopf mit einem Netz ein. Als es zu spät war, begann Charly sich zu wehren und rang mit der Realität.
„Wie könnt ihr das Netz halten?“, schrie er. „Ihr habt nicht einmal Daumen“. Der Knüppel, der kaum ausgesprochen auf Charlys Kopf niederfuhr, wusste von diesem Manko der Stiere nichts, sauste von Charlys Einwand ungerührt auf dessen Kopf nieder und wurde nach dem Toaster der zweite des heutigen Tages, der Charly ins Reich der Dunkelheit entsandte.

„Aga Aga Tof … Bruba sobuma. Muh, Muh, aga aga“, hörte Charly, als er wieder zu sich kam. An dieser Stelle machen wir einen kurzen Sprung und lassen aus zu erwähnen, was in den folgenden drei Jahren passiert war, während derer Charly die Sprache der Menschlinge erlernt hatte und fahren mit einem Rückblick fort.
Als er damals seiner Ohnmacht erwacht war, wurde er von einer Menschlingsfrau umsorgt. Sie trug den Namen Bruba Sobuma, und Aga-Aga war die Bezeichnung für Fortpflanzung in der beschränkten Sprache der Menschlinge. Deren Sprachschatz war allerdings so gering, dass Aga-Aga auch für Essen, Trinken und irgendwas in Verbindung mit Notdurft stand. Da Charly zu dem Zeitpunkt der Erkenntnis der ersten Bedeutung des Wortes von den anderen noch nichts wusste, hatte er inzwischen den Ruf einer Art postmodernen Casanovas. Die Rinder stellten sich als die herrschende Klasse des Planeten heraus, und als sie erkannt hatten, dass Charly potent war, musste er nun regelmäßig schwängern. Die letzten drei Jahre schwängerte Charly eine Menschlingsfrau nach der anderen. Er schwängerte und schwängerte, ob er wollte oder nicht. Und wenn er nicht wollte, rubbelte ein Gallowayrind in weißem Arztkittel so lange an ihm rum, bis er genug abgegeben hatte, um weitere Weibchen damit künstlich zu befruchten. Immer noch fragte er sich, wie das ohne Daumen eigentlich gehen kann. Charly hatte sich in seiner Pubertät oft dem Tagtraum hingegeben, von weiblichen Außerirdischen entführt und zu so etwas gezwungen zu werden, doch in seiner Phantasie war es eher lustvoll gewesen. Außerdem waren die Außerirdischen alle blond, barbusig und trugen Lederklamotten. Gut,  Leder trugen sie.

„Iss noch etwas Bovine Greene!“, sagte Bruba. Neben Human Green war das das einzige, was die Menschlinge täglich in ihre Tröge bekamen. Draußen vor dem Stall, indem sie eingepfercht waren, liefen einige Hausrinder umher, hielten Plakate, deren Inhalt sie laut und im Chor skandierten:„Bovine Green is people! Bovine Green is people!“ Warum die Rinder aufrecht gingen, die herrschende Klasse waren und Englisch sprachen, konnte sich Charly nicht erklären. Nur weshalb sie Menschen hielten, darüber hatte er so eine Befürchtung, die er sich jedoch nicht so recht eingestehen wollte. Ein großer schwarzer Stier mit glänzendem Fell und Lendenschurz näherte sich der Gruppe.
„Verschwindet, ihr Graslutscher!“ rief er in Englisch, das wir der Einfachheit halber fortan ebenfalls übersetzt hören. „Hört auf, mit diesem ethisch-verblendeten Quatsch.“
„ Bovine Green ist Rindfleisch!“, sagte eine Kuh, mit großen Eutern, was keineswegs sexistisch klingen soll. „Das ist kannibalisch.“
„Unsinn!“, sagte der Stier. „Das ist nicht kannibalisch. Wir verfüttern unsere Toten an die Menschlinge und nicht an uns. Das ist nicht kannibalisch, das ist wirtschaftlich.“
„Kannibalismus!“, beharrte die Kuh weiter. „Indirekt!“, schob sie etwas leiser nach.
Schnaubend ging der Stier davon, während die Gruppe mit den Schildern weiterskandierte.

„Indirekt?“, wiederholte Charly. Dass Bovine Green rohes Rinderhack war, hatte er am Geschmack gemerkt. „Indirekt? Indirekt? Indirekt! Wir sind Rindernahrung.“, überzeugte ihn nun endlich sein Verstand. Die heutige Portion „Human Green“ ließ er aufgrund einer zutreffenden Spekulation über dessen Zusammensetzung aus und plante stattdessen mit allen zu fliehen. Er konnte sie jedoch nicht von deren Bestimmung überzeugen. Ihr begrenzter Sprachschatz und ihre mangelnde Auffassungsgabe waren im Weg. Auch Bruga ließ sich nicht aufklären. Sie hatte nur Aga-Aga im Sinn, wobei er aus ihrem Auf-der-Stelle-Treten schloss, dass der Abschied nicht so ausfiel, wie ihm seine Phantasie das ausgemalt hatte. Er flüchtete noch am selben Abend alleine dem Rauschen des Meeres entgegen, stolperte dort über seinen Toaster und wurde unmittelbar zurück durch die Zeit in seine Küche katapultiert. Maik lag auf dem Boden und roch etwas. Ein bisschen wie Bovine Green, bemerkte Charly und schüttelte sich. Er schwor sich, nie wieder Rind zu essen. Dafür mehr Huhn.

Verpassen Sie nicht die nächste Folge, wenn Charly beim Versuch, seine Nachttischlampe zu reparieren, wieder weit, weit in die Zukunft katapultiert wird und ganz und gar nicht, wie er sich das in der Pubertät ausgemalt hatte, auf dem „Planet oft the Chicks“ landet.

2 Kommentare:

  1. Ha! Coole kleine Geschichte.

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  2. Irgendwie verschluckt mein Spamfilter die Kommentar-Benachrichtigungen ... vielen Dank. Inzwischen habe ich sie schon mit einigen weiteren Teilen fortgeführt. Muss nur die Zeit zum Veröffentlichen finden ;-)

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