Mittwoch, 30. Juli 2008

Dialoge II - Über Schwalbennestersuppe

"Wie schmeckt sie denn?", fragte Sabine.
"Hmmm!", antwortete Charlotte und rieb sich dabei den flachen Bauch. "Lecker nach Kalb und Huhn und feinsten Gewürzen."
"Und die Nester?"
"Eigentlich haben die keinen Eigengeschmack."
"Warum sind sie dann in der Suppe, wenn sie keinen Eigengeschmack haben?"
"Du bist halt kein Gourmet. Schwalbennestersuppe ist die exklusivste Vorspeise, die man sich gönnen kann."
"Mami", sagte Sabines kleine Tochter, "können wir jetzt endlich wieder nach hause?"
"Tut mir leid, Schatz, aber wir können uns die Wohnung nicht mehr leisten", sagte Sabine, die Weißnestsalangane, schiss in Charlottes Suppe, und beide flogen obdachlos von dannen.

Dienstag, 29. Juli 2008

Dialoge I - Über den Robbenfang

"Oh, mein Gott. Ich bin verantwortlich für den Tod von Robbenbabies", sagte Andy.
"Na, und?", sagte Lennart. "Wen kümmern Robben?"
"Ihre großen schwarzen Kulleraugen verfolgen mich im Schlaf."
"Hör zu, Andy!", sagte Lennart kopfschüttelnd. "Du bist gesund, hast immer zu essen, trägst diesen wundervollen Pelz. Sei doch zufrieden mit dir. Wären Robben erfolgreicher, müssten sie nicht gekeult werden."
"Aber ich keule sie doch gar nicht", sagte Andy.
"Nein, Du nicht. Aber andere keulen sie, damit Menschen Pelze tragen können."
"Übersiehst Du da nicht, dass wir alle die Wahl haben?"
"Haben wir nicht, Andy", sagte Lennart, der Lude. "Was wäre ich ohne meine Statussymbole, ohne meinen Pelzmantel?"
"Hmmm? Weiß nicht", erwiderte Andy, der Eisbär, fraß ihn und zog, etwas besser gelaunt, weiter, zurück in das endlose Weiß Grönlands.
"Ob das Gewissensbisse waren?", fragte sich Paulchen, der Heuler, und sandte ihm große schwarze Kulleraugen glücklich hinterher.

Sonntag, 27. Juli 2008

Als Poseidons Traum der Alb befiel

Sterne, trauernd hilflos über ihm,
Geben ratlos alter Zeiten kund,
Stolzer Zeiten, die verloren sind,
Garn aus alter, ferner Seemannszeit,

Als gereckte Flossen ihn gegrüßt,
Fischer schenkten täglich ihr Gebet,
Nasse Wälder luden ein zum Gang,
Wogend Vielfalt eines großen Reichs.

Nunmehr gehen wütend Riesen um,
Darben sein Geleit durchs kalte Meer,
Fisch und Wal sind lange totgefischt,
Salzgeschmack, verdrängt von Öl und Gift.

Leer von Flora, trister Meeresgrund,
Nur Ruinen aus der Menschenhand.
Wandelt einsam noch, in endlos Frist,
- wo niemand mehr sein Segel hisst.

Samstag, 26. Juli 2008

Das seltsame Leben des Magnus Vates
Kapitel IV

Es war mitten in der Nacht. Magnus saß im Schneidersitz auf dem Bett. Er genoss die Stille. Doch es war eine trügerische Stille. Die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Doch Magnus war vorbereitet. Gut vorbereitet und definitiv besser als  s i e  dachten. Doch wie alles so weit kommen konnte, war ihm unerklärlich. Klar, er hasste seinen Job. Er hasste es, sich verstecken zu müssen, doch er hatte doch eigentlich immer getan, was  s i e  von ihm wollten.

Er saß oft so in seinem Bett. Seit einigen Wochen jeden Tag. Ohne Ausnahme. Veränderungen gingen in ihm vor. Im Alter von fünf Jahren empfand er das letzte Mal so. Damals, als  e s  aus ihm heraus brach.

