Dienstag, 16. April 2019

Ein Haus im Grünen - ein Tiny House



Derzeit sinniere ich darüber, ein Tiny House zu beziehen, also in Übersetzung ein „winziges Haus“, oft auch als Mikrohaus bezeichnet. Diese haben ihren Ursprung in den Vereinigten Staaten zur Zeit der Wirtschaftskrise 2007. Aus der Not – Wohnungsmieten wurden für einen Teil der Bevölkerung unerschwinglich und Tiny Houses zu einer Alternative – ist heute eine Tugend geworden. Wer auf Youtube den Begriff eingibt, wird feststellen, dass die USA ein wahrer Pionierstaat des auf das Minimum reduzierten Wohnens geworden sind. Make America great again, but houses tiny! Es ist nicht mehr nur die traurige Domäne von gesellschaftlich abgehängten Menschen – die trotz der Trumpschen Phrase nicht weniger geworden sind –, sondern inzwischen auch eine Chance für Freischaffende, Künstler und Umweltbewusste, sich freiwillig von Besitz zu befreien und sich voll dem wirklich Wichtigen widmen zu können: Der gewonnenen Zeit! 

Gut ein Dutzend Anbieter gibt es auch in Deutschland, die auf zwei Handvoll Quadratmetern und wenig mehr mit Hilfe multifunktional nutzbaren Interieurs und architektonischen Kniffen einen Wohnraum schaffen, der für ein bis zwei Personen an nichts mangeln lässt – ganz im Gegensatz zu den Tiny Houses der erstgenannten Gruppe. Ein Gartengrundstück zu erschließen, das für den Eigenbedarf bewirtschaftet und gleichzeitig mit geringem Flächenverbrauch bewohnt werden kann, klingt toll. Die Frage ist natürlich, ob es wirklich eine ökologischere Variante ist. 

Die durchschnittliche Wohnfläche pro Bundesbürger lag im Jahr 2017 bei 46,5 Quadratmetern. Da wir es zu zweit beziehen wollen, wird es in der Grundfläche vermutlich auf etwas weniger als dreißig Quadratmeter hinauslaufen – pro Person also nur ein Drittel des Bundesdurchschnitts. Zwei Drittel weniger Raum pro Person, der beheizt werden muss und somit bereits aus energetischer Sicht ökologischer ist – aus stofflicher ohnehin. 

Doch wie steht es mit dem Flächenverbrauch? Die Fläche je Wohnung betrug im Jahr 2017 im Durchschnitt 91,8 Quadratmeter. Ein- und Zweifamilienhäusern, die immerhin 82 Prozent der 18 Millionen Wohngebäude in Deutschland ausmachen, schlüge das angestrebte Tiny House dann ebenfalls um den Faktor eins zu drei. Lediglich dem Flächenverbrauch von Häusern mit sieben und mehr Wohnungen, die aber fast ein Drittel aller Wohnungen enthalten, müsste sich das Tiny House geschlagen geben. Theoretisch! Denn die meisten Tiny Houses stehen nicht auf versiegeltem Grund, sondern auf Rädern. 

In Berlin stehen Tiny Houses nicht nur darauf, sondern auch auf Dächern. Um dem städtischen Wohnraumproblem zu begegnen, haben zwei Architekten das Projekt „Cabin Spacey“ entwickelt, ein Tiny House mit 25 Quadratmetern Fläche für das Hochhausdach. Natürlich ohne Räder! Mit und ohne findet man im Fichtelgebirge im Tiny House Village eine Community von Mikrohausbesitzern – sogar mit einem Tiny-House-Hotelbetrieb zum Probewohnen. Auch in den Tiny-House-Dörfern Weißer Brunnen in Schleswig-Holstein sowie Großenkneten und Brietlingen in Niedersachen kann dauerhaft im kleinen Häuschen gewohnt werden. Etwas näher sind die Freizeitparks Rodenbach und Kinzigsee in Langenselbold, die ebenfalls die Möglichkeit des ganzjährigen Wohnens in einem Tiny House bieten. 

Es scheint in Deutschland angekommen, und ich hoffe, die Gründe sind nicht dieselben wie in den USA. Ohne Sozialleistungen wäre knapp jede vierte Person in Deutschland armutsgefährdet. Die Zahlen sprechen gegen die Hoffnung, doch die stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Dienstag, 2. April 2019

Smarte Rendezvous


Ein typisches Rendezvous: Restaurant, Kerzen, Abgeschiedenheit. „Ich bin sehr gerne mit dir zusammen“, flötet er. Und schaut auf das Handy. WhatsApp signalisiert. „Oh, ja!“, haucht sie, will beide Hände zärtlich herüberreichen, doch Donald Trump twittert. Der Weltfrieden ist in Gefahr. Zumindest die USA. In jedem Fall die Zweisamkeit. 

