Der Wecker klingelt. Ein letztes Mal in dieser Woche.
Endlich Freitag. Die Woche war schließlich auch anstrengend genug. Jeden Abend
nach der Arbeit liege ich sofort erschöpft auf der Couch. Aber immerhin erfülle
ich immer mein Pensum. Ich kann stolz auf mich sein. Ich stehe auf, mache mir
einen Kaffee und eile mit einem Croissant im linken und einer Zigarette im
rechten Mundwinkel zur Bahn. Mehr Zeit war nicht, denn es war leider nicht das
erste Klingeln, mit dem ich erwacht war. Das ist es nie. Na ja, bei dem
Arbeitspensum.
Ich komme am Bahnhof in der Minute an, als die Bahn gerade
einfährt. Mein Auto schließe ich eilends ab, renne zum Bahnsteig und schaffe es
geradeso, die Hand zwischen die schließende Tür zu bekommen. Ich nehme mir den
letzten freien Sitzplatz. Mir gegenüber sitzt ein Mann, dem die sich
ankündigende Sommerhitze des Tages schon jetzt zu schaffen macht. Er liest in
der Zeitung von gestern. Wäre ich geistig so desolat und körperlich so schlecht
in Form, könnte ich mein Arbeitspensum nie erfüllen. Der Herr bräuchte sicher
auch die Mittagspause, die ich mir stets vergönne. Ich erfülle mein Pensum
immer. Ich kann stolz auf mich sein. Beinahe verpasse ich es auszusteigen.
Gerade so bekomme ich die Hand zwischen die sich schließende Tür.
Im Büro komme ich pünktlich an. Ich bin immer pünktlich. Die
Chefin kommt stets nach mir. Ich setze mich an meinen Rechner. Wieder einmal
hat ein Update das System zerschossen. All meine Termine sind inaktuell und
hinken der Zeit einen Tag hinterher. Ich
rufe bei unserer System-Hotline an. „Kriegt das mal auf die Reihe“, sage ich.
„Sogar die Systemzeit auf dem Telefondisplay spinnt“. Wenn ich so arbeiten
würde wie unsere Techniker, würde ich mein Pensum nie erfüllen. Ich gehe meine
Freitagstermine durch und erledige, präzise wie ein Roboter, alle Terminsachen,
eilige Vorgänge und geplanten Arbeitsschritte sowie meinen Wochenabschluss.
Donnerstag war nichts abgeschlossen worden. Verdammte Buchhaltung! Bin ich der
einzige, der sein Pensum erfüllt Wozu brauche ich System-Techniker und
Buchhalter? Ich erfülle mein Pensum immer. Auch unter diesen Bedingungen. Ich
kann stolz auf mich sein. „Hallo, Chefin!“, rufe ich, als sie kommt, und
„Schönes Wochenende!“, als sie geht. Ich gehe dann auch.
Zur Ausnahme kriege ich meinen Zug nachhause mal, ohne auf
die letzten 100 Meter zu rennen und mich zwischen den Schiebetüren zu
verbeißen. Die Bahn hat Verspätung. Doch selbst darauf ist kein Verlass. Würde
ich so arbeiten, würde ich … aber das wissen Sie ja schon. Ich bekomme keinen
Sitzplatz mehr. Das Gespräch von einer
der Sitzgruppen dringt zu mir. „Noch ein Tag, dann endlich frei!“, sagt ein
Herr im Blaumann. Die Dame im Kostüm lächelt und sagt: „Oh, ja!“, bevor sie
sich wieder hinter ihrem Ebook-Reader versteckt, und der Arbeiter nochmal
seinen Facebook-Status prüft. Samstagsarbeit, denke ich mir, so weit ist es bei
uns zum Glück noch nicht. Zwar könnte ich sicherlich dann mein Pensum deutlich
entspannter bewältigen, aber ich schaffe es auch so. Ich bin am Limit, doch
beschweren kann sich niemand. Ich schaffe mein Pensum immer. Ich kann stolz auf
mich sein.
Zuhause angekommen, geht es gleich auf die Couch. Erschöpft
zwar, doch mit einem Bierchen in der Hand kann ich eine erfolgreiche Arbeitswoche
feiern. Die Fernsehzeitung sagt mir, heute Abend kommt auf Arte eine
Dokumentation über das Burnout-Syndrom. Da lasse ich den Fernseher wohl aus.
Heutzutage ist offenbar niemand mehr belastbar. Unvorstellbar. Mit solchen
Leuten kann man wohl kaum ein Pensum wie meins schaffen. Wie soll da jemand
stolz auf sich sein? Der Wecker bleibt aus. Wochenende. Ich schlafe auf der
Couch ein.
Samstagmorgen, halb neun, das Telefon klingelt. Meine Chefin
ist dran und fragt, wo ich denn bliebe. Ich antworte etwas unwirsch: „Seit wann
arbeiten wir denn samstags?“
„Samstags?“, antwortet sie, und es entsteht eine kurze
Pause. Dann teilt sie mir mit, dass ich montags
nicht mehr arbeiten müsse, künftig immer erst ab Dienstag, dafür endete die
Arbeitswoche nunmehr samstags. Toll, meine Chefin, wir arbeiten schon so lange
zusammen, aber sie überrascht mich stets. Etwas komisch ist sie zwar schon.
Beispielsweise Montag vor einem Monat, als ich
gehetzt zur Arbeit kam, und keiner da war. Sie hatten alle geglaubt, es
sei Sonntag. Selbst die Chefin.. Na, ja, sind wohl überarbeitet. Bei ihrem
Pensum. Ich bin stolz auf uns, doch irgendwie werde ich den Gedanken nicht los,
dass heute Abend ein Film über Burnout läuft, auf Arte, und ich ihn schauen sollte.
Au, jetzt bin ich auch schon ganz durcheinander ...
AntwortenLöschenHallo, mein Lieber 😊
AntwortenLöschendas ist nicht schlimm. Morgen ist ja schon Wochenende.
Herzlichst
A.