Er lebte mit seinen Eltern auf einer Hofreite weit außerhalb der nächsten Dörfer. Tiere waren stets um ihn herum und manchmal seine einzigen Gesprächspartner, wenn seine Eltern wieder einmal unterwegs waren und sich um die Notwendigkeiten, die ihr Hof mit sich brachte, kümmerten. Oft bis spät in die Nacht. Irgendwann hatte Magnus entdeckt, dass er fühlen konnte, was die Tiere wünschten. Er fütterte sie, wenn er spürte, dass sie Hunger haben, gab ihnen zu trinken, wenn er merkte, sie waren durstig. Irgendwann ging es weiter. Er begann ihre Ängste zu spüren. Die Ängste der Schweine vor der Schlachtbank. Die Abneigung, die die Kühe empfanden, wenn sein Vater die Melkmaschine in Gang brachte. Selbst die Furcht, die Mäuse empfanden, wenn sie im Heuschober, stets auf der Hut vor den Katzen des Hofes, nach Nahrung suchten. Es wurde Tag für Tag intensiver. Und schlimmer zu verkraften. Je weiter sich der Tag entfernte, als er den ersten Durst eines Tieres spürte, desto schlimmer wurden die Empfindungen, die seinen Geist und sein Herz füllten. Nicht nur ein Tier, alle Tiere gelangten nach und nach in seine Empfindungen. Alle zur gleichen Zeit. Es fühlte sich an wie tausend Stimmen, die durcheinander in ihm sprachen, ohne dass er die Sprache verstehen konnte. Er wurde jeden Tag panischer, ohne das er seinen Eltern erklären konnte, was mit ihm passierte. Kein Arzt konnte ihm helfen. Letztlich gaben jedoch seine Geschichten von den Stimmen der Tiere den Ausschlag, dass man ihn in ein Sanatorium für Kinder einwies. Doch jedes Mal, wenn Tiere in seine Nähe kamen, kehrte mit den Stimmen auch die Panik in seine Augen zurück. Eine schwere Ochlophobie attestierte man ihm, weil man es nicht besser wusste. Dabei waren Menschen gar nicht sein Problem.

So verbrachte er seine Kindheit, bis  s i e  auf den Plan traten. S i e  holten ihn raus und erklärten ihm, was er war. Ihm, einem inzwischen achtjährigen Jungen, der nichts von dem verstand. Doch im Laufe der Jahre, die er in  i h r e r  Obhut war, lernte er, sich gegen die Gefühle abzuschotten und sie nur noch bewusst zuzulassen. Und er lerne, dass die Empfindungen nur die Spitze des Eisberges waren. Sie waren nur Sendungen, die er empfing. Doch er konnte auch selbst senden. Senden und das Programm selbst gestalten. Anfangs war es noch schwierig. Doch je einfacher das Lebewesen, desto schneller hatte er es unter Kontrolle. Irgendwann als Teenager hatte er den Dreh dann raus. S i e integrierten ihn wieder in die Gesellschaft. Er ging auf eine normale Schule, lebte wieder bei seinen Eltern, doch während die anderen Kinder Katz und Maus spielten, spielte er wirklich Katz und Maus.

Doch das war Jahre her. Seine Eltern sah er nur noch zu Geburtstagen und an Weihnachten. Aber so ist das nun mal, wenn man älter wird, dachte er. S i e  hatten ihm jedenfalls einen großen Dienst erwiesen. Ohne  s i e  wäre er vermutlich wahnsinnig geworden. Doch als er  i h n e n  die Veränderungen, die in ihm seit wenigen Wochen vorgingen voller Stolz erläutert hatte, spürte er plötzlich Feindseligkeit. Also zog er sich wieder zurück und behielt für sich, was noch in ihm vorging. Er testete dann und wann, wie weit er war. Natürlich gab es Unfälle, doch  s i e  hätten ihm ja helfen können. Er spürte, dass da noch mehr war. Dass noch mehr seinen Weg ins Freie einforderte. Und  s i e  spürten das auch, was  auch der Grund für den Besuch war, den er gebührend zu empfangen plante.

Magnus wusste nicht, weshalb er es plötzlich spürte, doch er spürte es. Sie kamen. Wie er es erwartet hatte. Wie schon vielen andere vor ihm, sandten  s i e  auch ihm einen ihrer Meuchelmörder. Magnus hob seine linke Braue. Sie sind zu zweit. Starke Kräfte. Unterschiedliche Kräfte. S i e  mussten wirklich Angst vor dem haben, was sich in ihm entwickelte. Dann spürte er einen Stich durch seinen Kopf fahren und verlor sie. Nichts mehr. Er strengte sich an, doch belohnte ihn nicht die geringste Spur für seine Anstrengungen. Keine Wahrnehmung mehr. Was soll's?, dachte er sich. Ich weiß ohnehin, dass ihr da seid.