Der Friedberger Dichter Thorsten Zeller lässt einen seiner Protagonisten genau zu diesem Thema sagen: „Lebe im Augenblick!“, doch das scheint nicht einfach. Vor kurzem habe ich eine Woche lang tagsüber die Datenverbindung des Smartphones gekappt und nur zu drei Tageszeiten aktiviert. Die Erkenntnis war: Die Zeit, in der ich mich mit WhatsApp, Facebook und Email band, reduzierte sich auf weniger als ein Fünftel. Blöd ist nur, dass ich dennoch zu spüren glaubte, Nachrichten zu bekommen. 31 Prozent der Handybesitzer haben manchmal das Gefühl, dass es klingelt oder vibriert, obwohl sie weder einen Anruf noch eine Nachricht erhalten haben. Das hat eine Umfrage im Auftrag des Branchenverbands Bitkom ergeben. Nicht mehr alles sofort zu erledigen, spart Zeit, denn zu einem späteren Zeitpunkt ist das meiste schon überholt. Das funktioniert in der Politik, mag man glauben, warum nicht auch in der Kommunikation? Gerade bei Email-Eingängen ist es effizienter, zehn Spam-Mails auf einmal zu löschen als zehnmal eine. 

Der typische Verlauf: Nachricht geht ein, Smartphone wird rausgeholt, PIN eingegeben, nochmal richtig eingegeben, App geöffnet, geschlossen, nochmal geöffnet, weil der Arbeitsspeicher voll war, gelesen, geantwortet, nochmal geantwortet, sich entschuldigt, Missverstanden worden zu sein – eine Kommunikation, die telefonisch in einem Bruchteil der Zeit erledigt wäre. Schon einmal den Test gemacht, um zehn Uhr morgens, den Büroflur entlang zu gehen? Den meisten fällt nicht auf, dass man in der Bürotür steht, denn ihre Augen sind auf 6,1 Zoll konzentriert. In der Bahn ist das Buch verdrängt. Statt zwischen zwei Pappdeckeln gepresstes limitiertes Wissen strahlt uns das gesamte der Welt auf dem Display entgegen. Dennoch ist die PISA-Studie nicht unser bester Freund. Und es ist nicht nur die Bildung in Gefahr.

Als vor einigen Jahren ein Attentäter glücklicherweise in einem Zug überwältigt werden konnte, wurde anhand der Überwachungsvideos festgestellt, dass er mehrfach bewaffnet den Flur des Zuges auf und ab gegangen war, ohne bemerkt worden zu sein. Abgesehen von der Gefahr, im Zug erschossen zu werden, gibt es auch alltägliche. Kopfschmerzen bei Kindern, wie die Jugendgesundheitsstudie des Gesundheitsamtes Stuttgart festgestellt hat, Bandscheibenvorfälle im Halswirbelbereich, Augenerkrankungen, Konzentrationsschwäche. Die Dauerkommunikation um ihrer selbst willen, die das mobile Internet ausgelöst hat, ist offenbar nicht nur Zeiträuber. 

Meine Vision des fast perfekten Abends ist die: Restaurant, Kerzen, ein Tisch für zwei. „Ich bin so gerne mit dir zusammen“, flötet sie. „Oh, ja!“, hauche ich. Wir zahlen, küssen uns im Taxi. Zuhause geht sie mit einem verheißungsvollen Lächeln ins Badezimmer. Ich warte aufgeregt. Die US-Marketing-Agentur 11mark hat übrigens schon vor einiger Zeit herausgefunden, dass drei von vier Usern ihr Smartphone auf der Toilette nutzen. Ich warte weiter. Dann landen wir im Bett. Und beantworten all die Nachrichten, die seit Mittag eingegangen waren. Mit Kuss-Emoji versichern wir einander unsere Zuneigung und lächeln ins Handy, bevor wir ... Wie geschrieben: Fast perfekt! Aber ich arbeite daran. 

