Sonntag, 11. Oktober 2020

Es werde Dunkel

Es werde Dunkel

Am 19. September war der Sprich-wie-ein-Pirat-Tag. Harr! Piraten orientierten sich bei der Seefahrt an den Sternen. Das hat mich bewogen, meine Dachterrasse zum Piratenschiff umzuwidmen und die Navigation durch Friedberg zu starten. Den Polarstern und die Venus konnte ich erkennen. Ein anderer vermeintlich entdeckter Stern hätte zu einer Fehlnavigation geführt. Er hatte plötzlich zu blinken begonnen und war in Richtung Frankfurt abgezogen. Dann hatte ich mir die „Verlust der Nacht“-App runtergeladen und mich auf die Suche gemacht. Tatsächlich ist das Firmament so von Straßen- Geschäfts- und Gebäudebeleuchtung überstrahlt, dass nur ein wenig beeindruckender Teil der eigentlich sichtbaren Sterne trotz klarem Nachthimmel erkennbar war. Das finde ich nicht nur als erster selbsternannter, aber pazifistischer Pirat Friedbergs mit glücklicherweise stationärem, nicht navigationspflichtigem Schiff schade. 

Als ich recherchierte, wie viel Energie wir für Beleuchtung aufwenden, stoße ich auf ein etwas älteres Papier des NABU, demnach in Deutschland jährlich bis zu 4 Mrd. kWh an Strom für die Beleuchtung von Straßen, Plätzen und Brücken verbraucht werden. Könnte man das reduzieren, ohne das Sicherheitsgefühl negativ zu beeinflussen? Aus meiner Schulzeit erinnere ich mich daran, dass mein Kunstlehrer gesagt hatte, dass die Restlichtverstärkung des menschlichen Auges nur wenig Zeit brauche, um im vermeintlich Dunklen nahezu taghell zu sehen. Eine halbe Stunde die Augen im Dunkel geöffnet, und ich erkenne zumindest alles, was mir zuvor noch verborgen geblieben war. Probiert es aus! Müsste es da nicht ausreichen, die Außenbeleuchtung mit nur halb so viel Lumen wirken zu lassen? Kuechly et al haben in der Studie „Changes in outdoor lighting in Germany from 2012-2016“ über Satelliten festgestellt, dass die wirtschaftsstarken Bundesländer jährlich um 3-4 Prozent heller wurden. Das liegt einerseits an den LED-Leuchten, die bei verringertem Stromverbrauch helleres Licht produzieren, aber auch am Rebound-Effekt: „Wenn wir mit LEDs Geld sparen und zudem ökologischer sind, dann können wir auch mehr Lampen einsetzen!“ 

Nicht nur Piraten haben es mit so viel Störlicht schwer. Insekten werden angezogen, und selbst wenn sie nicht an heißen Glühlampen verenden, dann kreisen sie solange um die LEDs, bis sie ihren eigentlichen Grund herumzufliegen vergessen haben: Für Nahrung zu sorgen. Auch das kann einer der Gründe sein, weshalb wir im Sommer kaum mehr Windschutzscheiben von Insekten befreien müssen. So lästig das vor Jahren auch war, aber mit den Augen zum Himmel fragen wir uns, ob wir alleine hier sind, während wir am Boden alles tun, dass wir es irgendwann sein werden. Auch Wirbeltiere beeinflusst das Licht. Nur bei Dunkelheit wird das schlafregulierende Hormon Melatonin ausgeschüttet. Beim Menschen liegt die Empfindlichkeitsschwelle bei sechs Lux. Mit einer Luxmeter-App auf dem Smartphone habe ich um zehn Uhr nachts den Test gemacht. Je nach Straße und Schaufenster waren auch in Friedberg Werte bis zu zehn Lux gegeben. Nicht von ungefähr boomt der Markt mit Melatonin- und anderen schlaffördernden Tabletten. Bei Nagern liegt die Schwelle übrigens schon bei 0,03, bei Fischen bei 0,01 Lux, und die können keine Apotheke aufsuchen. Die gesundheitlichen Auswirkungen sind noch nicht hinreichend erforscht, doch ohne Fische keine Seefahrt und ohne Seefahrt keine Piraten – auch nicht in Friedberg. Das wäre nicht nur schade für Francis Drake, Jean Lafitte und Kollegen. Harr!

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