So viele Veränderungen gingen in ihm in den letzten Wochen vor. Wie damals, als er noch Kind war. Doch seinerzeit wurde er panisch. Er glaubte, den Verstand zu verlieren. Heute war es anders. Er ließ die Veränderungen kommen. Ließ zu, dass sie ein bewusster Teil von ihm wurden. Dennoch kam es überraschend für ihn. Vor wenigen Wochen dachte er noch, ein Tierflüsterer zu sein, wäre seine Bestimmung.

Kaum, dass der letzte Gedanke den bewussten Teil seines Gehirns erreicht hatte, sah er auch schon die Klinke seiner Tür sich nach unten neigen. Magnus setzte sich gerade hin und hielt die Taschenlampe bereit. Die Tür öffnete sich. Magnus knipste sie an und schaute in zwei überraschte Gesichter. Fast zur selben Sekunde hob der blonde Hühne, der im Türrahmen erschienen war, seine Arme und ein helles Blitzen wuchs zwischen seinen Fingern. Magische Energie. Auch das hatte er erwartet. Jetzt hieß es handeln. Im Bruchteil einer Sekunde war er in die Ganglien tausender von Fliegen eingedrungen, die er seit Stunden an seiner Decke zu einem unruhigen schwarzen Teppich angesammelt hatte und ließ sie zeitgleich einen schützenden Vorhang zwischen ihm und seinen gedungenen Mördern aufbauen. Hoffentlich reichte der kurze Lichteinfall der Taschenlampe, um ihre Körper reflektierend werden zu lassen, hoffte er inständig, als er sich ruckartig zur Sicherheit vom Bett fallen ließ. Aus den Augenwinkeln erkannte er noch, dass der kleinere der beiden Assasinen, die Gefahr nahen sah und seinen Partner warnen wollte. Doch es war bereits zu spät. Die Energie entlud sich in dorthin, wo er zuvor saß, wo nun sein Schutzvorhang, ein unruhiger Spiegel aus unzähligen Insekten, bedrohlich summte, und wurde in alle Richtungen gebrochen und zerstreut. Er spürte den Schmerz seiner sechsbeinigen Verbündenden wie Myriaden feiner Nadelstiche in seinem Kopf. Aber er spürte noch etwas anderes. Zwei magische Präsenzen und deren großen Schmerz.

Als er aufstand, lagen vor der Tür zwei qualmende menschliche Körper, um sie herum ein stinkender Teppich verglühter Schmeißfliegen. Einige wenige krabbelten auf dem Parkett des Schlafzimmerbodens herum, ziellos im Kreis, und würden auf kurz oder lang ebenso verenden. Die zwei Begabten lagen gekrümmt bewegungslos vor ihm. Die Präsenz des Großen war gerade verblasst, als der Kleine zitternde Augenlider öffnete.

Wohl eher Klasse sechs, dachte er und hauchte mit dem letzten Gedanken sein Leben aus.
„Das scheint mir auch so, oder?“, fragte Magnus die letzten überlebenden Fliegen und öffnete ein Fenster für sie. Dann machte er sich daran, die richtigen Tiere für die Leichenbeseitigung zu orten. Nicht, dass er noch Ärger mit Frau Hansen bekäme. Er mochte seine Vermieterin sehr.

Kapitel III | Kapitel V

Freitag, 25. Juli 2008

Fancesco Fontanello
Kapitel II

Als Francesco gerade seine Wohnungstür aufschließen wollte, nahm er den Geruch des Todes wahr. Doch es war nur Mrs. Zuckerman, die hinter ihm, mit dem Fuß auf den Boden tippend und bösem Blick, im Türrahmen zu ihrer Wohnung stand. Sie hatte nur den einen. Bösen Blick natürlich, nicht Türrahmen. Von denen hatte sie mehrere. Im Augenblick sogar mehr als Türen, denn ihre Wohnungstür war in der Mitte zerbrochen und lag im Flur.
„Zwei Herren haben das hier für Sie da gelassen“, spie sie ihm mürrisch entgegen. „Sie baten mich höflich, Ihnen auszurichten, dass es ihnen Leid täte, dass er aus Plüsch wäre.“
Francesco nahm den Plüsch-Pferdekopf Schicksals ergeben entgegen und sah in Gedanken einen traurigen Mafiosi-Sprössling weinend vor sich, der nun mit einem kopflosen Pferd knuddeln musste.
Mit so einem hätte sich Opa wohl auch noch mal zur Seite gedreht und ein paar Stündchen weiter geschlafen, dachte er. Aber es stimmte schon. Bei all den Fleischskandalen. Wer mochte da schon noch mit rohem Fleisch ohne Herkunftsstempel hantieren?
„Danke, Mrs. Zuckermann. Es war sehr nett von Ihnen, das für mich entgegen zu nehmen.“
„Ach, lecken Sie mich doch am Arsch“, sagte sie freundlich, doch mit Nachdruck und drückte einen Teil der Tür in den Rahmen. Da es der untere war, fand sie Gelegenheit Francesco noch den Mittelfinger zu zeigen, bevor sie im Dunkel ihrer Wohnung verschwand.
„Tja, da ist wohl was schief gegangen“, sagte Francesco zu dem Pferdekopf. Doch der starrte ihn nur ratlos an. Was blieb ihm auch anderes übrig?