Dienstag, 26. März 2019

Vorankündigung: "Plastik in den Weltmeeren" mit Christian Weigand, 3. April 2019, Friedberg


Nächste Woche Mittwoch darf ich die Veranstaltung "PLASTIK IN DEN WELTMEEREN" mit Christian Weigand einleiten und moderieren. Sie findet um 19:00 Uhr im Albert-Stohr-Haus, Ludwigstraße 34, in Friedberg statt. Kommt vorbei :-)

Mehr unter:
http://www.gruene-friedberg.de/plastik-in-den-weltmeeren

Dienstag, 19. März 2019

Stehen oder Sitzen?


Ich finde es gut, dass Sprache lebt, aber besonders, dass sie auch verändern kann. Nur so verschwindet aus dem Köpfen, dass beispielsweise Politiker männlich sein müssen. Im ersten Bundestag waren nur 28 Frauen vertreten, und ein beliebter Witz auf die Frage, was sie dort machen, war „Kaffeekochen!“ Dass sie heute keinen Witzen von alten, weißen Männern mehr Front bieten müssen, hat auch etwas mit Sprache zu tun. Solche Witze funktionieren nur zu Lasten von Minderheiten. Heute hat es sich ausgelacht, denn Frauen sind keine Minderheit mehr auf der politischen Bühne. Wem haben wir das zu verdanken? Der Sprache! Und den Grünen natürlich. 39 von 67 Sitzen der Grünen im Bundestag sind von Frauen besetzt! Das sind 58 Prozent. Bei der Linken sind es 54, bei der SPD 42. Gleichberechtigung ist in der Politik angekommen. Kommen wir aber zu den alten, weißen Männern, sieht es anders aus: FDP 24 %, CDU 19,9 %, und 12 % waren es bei der AFD, bevor Frau Petry parteilos wurde. Nach ihrem Weggang sind es immer noch 12 %. Das sind Zahlen, die vor allem eins klar machen: Wenn Christian Linder sich fragt: „Wo sind die Frauen in der Politik?“, bekommt Alexander Gauland Lust auf Kaffee. Der Anteil von Frauen im Bundestag lag bis in die 1980er Jahr noch bei unter zehn Prozent. Heute sind es fast 40 Prozent. Fast die Hälfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages sind keine Politiker, und das meine ich nicht im wutbürgerlichen Sinne. Nein, es sind Politikerinnen, und das ist gut so!

Eine grammatikalische Gleichberechtigung findet allerdings auf männlicher Seite nicht statt. Was ist mit Politesse, Hebamme und Kindermädchen? Wo sind der Politeur, der Hebammer und das Kinderbübchen? Das Kinderbübchen? Es müsste doch der Kinderbübchen heißen. Also auch in der weiblichen Form nicht das, sondern die Kindermädchen. Spätestens jetzt wird klar, dass das grammatikalische Geschlecht nichts mit dem biologischen zu tun hat, nur in den Köpfen der die Sprache Nutzenden. Wenn die Sonne aufgeht, hält sie niemand für weiblich. Wenn der Mond von ihr beschienen wird, beschwert sich kein Mann, dass der Trabant nicht von selbst leuchtet. Abgesehen von ein paar Ostalgigern vielleicht. Im Französischen heißt der Mond „La Lune“ und die Sonne „Le Soleil“. Geschlechtsumwandlung durch Sprache! Der Politiker ist daher vielleicht einfach nur jemand, der Politik macht. Ganz ohne Geschlecht. Dann ist Politikerin die einzige wirklich auf das biologische Geschlecht bezogene Bezeichnung für Politikmachende. Wenn wir es also ernst mit der Gleichberechtigung meinen, brauchen wir einen Politikerer oder besser einen Politikerich. Das gäbe jedoch Gelegenheit für Witze auf Kosten der männlichen Minderheit bei den Grünen wie diesen: Sagt er: „Ich bin Politikerich“, antwortet sie: „Nein, ich!“ Vielleicht suchen wir uns also besser etabliert neutrale Bezeichnungen. Bei „die Person“ oder „der Mensch“ käme niemand auf die Idee, ein Geschlecht wäre ausgeschlossen. An Politikermensch oder Politikerperson müssten wir uns zwar erst gewöhnen, aber bei Unperson und Unmensch haben wir das auch geschafft, und noch nie kam jemand in die Verlegenheit, von einer Unpersonin sprechen zu müssen.

Bis wir am Ziel sind, ist das Binnenmajuskel mit Sternchen eine gute Lösung. Denn Witze über Männer, die sich noch nicht entschieden haben, ob sie im Stehen pinkeln oder im Sitzen, helfen bei der Gleichberechtigung nicht. Wer solche Witze reißt, hat den Sinn des Genderns nicht erfasst oder ist vielleicht einfach eine Unpersonin.

