Dienstag, 4. Dezember 2018

Kampfansagen an Veganer


Als Veganer ist man oft Zielscheibe. Alle Schießen auf uns – vom Comedian bis zum CSU-Politiker. Warum eigentlich? „Ich lasse mir mein Fleisch nicht wegnehmen!“, ruft da einer aufgebracht. „Ich esse doch gar kein Fleisch!“, antworte ich und verstehe meine Pflanzenwelt nicht mehr.  Es folgt der Fingerzeig in die Supermarktregale. Der vegane Lebensmittelsektor ist in den letzten Jahren unübersehbar geworden. Fleischalternativen verzeichnen seit 2008 ein stetes Umsatzplus, kann man auf der Homepage des Vegetarierbundes (VEBU) lesen. Da kann man sich schon bedroht fühlen und die in naher Zukunft zu erwartende Verdrängung des echten Fleischs zu fürchten beginnen. Äthiopien war übrigens in den letzten Jahren das Land mit den größten volkswirtschaftlichen Wachstumsraten. Deren Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt allerdings auch nur zwei Prozent des unseren. Wo wenig ist, kann viel wachsen. So ist es auch mit den Fleischalternativen im Supermarkt. Die Gefahr, dass ein Soja-Schnitzel das Rinder-Steak verdrängt, ist in etwa so hoch wie die, dass die äthiopische Exportwirtschaft zu einem Aussterben des deutschen Einzelhandels führt. 

Dennoch: Überall dort, wo ein Fleischesser genüsslich in sein Steak beißen möchte, sitzt ein Veganer am Tisch und hebt den Zeigefinger wie eine moralische Keule. Statistisch ist das merkwürdig. 1,3 Millionen Veganer gibt es, sagt der VEBU. Das sind gerade einmal eineinhalb Prozent der deutschen Bevölkerung. Rein mathematisch betrachtet müsste also ein Steakliebhaber an einer Tafel mit gut 65 Menschen sitzen, damit sich ein ganzer Veganer unter ihnen befindet. Da kommt es sehr stark darauf an, wo der fleischlose Moralist am Tisch platziert ist, damit dessen Zeigefinger überhaupt wahrgenommen wird. Oder es muss ein sehr großer Zeigefinger sein, was bei dem Proteinmangel, unter dem wir strengen Veggies permanent leiden, eher unwahrscheinlich ist. „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“, heißt es schließlich, und nicht fleischlos.

„Ihr seid undankbar!“, schleudert man mir entgegen. „Ohne Fleisch wäre unser Gehirn nie so groß geworden!“ Nun, denke ich mir, ohne die Französische Revolution hätten wir vielleicht keine Menschenrechte. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass das Guillotinieren von Staatoberhäuptern heutzutage nicht so gut ankäme, selbst wenn ich darauf verwiese, dass ich es ja nur mache, weil wir ohne das heute kein Recht auf körperliche Unversehrtheit und kein Recht auf Leben hätten. Alles in allem entlarvt das, weshalb wir und unsere Ernährung tatsächlich in den Zielfokus von Bühnen- und Wahlprogramme geraten. Es geht schlichtweg darum, den größtmöglichen Konsens zu erreichen. 

Etwas gegen Frauen? Die sind statistisch in der Mehrheit. Schlecht! Und man will ja kein Sexist sein! Über Ausländer oder Menschen mit Migrationshintergrund? Ein Viertel der Zuhörer könnte das betreffen. Schlecht! Und man will ja kein Rassist sein! Vegetarier? Auch gut 10 Prozent. Besser! Doch wer möchte schon jeden zehnten zahlenden Zuhörer oder einen solchen Wähleranteil vergrämen? Jeder 65. Deutsche ist Veganer. Großartig! Angenommen ich hätte einen Auftritt in einem Saal mit hundert Sitzplätzen, dann befänden sich nur eineinhalb Veganer im Publikum – oder sagen wir zwei, da wir ja so dürr sind. 98 Gäste lachen, denken sich: „Ja, ja, diese Baumkuschler!“ und freuen sich dankbar über ihr großes Gehirn.
0,45 Prozent der Zuschauer könnten übrigens theoretisch auch Äthiopier sein. Hoffen wir, dass das weder Comedians noch Politiker je merken.

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