„Ahhh!“, schrie Marcello Mastinetto, dessen Äußeres an ein Erdbeben auf zwei Beinen denken ließ. „Diese fiese, alte Frau!“, schrie er weiter in hellen Tönen, denen man nie zugetraut hätte, an seinen daumendicken Stimmbändern vorzukommen - ganz wie ein Bergmassiv im Stimmbruch – und rieb sich dabei unaufhörlich sein rotes Ohr.
„Du hättest ja vorher klopfen können“, sagte sein Partner. Mit verschmitzt gewundenen Mundwinkeln.
„Ich konnte doch nicht ahnen, dass es zwei Erdgeschosswohnungen gibt.“
„Die zweite Wohnungstür hinter Dir war ja auch nicht zu sehen. Hast ja keine Augen am Hinterkopf, nicht?“, sagte er und gleich darauf, dass er sich nicht so anstellen soll. Obwohl sein Ohr auch noch ganz schön pochte. Erniedrigend, so behandelt zu werden. Und gefährlich. Schließlich lässt sich ein Ohr nicht endlos drehen.
„Ich denke, wir sind uns einig, dass Don Calabrese davon nichts erfährt, oder?“, vergewisserte er sich bei Marcello.
„Ahhh!“, antwortete dieser, was sein Partner als Zustimmung empfand und es dabei beließ.
„Diese fiese, alte Frau!“

„Was mag ich wohl falsch gemacht haben?“, fragte sich Francesco ein zweites Mal und kuschelte sich mit dem Plüschschädel unter seinem Kopf auf das Sofa. Doch der antwortete wieder nicht.
Mangels Gesprächspartner knipste er seinen 42 Zoll Panasonic an und schaute die Abendnachrichten. Sein Pferdekopf, den er inzwischen Piccolino getauft hatte, schaute während dessen auf Francescos Hinterkopf. Mangels Alternative.
„In den frühen Morgenstunden wurde ein Mordanschlag auf den Chicagoer Baugiganten Alonso Calabrese verübt“, sagte die blonde Nachrichtensprecherin mit dem tiefen Dekolleté.
„Wer wagt sich denn das?“, fragte Francesco das tiefe Dekolleté.
„Ein unerkannt entkommener Attentäter drang unbemerkt in das Schlafzimmer der Millionärsvilla ein und schoss mehrmals auf das Bett des Baulöwen"
„Lustig! Wie bei mir heute morgen.“
„Wie durch ein Wunder blieb Calabrese unverletzt.“
„Ähhhh!“
„Das CPD sucht in diesem Zusammenhang nach Zeugen, die gegen 06:00 Uhr einen schwarzen Lincoln, Baujahr 2001, vom Tatort flüchten sahen.“
„Argh!“, sagte Francesco und, um sicher zu gehen, gleich im Anschluss noch „Oh, oh!“, während er nach e i n e m Zettel in seiner Hosentasche kramte und z w e i rausholte. „Aouuu! Der falsche Zettel!“, heulte er und hob dabei die Hände zum Himmel, wie Del Piero, wenn er Gott fragt, warum der Ball bloß nicht rein gegangen war, und ließ sicherheitshalber gleich noch ein zweites „Aouuu!“ folgen. Anschließend versuchte er, sich mit mäßigem Erfolg die Haare zu raufen.