Bildquelle: Wikimedia

Dienstag, 5. März 2019

Bio und halal


Letzte Woche hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass geschächtetes Fleisch kein EU-Bio-Label tragen darf. Das betäubungslose Schlachten garantiere nicht, dass die Tiere so wenig wie möglich leiden, begründeten die Richter ihre Entscheidung. Ich erinnere mich da an eine Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen zum Thema „Tierschutz bei der Tötung von Schlachttieren“, in der sie auf Fehlbetäubungen bei Schlachtungen hinwies. Nun könnte man mir sagen: „Du lebst vegan! Sei doch froh, wenn die Fleischwirtschaft sich zerfleischt!“ Ich stelle mir jedoch eine ganz andere Frage, die gar nichts mit Fleischkonsum zu tun hat. 

Dazu folgendes Rechenbeispiel: 740 Millionen Einwohner hat die EU, darunter 26 Millionen Muslime. Der Biofleischanteil liegt bei unter 2 Prozent. Es könnte also 520.000 Muslime in Europa geben, die ausschließlich bio und halal essen. Nehmen wir an, sie äßen die für Europa durchschnittlichen 80 Kilo Fleisch pro Kopf, dann müssten 42 Tausend Tonnen Fleisch, das halal produziert wurde mit einem Biosiegel versehen werden, damit die Verbraucher wissen, dass das Tier entsprechend gefüttert und gehalten wurde. Die EU produziert gut 44 Millionen Tonnen Fleisch pro Jahr, darunter 22 Millionen Tonnen Schweinefleisch, das im Islam tabu ist. Es verbleiben also 22 Millionen Tonnen Fleisch, darunter 13 Millionen Tonnen Geflügel- und sieben Millionen Tonnen Rindfleisch, die „tierschutzrechtskonform“ produziert wurden. Nun muss man wissen, dass die EU-Öko-Verordnung zum Thema Schlachten nur einen einzigen Satz enthält: „Ein Leiden der Tiere ist während der gesamten Lebensdauer der Tiere sowie bei der Schlachtung so gering wie möglich zu halten.“ Das trifft auf das Schächten ohne Betäubung sicher nicht zu. 

Der entscheidende Punkt ist: Auf unsere „tierschutzrechtskonforme“ Schlachtung auch nicht! Um eine Biozertifizierung zu erhalten, muss der Schlachthof lediglich garantieren, dass Biotiere von konventionell aufgezogenen Tieren getrennt geschlachtet werden. Der Tötungsprozess ist ökologisch und konventionell gleich: Betäuben, Stechen, ausbluten lassen, nur funktioniert das mit der Betäubung leider nicht immer. Die Fehlbetäubungsrate – und da komme ich auf die eingangs erwähnte Antwort der Bundesregierung zurück – liegt beispielsweise bei Rindern bei vier bis über neun Prozent. Selbst wenn ich „nur“ die vier Prozent annehme, wären wir bei 280.000 Tonnen Fleisch, die ohne Betäubung gewonnen wurden.  Beim Geflügel liegt die Quote zwischen 0,1 und einem Prozent, was mindestens 13.000 Tonnen Fleisch entspricht, bei dem die Tiere keinen Unterschied zur Halal-Schlachtung „erlebt“ hätten. 

Wenn ich die Schlachtausbeuten in die Rechnung einbeziehe, töten wir also bereits jetzt 560 Tausend Rinder und 34 Millionen Vögel in Europa ohne ausreichende Betäubung – rechnerisch wären das 11.200 Bio-Rinder und 680.000 Stück Bio-Geflügel. Zähle ich da die ökologisch aufgezogenen Tiere hinzu, die potentiell halal, also ebenso unbetäubt geschlachtet werden, aber nun kein Bio-Label mehr bekommen, machen sie in Summe etwas mehr als 42 % aus. Es sind also fast ebenbürtige Zahlen. Die einen bekommen ein Biosiegel, die anderen nicht. Warum? Offenbar darf ein Tier aus Gründen der Gewinnmaximierung unbetäubt getötet werden und sich dennoch Bio nennen, aus religiösen Gründen jedoch nicht. Da frage ich mich ernsthaft, ob wir nicht dem falschen Gott huldigen! Die vegane Bioküche ist, nebenbei bemerkt, fast immer halal. Und koscher übrigens auch!

Bild: Wikimedia, CC BY-SA 3.0