Gemüse macht stark, ist aber schwach! |
Als Charly die Augen aufschlug fand sich in einem großen
Saal wieder, der annähernd 50 Tische fasste. Er saß auf einem bequemen Stuhl an
einem festlich eingedeckten Tisch. Beinernes Besteck mit eingeschnitzten
stilisierten Lachgesichtern lag vor ihm und rang ihm ab zurückzulächeln. Charly
war in einen feinen Anzug aus dem zartesten Leder gekleidet, über das er je mit
seinen Händen fahren zu dürfen das Vergnügen hatte. Charly schaute sich um. An
den anderen Tischen saßen ähnlich wie er gekleidete Humanoide mit den buntesten
Hautfarben und absonderlichsten Körperformen.
Am Nachbartisch Tisch saßen ein menschengroßer Brokkolo im
Abendkleid, eine Bohnenstange von einem Humanoiden mit einer menschenkopfgroßen
Walnuss zu oberst, aus der zwei strahlende Augenpaare hervorstachen, und ein schlanker
Champignon von gut einem Meter und achtzig mit Frack und Zylinder. Frau
Brokkolo sagte: „Schaut her, ich sehe aus wie ein Baum!“ und richtete sich
unter Kichern der Walnuss auf. Die Walnuss räusperte sich, lupfte die obere
Hälfte ihrer Schale und sagte unter Kichern von Frau Brokkolo: „Schaut her, ich
sehe aus wie ein Gehirn!“. Der Champignon wandt seinen eichelartigen Schädel ab
und sagte: „Ihr wisst, ich hasse dieses Spiel“. Beide kicherten erneut, der
Champignon errötete. Als die drei Charly bemerkten, verstummten sie. Der
Champion hob den Arm und rief nach einem Kellner. „Was können Sie denn heute
empfehlen, Garcon“, sagte er, als der Livrierte, ein Humanoider mit dem Äußeren
einer Aubergine, vor ihm stand.
„Nun, das Tagesangebot, das ich Ihnen sehr empfehlen kann,
wäre eine Suppe vom Kaukasier mit Chlorophyll-Einlage. Als Hauptspeise einen
Schenkel vom homo erectus, eine Rückzüchtung, die mit außerordentlichem Bouquet
besticht. Zum Nachtisch dann etwas frische Rohkost vom lokalen Bauernmarkt.“
„Finde es toll, dass sie den Nachtisch schon am Nachbartisch
haben“, flüsterte er dem Kellner zu.
„Haloooo, ich höre euch!“, sagte Charly. Schweigen breitete
im Raum aus wie veganer Vanillepudding über einem Tellerchen reifer Himbeeren
„Ih, es kann sprechen. Wer will es jetzt noch essen?“,
riefen die Gäste der 50 Tische sinngemäß plötzlich durcheinander.
Charly drehte sich verwirrt um die eigene Achse. „Wo ist
Maik?“, dachte er sich, während Maik von drei Kellnern auf einer Servierplatte
hereingetragen wurde. Er war nackt, aber roh. „Maik?“, fragte Charly den
auberginen Oberkellner. „Frisch vom Markt!“, antwortete dieser, da er am
schnellsten die Fassung zurückgewonnen hatte und zum Tagesgeschäft übergegangen
war.
„Entschuldigen Sie, ich hatte ein gut gemästetes Exemplar bestellt“,
sagte der Tomatenvater empört, an dessen Tisch das Maik-Dessert für vier
gebracht wurde.
Maik schaute an seinem gut exponierten Speckgürtel runter,
an dem Maiks unverschlossener Kühlschrank einen maßgeblichen Anteil hatte, und
war beleidigt.
„Hey, das hat alles Geld gekostet“, sagte Maik tief verletzt.
„Ja, mein Geld, Schmarotzer!“, sagte Charly.
„Ih, es spricht, bringen Sie es weg“, rief der Tomatenvater
mit Ekel in der Stimme.
„Können wir es behalten? Bitte, Pappi!“, flehte eine kleine
Kirschtomate, derweil Maik von der Servierplatte sprang und zielstrebig auf
Charlys Tisch zustrebte.
„Bah, würdest du dir bitte etwas vor deinen Stengel halten.
Das ist ja widerlich. Ich sitze am Essenstisch!“
Maik hob gleichgültig die Schultern, zog im Vorbeigehen ein
grünes Tuch vor sein Gemächt und setzte sich Charly gegenüber an den Tisch.
Hinter ihm krachte es.
„Au, meine Haare, sie Schuft!“, sagte eine weibliche Stimme,
die einer Salatkopffrau gehörte, deren grüne Pracht sich halb um Maik gewickelt
hatte. „Verzeihung!“, sagte Maik zu der neben ihm liegenden grünen Schönheit,
behielt sie aber dennoch um sich gewickelt.
„Alter, was ist hier los?“, sagte Maik und schaute auf den
leeren Teller vor ihm. „Garcon!“
„Ich weiß nicht. Irgendwie bin ich schon wieder in der
Zukunft gelandet.“
„Wie? In der Zukunft? Und was meinst du mit -schon wieder-?“
„Öh, stimmt. Du warst ja immer gestorben, als ich in die
Zukunft katapultiert wurde!“
„Wie? Gestorben?“, sagte Maik, aber da er befürchtete, die
Antwort könnte ihm vielleicht nicht zusagen, lenkte er gekonnt vom Thema ab.
„Weißt du eigentlich, dass du total die Ähnlichkeit mit dem jungen Charleton
Heston hast?“
„Hilfe!“, sagte die noch immer halb um Maik gewickelte
Salatkopffrau, und die ersten Gemüsegestalten, offenkundig männlichen
Geschlechts, erhoben sich.
„Papa, Papa“, hörten sie die Stimme der kleinen
Kirschtomate. „Der Nachtisch macht der Tante Aua!“
„Charlton Heston also!“, sagte Charly, und Maik nickte.
„Sie grober Lüstling!“, sagte die Salatkopffrau und
schüttelte sich eine Schnecke aus dem Schopf.
„Hey!“, sagte ein cholerischer Hüne von einem Gemüsemann in
Form einer roten Paprika. „Lasst die Dame sofort los, sonst setzt es was!“ Er
lief rot an und auf die beiden zu. Gleichzeitig setzte sich der Tomatenpapa in
Bewegung und baute sich vor den beiden auf. Hinter ihm stand der
Auberginenkellner und einige junge Gemüse, die dem juvenilen Phytohormonstau durch
Gewalt Luft zu verschaffen suchten.
Maik drehte sich abrupt um, als eine Hand auf seinem Rücken
landete. Die Salatkopffrau war nun vollends um Maiks Hüften geschlungen und
kommentierte es mit einem „Umpf!“.
„Auf sie!“, rief der Tomatenpapa, und unzählige
chlorophyllgestählte Fäuste schwangen unheilvoll auf die beiden zu. Pflanzenkraftstrotzende
Hände streckten grob nach ihnen aus. Das ganze hätte unter normalen Umständen
mit zwei geschundenen Menschenkörpern geendet, doch wie konnten die
Gemüseherrschaften ahnen, dass diese beiden Exemplare keine für den Konsum
gezüchteten Exemplare mit dünner, weicher Haut, gummiartigen Knochen und mürbem
Fleisch waren. Es waren stabile Menschen aus der Zeit weit, weit bevor erste
genetische Experimente mit Gemüsen zu Exemplaren mit Intelligenz geführt
hatten, die Jahrhunderte später die Weltherrschaft an sich reißen sollten.
Als der Tomatenpapa in Reichweite war, schrie Maik
„Ketschup“, und ein besseres Bild zu dem, was anschließend geschah, könnte kein
anderer Schlachtruf schaffen. Derweil zerschnitt Charly das cholerische Paprika
zu Paprikastreifen julienne und lächelte dabei mit Intarsien seines beinernen
Steakmessers um die Wette. „Nehmt ihm das Messer ab!“, schrie der
Auberginenkellner und griff mit beiden Händen nach Charlys Arm, der sich
mühelos los riss und dabei ungewollt auch gleich die Hände des Kellners ab.
Zucchinihalbstarke, Pastinakenmuskelmänner, Karottenkämpfer, sie alle brandeten
chancenlos an der menschlichen Zweimannarmee ab. Rataloullie-Tage, würde der
Tag des Massakers später in den Zeitungen der Gemüsewelt heißen und ein Umdenken
im Verhalten Menschen gegenüber bewirken.
Der Boden bedeckte sich mit Gemüsesaft, überall gewürfeltes
Gemüse, solches in Streifen, gemußtes, und so wäre es weiter gegangen, wenn der
Gemüsesaft nicht die Dessertkühltruhe des Saales geflutet, der Sauerstoff eine
chemische Reaktion ausgelöst, die Platinen zufällig zu einer Zeitmaschine
umgeformt und Maik und Charly zurück an dessen Küchentisch katapultiert hätte.
„Wow!“, das war ja abgefahren, sagte Maik.
„Wenn du wüsstest, wo ich schon überall gelandet war!“,
sagte Charly und dachte an Rinder-, Hühner-, Fisch- und Schweinewelten.
Sonderbarerweise funktionierte der Kühlschrank wieder und
war voller intaktem Gemüse. Maik nahm einen Tomatensaft und mixte zwei Bloody Mary.
„Prost!“, sagte er. „Gemüse ist doch das Beste!“
„Out of my
dead cold Hands!“, sagte Charly und reckte sein Glas in die Höhe.
Er sah
wirklich aus wie Charleton Heston!
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