Alonso Calabrese saß, die Wand annickend, hinter seinem riesigen Tropenholzschreibtisch.
„Wäre er doch nur nicht der Sohn der Großtante meiner Haushälterin, ich würde ihn eigenhändig meucheln.“, sprach er zur Wand, an der ein Bild seines Großvaters, dem Begründer des Syndikats, hing. Doch das war Zufall. Er sprach zufällig zur Wand und ganz bestimmt nicht zum Bild seines Großvaters.
Als es klopfte, wandte er sich von der Wand zur doppelflügeligen Holztür, die zu seinem Vorzimmer führte. Tolle Schnitzereien, musste er jedes Mal denken, wenn er sie anschaute. Also dachte er es auch diesesmal.
„Capo, ein Laufbursche von Don Sebastiano gab das hier für Sie ab. Es ist ihr Mantel aus der Reinigung“, sagte sein Sekretär mit dem ausgebeulten Jackett.
Calabrese winkte ab, woraufhin sich sein Sekretär, rückwärts verneigend, wieder aus dem Büro entfernte.
„Er ist ein guter Junge und kann gut mit Waffen umgehen“, äffte er seine Haushälterin nach und wackelte dabei mit seinem Kopf, als wäre er ein Plastikhündchen auf der Hutablage eines Autos.
„Aber gleichzeitig meine Sachen von der Reinigung holen, ist wohl zu viel.“, sagte er weiter und beschloss, den Rest des Tages die Wand anzunicken, bis er alles verdaut hatte.

Kapitel I | Kapitel III

Donnerstag, 24. Juli 2008

Die Stimme aus dem Supermarkt

Kommen Sie zu uns!
Wir lieben Lebensmittel!
Hier sind die kleinen Preise!
Wir werden jeden Tag ein bisschen besser.

Schauen Sie weg,
Nicht ins gequälte Mitarbeiterlächeln.
Lieber zu den kleinen Preisen.
Sie werden jeden Tag ein bisschen besser.

Sie wirken nur für Sie.
Überstunden stör’n sie nicht.
Und Sie nicht ihre Zukunftsangst.
Doch wohl die unverschämte Milchpreispolitik.

Klar entlassen wir
Wen Überstunden mürben.
Das alles geht ja wohl nur unbezahlt.
Wir lieben kleine Lebensmittelpreise – wie auch Sie.

Wir zahlen gut.
Vierfünfzig stündlich.
Davon kriegt man wohl die Mäuler satt.
Und Sie Quark, Brot, Wurst – alles heut im Angebot.

Kommen Sie zu uns!
Schau’n Sie: Alles frisch!
So war es gestern, ist’s heute noch.
So günstig wie’s die Konkurrenz nicht hat.

Wir werden jeden Tag
Nicht nur besser: Größer.
Märkte in jedem Dorf, jeder Stadt.
Alles nur mit kleinsten, liebsten Preisen.

Frau Meier braucht
Nur selten Schlaf.
Mitternacht ist doch nicht Schlafenszeit.
Kaufen Sie noch jetzt das Special-Offer-Fleisch.

Bleiben Sie bei uns,
Begrüßen Sie den kleinen Preis.
Sie kennen doch Herrn Müller kaum.
Lieben Sie nicht auch - ?

Mittwoch, 23. Juli 2008

Das seltsame Leben des Magnus Vates
Kapitel III

„Kennst Du Vates?“ fragte Reynard Lewkow seinen Beifahrer, als er in das beschauliche Wohngebiet einbog.
„Nein. Ich weiß nur, dass er mit drei klassifiziert ist und dass s i e ihn los werden wollen.“
„Er soll Menschen kontrollieren können.“
„Genau deshalb bin ich ja auch dabei. Und genau deshalb wollen s i e ihn los werden.“

Marian Calea war nur aus diesem Grund Lewkow zugeteilt worden. Normalerweise säuberte Lewkow im Alleingang, wenn s i e ihn anforderten. Zumeist handelte es sich um Begabte, die sich nicht an die Regeln hielten. Und um Begabte, die zu auffällig wurden und die  S a c h e  in Gefahr brachten. Zu dieser Sorte gehörte wohl auch Vates. In den letzten Wochen, hatten  s i e  ihm gesagt, sei er mehrfach ertappt worden, wie er die Gedanken normaler Bürger nicht nur las, sondern sie auch nach seinem Willen steuerte. Nicht, dass  s i e  die Menschen viel kümmerte. Nein, sie waren  i h n e n  egal. Mehr als das. Verhasst, sogar. Doch Vates ließ sich immer weniger von  i h n e n  sagen. Er geriet außer Kontrolle. Er musste weg. Er war eine Gefahr. Das sah Lewkow ähnlich. Klasse drei und Gedankenlesen, dachte er damals. Nie und nimmer.

