Wasser im Schrank |
Als ich vor sieben Jahren und damit hoch in meinen Dreißigern erstmals ernsthaften Gedanken über mich und meine Umwelt auch ernsthafte Taten folgen ließ, war mein Fokus rasch auf meinen Kleiderschrank gefallen. Mittlerweile legendär gewordene sieben Kleiderschranktüren hatte ich seinerzeit öffnen und ausschließlich meine Kleidungsstücke finden können. Wäre es nicht sinnvoller, das, was ich nicht trage, wegzugeben, damit es vielleicht wieder getragen wird?, war damals mein treibender Gedanke. Im Papier „Wegwerfware Kleidung“ hatte Greenpeace im November 2015 das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage präsentiert. Demnach wird jedes fünfte Kleidungsstück so gut wie nie getragen. Das sind eine Milliarde Kleidungsstücke, die ungenutzt in deutschen Schränken liegen. Ein überproportionaler Anteil war hinter meinen oben genannten Türen zu finden. Dann habe ich auszusortieren begonnen. Säckeweise besuchte ich den Kleiderladen des Deutschen Roten Kreuzes. Heute belagere ich nur noch zwei der sieben Türen, und die oberen zwei Fächer sind nicht einmal mit Kleidung belegt. Im Durchschnitt, weiß Greenpeace, besitzt jede erwachsene Person in Deutschland 95 Kleidungsstücke - ohne Unterwäsche und Socken. Dort bin ich seitdem auch angelangt – darunter allerdings Exoten wie eine Mittelaltermontur, ein Zaubererumhang und eine Schneehose. Dass ich im Schnitt bleibe, schaffe ich mit der Devise „Eins kommt, eins geht!“
Gerade auf Festivals ist es manchmal schwer, sich entweder kein Erinnerungsshirt mitzunehmen oder eines der daheimgebliebenen Shirts auszusortieren. Da die meisten Kleidungsstücke allerdings zehn Jahre und älter sind, macht der irreparable Verschleiß es mir manchmal einfach. Auf Festivals traf ich oft auf die Helferinnen und Helfer des Hamburger Vereins „Viva con Agua“, die Pfandbecher einsammeln und vom Erlös beispielsweise den Brunnenbau in Afrika unterstützen. Das ist ein tolles Projekt, dessen Verbindung zu den Festivalshirts, wie ich gleich zeige, weit über die augenscheinliche lokale Gemeinsamkeit hinausgeht. Ein weiterer Verein, der sich mit Wasser auseinandersetzt, ist „Drip by Drip“ aus Berlin. Hier steht im Fokus, welchen Wasserverbrauch die Textilindustrie verursacht. Allein eine Jeans kommt auf unglaubliche achttausend Liter für den Anbau der Baumwolle sowie die Wasch- und Färbeprozesse. Gerade in Anbaugebieten wie China und Indien oder Weiterverarbeitungsregionen wie Bangladesch hat das merkliche Auswirkungen auf die Lebensqualität der Bevölkerung. Der hohe Wasserverbrauch beim Baumwollanbau führte unter anderem zum Austrocknen des Aralsees. Insgesamt 6.500 verschiedene Chemikalien sind bei der Textilveredelung im Einsatz und werden gerade in asiatischen Billiglohnländern größtenteils ungefiltert über Abwässer entsorgt. Im Waterplaybook (https://waterplaybook.net/) von „Drip by Drip“ kann man prüfen, wie viel Wasser in der Produktion des eigenen Kleiderbestandes steckt. 122.400 Liter sind für meinen Schrankinhalt geflossen, und das sind nur 60 Prozent des Inhalts, da einige Kleidungsstücke nicht aufgeführt sind. Wahrscheinlich sind es über 200.000. Davon könnten einhundert Menschen fast drei Jahre lang ihren Trinkwasserbedarf decken.
Was bedeutet das? Keine Kleidung mehr tragen und mehr trinken? Nein, aber vielleicht mehr Second Hand kaufen, öfter reparieren lassen und weniger auf kurzlebige Trends setzen. Ich schaue jetzt nochmal in meinen Schrank. Ich muss ein ernstes Gespräch mit meinem zerschlissenen Abi-Shirt von 1995 führen.
Bildrechte: AleXXw, CC BY-SA 3.0 at
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen