Dienstag, 11. April 2017
Lieber warm als Stau
Seit elf Tagen nehme ich an „Das Experiment Gelber Sack“ teil, faste nicht nur Plastikmüll, sondern auch Haushaltsabfall. Bislang bin ich stolz auf das Ergebnis, insbesondere voller Erleichterung. Die Teilnahme bedingt nämlich, seinen anfallenden Müll zu sammeln und regelmäßig zu fotografieren. Ich habe mir dazu eine Ecke meines langen Flurs auserkoren. Dort liegt mein Müllberg, den ich ablichte, sobald etwas Neues dazukommt. Erinnert sich jemand an diesen Film aus den 90ern mit Hugh Grant, in dem er einen Geologen spielt, der einen Hügel aufschütten lässt, damit er zum Berg wird? Derzeit sieht es bei mir nicht so aus, als würde ich den Erfolg mit Herrn Grant teilen. Wenn ich jedoch die Menge Plastikmüll zusammenrechne, die durchschnittlich in unseren Haushalten entsteht, dann wäre es wohl nicht einmal nötig, Herrn Grant Glück bei seinem Unternehmen zu wünschen. Gut 45 Millionen Tonnen Haushaltsabfälle fallen jährlich in Deutschland an, ca. 12 % bestehen aus Plastikmüll. Tendenz steigend. Dabei können schon kleine Veränderungen erstaunliche Auswirkungen im Großen haben. Nehmen wir die Plastiktüte. Zu rechnen hat mir zwar noch nie Freude bereitet, aber folgendes Beispiel stimmt zumindest hoffnungsvoll. Im Durchschnitt verbraucht jeder von uns 76 Plastiktüten im Jahr. Bei je 20 Gramm sind das allein schon dann, wenn nur ein Drittel aller Haushalte keine Plastiktüten mehr nutzen würde, sondern vorhandene Körbe, Stofftüten oder Kisten, jährlich über 20.000 Tonnen weniger Müll. Das sind 2.000 beladene Müllwagen, die aneinandergereiht einen Stau von Friedberg nach Butzbach erzeugen könnten. „Wer möchte schon gerne im Stau stehen?“, höre ich mich sagen. Gut, schlechtes Beispiel! 50.000 Liter Rohöl würden für die Produktion eingespart. Daraus könnten unter anderem über 12.500 Liter Dieselkraftstoff gewonnen werden. „Wow! Das lohnt sich!“, höre ich mich sagen. Damit kann ich diesen Stau von plastiktütengefüllten Müllautos weit aus der Wetterau rausfahren lassen. Ich höre die Motoren starten, und bei Nieder-Mörlen ist schon wieder Stau. „Huch? Warum das denn?“, denke ich mir. Nun, ein moderner Müllwagen würde es zwar möglicherweise auf 20 Liter Diesel pro 100 Kilometern schaffen, aber leider trifft den Müllwagen das Stop-and-Go durch das permanente Anhalten zur Entleerung neuer Tonnen wirklich hart. Über 110 Liter Dieselkraftstoff kann man auf 100 Kilometern rechnen. Das ist der Grund, weshalb die Kolonne aus 2.000 Fahrzeugen mit all den eingesparten Plastiktüten selbst mit dem paradoxerweise durch dieselben Plastiktüten eingesparten Dieselkraftstoff nicht einmal die Wetterau verlassen könnte. Warum ist dieses Paradoxon nicht allzu weit hergeholt? Weil es Zusammenhänge verdeutlicht. Wer Plastikmüll einspart, spart nicht nur die Energie für die Herstellung und das Recycling sowie den Rohstoff für die Herstellung an sich, sondern auch immense Mengen an fossilen Brennstoffen für die Abholung. Die Energie des Rohöls, ganz gleich ob als Gas oder raffiniertes Öl, nutze ich doch lieber, um es im Winter warm zu haben. Bei einem jährlichen Durchschnittsverbrauch von 15 Litern Heizöl pro Quadratmeter und einer Wohnungsgröße von 42 Quadratmetern im Ein-Personen-Durchschnittshaushalt komme ich auf 630 Liter pro Jahr. Wenn wir also, wie vorgeschlagen, keine Plastiktüten mehr nutzen, könnte ich meine Wohnung 17 Jahre lang beheizen. Also, bitte! Ist doch für einen guten Zweck. Ich mag es warm.
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