„Lewkow, erledigen Sie das für uns“, sagten sie ihm, „doch passen Sie auf sich auf. Vates ist unberechenbar.“ Und sie teilten ihm Calea zu. Von Calea hatte auch zuvor schon mal gehört. Er war ein Klasse-Sechs-Begabter. Was sollte er ihm nutzen?, hatte er gedacht, doch natürlich für sich behalten. Lewkow war nicht lebensmüde. Er wusste, dass er funktionieren musste, wenn er später einen Teil des Kuchens bekommen wollte.

Calea war ein magerer, bleicher und ganz und gar unscheinbarer kleiner Mann mit lichtem, grauem Haar. Er sah aus wie ein Buchhalter aus den 60ern. Doch Lewkow hatte gelernt, dass die Unauffälligen zumeist die, mit den größten Kräften waren. Er selbst lebte für seine Aufgabe, ging in ihr auf, empfand sie als seine Berufung. Und das trug er auch nach außen. Er trug seine langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, hatte immer einen schwarzen Ledermantel an, wenn er benötigt wurde. Das waren seine Markenzeichen. Er war ein Klasse-Neun-Begabter. Der Klasse-Neun-Begabte in seinen Augen.

Calea wurde ihm vorgestellt. Er würde einen Schutzschild um sie herum errichten, wenn er Vates liquidierte. Ein Schutzschild, das ihn vor der Gedankenkontrolle schützen sollte. S i e  wussten nicht, wie weit Vates schon war, ob er es auch mit den Gedanken und Emotionen der Begabten aufnehmen konnte. Doch Risiken wollten  s i e  nicht eingehen. Vates eigenmächtige Auftritte unter den normalen Menschen waren Risiko genug in ihren Augen. Schon das zweite Mal mussten sie heute seine Mordspuren beseitigen, und in dieser Nacht hatten  s i e  es nur ganz knapp vor der Polizei geschafft. Er musste weg.

„Da vorne ist es. Buchenallee 23. Er wohnt Souparterre. Der Eingang ist seitlich vom Haus. Über ihm wohnt nur eine alte, schwerhörige Dame.“
„Ich weiß“, sagte Lewkow. „Ich habe die Akte auch gelesen. Wir gehen so vor: Wenn wir vor seiner Tür stehen, bauen Sie den Schutzschild um uns beide auf, ich entriegele die Tür, und sobald ich sie geöffnet habe, heizte ich ihm ein. Er ist nur Klasse drei. Vielleicht vier, wenn er tatsächlich die Gedanken von Menschen lesen kann. Er wird nicht mal merken, wie ihm geschieht.“
Oder Klasse fünf, wenn er sie steuern kann, dachte Calea, doch behielt es für sich.

Mit diesen Worten stiegen beide aus dem unauffälligen dunklen VW Passat und schlichen leise, darauf bedacht, dem Boden nicht das winzigste Geräusch zu gönnen, um das Haus herum. Lewkow gab Calea mit dem Zeigefinger das Zeichen, nun seinen Part zu leisten. Calea schloß die Augen, atmete kurz durch und als er sie wieder öffnete, schien es für Lewkow, als sei alles um ihn herum ein bisschen leiser geworden und auch die Nacht wirkte auf ihn eine kaum merkliche Nuance dunkler als zuvor. Anerkennend nickend, griff er in die Innentasche seines Ledermantels und fischte ein dünnes Lederetui hervor, aus dem er sodann zwei flache, gebogene Metallstifte entnahm und behutsam ins Türschloss einführte. Dann noch einen und noch einen, bis er alle Sicherungsstifte des Schlosses wieder in den Schließzylinder geführt hatte und öffnen konnte. Langsam drehte er den Riegel zurück, bis er wieder vollständig zurückgefahren war und die Sicherung der Tür aufgab.

Lewkow richtete sich auf, steckte sein Einbruchswerkzeug ebenso behutsam, wie er es zum Einsatz gebracht hatte, wieder zurück in ihr ledernes Bett und richtete sich unter dem schmunzelnden Blick Caleas wieder auf. Er rollte mit den Augen und mahnte ihn, mit seinen Zeigefinger vor den Lippen, zur Ernsthaftigkeit, dann traten beide durch die Tür.

