Atomtransporte nach Biblis - eine strahlende Zukunft |
Mittwoch war er im stillgelegten Atomkraftwerk Biblis angekommen, der erste Transport von Atommüll seit neun Jahren. Eigentlich sollte das schon im März geschehen sein. Doch damals wollte man das den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Hinblick auf die Pandemie nicht antun. Weit über sechstausend hätten den Transport der Castoren sichern sollen. Wenn schon nicht die Strahlenbelastung, so wollte man doch wenigstens eine Ansteckung mit Corona vermeiden. Immerhin hatten wir damals dieselbe Zahl an täglichen Neuinfektionen wie potenziell einzusetzende Polizeikräfte. Just in der Woche des bundesweiten Inkrafttretens der strengeren Lockdown-Coronaregeln und einen Tag, bevor die Marke von 20.000 Neuinfektionen mit COVID-19 durchbrochen wurde, fand der Transport dann doch statt. Verstehe einer, weshalb die Corona-Gefahr nun akzeptabel ist. Wäre ich ein Verschwörungstheoretiker, könnte ich die These verbreiten, dass die Strahlung negativ auf das Virus wirkt. Schon damals, als es nach Gorleben ging, hatte Greenpeace am Verladebahnhof Dannenberg gemessen, welche Strahlung von den Behältern ausgeht. Die Gammastrahlung war in 14 Metern Entfernung 40-mal höher als sonst und die Neutronenstrahlung 480-mal höher. Diese auf Nicht-Kernphysiker erschreckend wirkenden Werte liegen innerhalb der Grenzwerte des Bundesamts für Strahlenschutz für die Transporte. Offenbar halten Polizeibeamte einiges aus, das Corona-Virus vermeintlich weniger.
30 Terawattstunden an Kernenergie hat die Bundesrepublik im ersten Halbjahr 2020 produziert. Das entspricht 12,1 Prozent der Gesamtproduktion. Irgendwo muss man mit den abgebrannten Brennelementen hin. Wohin ist unklar. Genau deshalb gibt es Zwischenlager. Aktuell lagern in Biblis 108 Castoren mit Atommüll aus Biblis und drei anderen deutschen Kernkraftwerken sowie seit Mittwoch sechs weiteren Behältern aus Großbritannien. Was? Warum lagern wir britischen Atommüll hier?, höre ich es nun rufen. Nein, tun wir nicht. Es ist unserer. Im cumbrischen Sellafield an der Irischen See, von wo die Brennstäbe stammen, wird die Wiederaufarbeitungsanlage THORP betrieben, in erster Linie zum Zweck der Aufarbeitung von ausländischem Atomabfall. Deutsche Atomkraftwerke sind eine der wichtigsten Kunden. Die zweite in Westeuropa steht im französischen La Hague – auch dort sind wir der mit Abstand größte Kunde und ein Transport steht an. Wiederaufarbeitung klingt sehr grün, wie strahlendes Neon-Grün quasi, ist aber Green-Washing oder besser: Strahlend-Neon-Green-Washing. Nur wenige Prozent des Atommülls werden tatsächlich in neuen Brennstäben wiederverwendet, der Rest muss zwischengelagert werden, bestenfalls dort, wo er herkommt. Wir produzieren also hier gefährliche Abfälle, transportieren sie quer durch Europa, um sie unzureichend recyceln zu lassen und sodann unter den gleichen Gefahren wieder zurückzubringen. In ein Zwischenlager! Ohne ein Endlager zu haben. Selbiges soll bis zum Jahr 2031 gefunden und bis zum Jahr 2050 fertiggestellt sein. Die Genehmigung für das Zwischenlager in Biblis läuft übrigens vier Jahre vorher aus. Deutschlandweit sind mehr als 1.200 Castor-Behälter im Einsatz, teilweise schon seit Jahrzehnten. Wir werden also noch eine ganze Weile für dieses Vermächtnis energetischer Allmachtphantasien radioaktive Erbschaftssteuer zahlen müssen. Biblis hat übrigens eine Genehmigung für 135 Behälter. Macht euch also bereit für eine „strahlende Zukunft“, ihr Polizeibeamte und Corona-Viren! Ihr anderen: Bitte Ökostrom beziehen!
Bildrechte: Alexander Hoernigk - Eigenes Werk, CC-BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15059586
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