Vor ihnen lag ein Flur, von dem vier Türen abgingen. Zwei links, eine rechts und eine ihnen direkt gegenüber.
OK, der Plan zeigte mir links zwei Räume, Küche und Bad, rechts das Wohnzimmer, dachte sich Lewkow, und geradeaus das Schlafzimmer. Da sollte er sein. Er konzentrierte sich und versuchte sein Opfer zu orten. Küche und Bad waren sauber. Das Wohnzimmer auch. Und das Schlafzimmer - auch? Lewkow hob die Brauen. Er musste doch in seiner Wohnung sein. Das hatten  s i e  ihm doch noch unterwegs per Telefon mitgeteilt. Er bekam einen angestrengten Blick, als er es nochmals versuchte, was Calea nun bemerkte und seinerseits mit den Augen rollte. Vorsichtig klopfte er mit dem Handrücken auf Lewkows Schulter und beschrieb mit seinem Zeigefinger einen Kreis um sie herum. Lewkow schlug sich mit der Hand an die Stirn. Natürlich, sagte er sich in Gedanken, die Schutzsphäre. Es ist vier Uhr. Er ist im Bett, kam er zum Schluss.

Vorsichtig drückte Calea die Klinke herunter, während Lewkow bereits kleine Blitze zwischen seinen Fingern knistern ließ. So ein unnötiges Gehabe, dachte sich Calea. Lewkow ahlt sich geradezu in seiner Rolle als magischer Killer. Wie in den Filmen, wenn die Mafiosi durchladen, bevor sie einen Laden stürmen. Als gingen sie mit nicht schussbereiten Waffen zu einer Schießerei. Ein Magiebegabter war immer schussbereit. Magie brauchte keine Aufwärmphase.

Als er die Tür geräuschlos geöffnet hatte, sahen sie sich Vates direkt gegenüber. Er saß im Schneidersitz auf seinem Bett und schaltete im Moment ihres Eintretens eine Taschenlampe an, mit der er sich theatralisch, wie in einem schlechten Horrorfilm, von unten ins Gesicht leuchtete. Lewkow verlor keine Zeit. Er breitete seine gestreckten Arme nach vorne aus und ließ die Blitze, die die Finger seiner Hände miteinander verbanden, dadurch im Bruchteil einer Sekunde wachsen. Just in der Sekunde als er seine Handflächen Vates entgegenstreckte, packte ihn Calea an der Schulter. Doch die Warnung kam zu spät. Was sich im Schein der Taschenlampe abzeichnete, konnte er nicht mehr mitteilen. Die zehn Blitze entluden sich bereits in Richtung Vates' Körper.

Kapitel IIKapitel IV

Dienstag, 22. Juli 2008

Ein Fernweh

Vor Stunden noch lagst du in meinen Armen,
Hieltest mich mit tiefen Blicken fest gebannt.
Ich spürte um mich deinen sanften, warmen
Hauch, der so lieblich mich beim Namen nannt.

Doch nunmehr lieg ich wieder ganz alleine,
Starre einsam, traurig an die leere Wand
Und sehne mich so sehr danach, als deine
Stimme ewge Liebe mir ganz leis gestand.

Wohl weiß ich, dass die kalten Tage ziehen
Und dass du alsbald das Kalt erneut vertreibst,
doch allzu gerne würd ich jetzt schon fliehen
und spüren, wie Liebe Du mir einverleibst.

Bald find ich Dich erneut in meinen Armen,
wie auch mich von tiefem Blicke fest gebannt,
und spüre wieder diesen sanften, warmen
Hauch, der mir so zärtlich erst die Lieb gestand.

Sonntag, 20. Juli 2008

Francesco Fontanello
Kapitel I

Als Francesco Fontanello diesen Morgen aufgestanden war, merkte er sofort, dass es sein linker Fuß war, den er dazu genommen hatte, denn er war damit in eine Haarbürste getreten, die vor seinem Bett lag. Also verbrachte er die ersten zwanzig Sekunden des Morgens damit, wie ein Derwisch auf einem Bein hüpfend Ahhhhhhh zu schreien, bis er abrupt aufhörte. Nicht nur, da er merkte, dass es eigentlich gar nicht so weh getan hatte, sondern auch, da ihm einfiel, gar keine Bürste zu besitzen. Was er vor seinem Bett getrieben hatte, wusste er nicht und fragen konnte er ihn auch nicht mehr, da der Igel in diesem Moment beleidigt durch die offene Schlafzimmertür in den Garten getrippelt war.

Francesco wohnte im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses in einem Vorort von Chicago. Er hatte Glück, die Erdgeschosswohnung bekommen zu haben. So konnte er direkt vom Schlafzimmer in den Garten. Und auch die Igel. In beide Richtungen. Im Grunde wusste er gar nicht, weshalb es Glück war, die Erdgeschosswohnung mit all den blühenden Blumen dahinter bekommen zu haben. Doch es waren die Worte des Maklers. Und auch die von Mrs. Zuckerman, der Hausmeisterin, die die andere Erdgeschosswohnung des Hauses bewohnte. Doch die waren vermutlich beide keine Allergiker. Also rieb sich Francesco erstmal seine zu gequollenen Augen und putzte sich geräuschvoll die Nase. Und konnte zumindest durch letzteres sicher sein, dass Mrs. Zuckerman nun auch wach war. Seine tägliche Art der Rache für all die Blumen, die sie vor seiner Terrasse gepflanzt hatte.

Im Badezimmer angekommen, nickte sich Francesco erst einmal anerkennend zu. Also nicht sich selbst. Er war ja nicht schizophren. Seinem Spiegelbild natürlich, denn was er sah, war ein durchtrainierter italienischer Premiumkörper im leistungsfähigsten Alter. Auch wenn er ihn etwas verschwommen sah. Der verquollenen Augen wegen. Er sprang unter die Dusche und säuberte sich singend. Zu den schönen Klängen von Nessun Dorma. Wie das Italiener nun mal machen. Zwar nicht wirklich schön, wie auch, schließlich war seine Familie schon die vierte Generation nicht mehr im Land der schönen Klänge beheimatet, aber immerhin laut. Vielleicht ein weiterer Grund, weshalb Mrs. Zuckerman vornehmlich Blumen pflanzte, gegen die er allergisch war.

Heute war sein großer Tag. Der erste Auftrag würde erfolgen. Er war aufgeregt, doch seiner Fähigkeiten sicher. Es musste also ein kräftiges Frühstück her. Mit allem drum und dran. Also machte er sich ein Meal Replacement Shake mit einem Extraschuß Whey Protein Powder. Einen solchen Körper bekam man schließlich nicht von Eiern mit Speck. Wieder nickte er sich anerkennend zu. Diesesmal jedoch ohne Spiegel. Wer hatte sowas auch schon in der Küche? Doch er war nicht auf den Kopf gefallen und ging wieder ins Badezimmer, vor dessen Spiegel er nochmal nickte und sich anerkennend mit dem Shaker zuprostete. Opa wäre stolz auf ihn gewesen. War er aber nicht. Denn er wusste von all dem nichts. Er war tot. Vor ein paar Jahren an Herzversagen gestorben. Jeder reagiert halt auf seine Weise, wenn er morgens erwacht und in die toten Augen eines Pferdekopfes blickt.

Francesco zog sich seine schwarze Anzugsjacke über, steckte seine Pistole in das Schulterholster und nickte sich im Garderobenspiegel nochmal anerkennend zu. Sicher ist sicher. Dann schloss er die Wohnungstür hinter sich und stellte sich breitbeinig mit den Händen an den Hüften und hoch erhobenen Kinn demonstrativ auf. Anschließend raufte er sich die Haare. Oder hätte es jedenfalls getan, wenn ihm etwas mehr als er schwarze Haarkranz geblieben wäre. Also klatschte er sich nur auf die bis zum Hinterkopf reichende Stirn. Er hatte sein Magazin auf der Garderobe liegen gelassen, als er sich anerkennend zugenickt hatte. Neben dem Wohnungstürschlüssel im übrigen, weshalb es ein zweites mal klatschte.

Mrs. Zuckerman machte ihm natürlich gerne mit ihrem Zweitschlüssel auf. Sie hatte dabei ein diabolisches Grinsen aufgesetzt. Nicht, dass die alte Mrs. Zuckerman je anders als diabolisch grinste, doch dieses mal war es außerordentlich diabolisch. Vermutlich hatte sie Samen besonders allergener Pflanzen in den weiten Taschen ihres rosa, mit Plüsch besetzten Morgenrockes und sah die jungen Pflanzen bereits sprießen. Direkt in Francescos Kopfkissenbezug.
„Danke, Mrs. Zuckerman“, sagte Fransesco, als Mrs. Zuckerman ihm aufgeschlossen hatte und sich wortlos wieder durch ihre offene Wohnungstür begeben hatte. „Sie sind ein Engel.“
„Ach, lecken sie mich doch am Arsch“, sagte sie höflich, aber bestimmt. Vier Uhr morgens schien nicht ihre Zeit zu sein.

Doch Francesco war bereit. Er lud seine Waffe durch und verstaute sie dort, wo er sie zuvor bereits ohne Magazin verstaut hatte. Das anerkennende Zunicken musste ausfallen, denn er war inzwischen nicht mehr in seiner Wohnung, sondern auf dem Weg zum Auto, einem schwarzen Lincoln mit extra großen Kofferraum.

Rückspiegel und erster Auftrag, ich komme.

Kapitel II