Mittwoch, 14. September 2011

Jack Eagle - Teil 2: still back on stage

Kapitel I | Fotsetzung folgt

Der Umschlag ist leer. Abrupt stoppen die Ameisenarmeen, die gerade im Begriff sind, von meinem Magen zu meinen Lenden zu verlegen. Hatte die Lady mich verarscht? Ich versenke mein Gesicht so tief im Umschlag, dass mir vom Echo meines Atems schwindlig wird. Er bleibt dennoch leer. Langsam lehne ich mich zurück und nehme eine so nachdenkliche Pose ein, dass selbst Rodin seine Entwürfe überdacht hätte.
„Leer! Warum bist du leer?“, frage ich mich selbst mehr als den Umschlag.
Ich greife nach einer neuen Laremie, hole mein Zippo aus der Westentasche und
zünde sie an. Ich inhaliere den heißen Rauch tief in meine Lunge und blase ein paar perfekte Ringe in die schwüle Mittagsluft. Und während die Ringe so langsam ihre perfekte Form verlieren, kommt mir eine Idee. Ich nehme meinen Brieföffner und durchtrenne die Kanten des Umschlags, so dass ich ihn aufklappen kann. Einige Sekunden starre ich den Umschlag an, der nunmehr aussieht wie das missglückte Origami eines Einarmigen, und gebe wieder auf. Was für eine Idee hatte ich eigentlich? Ich entscheide mich für meine übliche Problemlösungsstrategie, schraube eine neue Flasche Jack auf und gieße mir einen ordentlichen Schluck in meine Kaffeetasse. Die Patina aus angetrocknetem Kaffe löst sich sofort auf und verleiht dem Bourbon einen exotischen Hauch. Irish Coffee nach Eagles Art. Eis fehlt, denke ich mir, und erhebe mich schwer von meinem Bürostuhl. Und da die Ameisenarmeen inzwischen wieder ihre alte Position eingenommen und Immunität gegen den guten alten Jack entwickelt haben, entschließe ich mich, nach dem Eis gleich bei Charly’s anzurufen und mir einen Steakburger mit Fritten zu bestellen. Während ich noch, einem von Romeros Untoten gleich, zum Kühlschrank schlurfe, der mich brummend willkommen heißt, verdunkelt sich das Büro. Ein massiger Körper verdeckt die Glasscheibe meiner Bürotür. Es klopft.

Das nächste, was ich sehe, ist das hässliche Gesicht eines drahtigen Italieners. Er sieht aus wie eine Mischung aus John Travolta und Robert DeNiro, wobei er die Drahtigkeit bestimmt nicht von Travolta hatte. Ich liege auf meiner Couch und habe ein Stilett an meinem Hals. Aus dem Augenwinkel sehe ich meine Tür, die allerdings nicht mehr in ihren Angeln hängt, sondern auf dem Boden liegt. Unter der Tür lugt ängstlich meine Tasse hervor, was mich zur Annahme verleitet, dass ich vor der Couch bei meiner Tasse gelegen haben mag. Dort wo zuvor meine Tür hing, hängt nun nichts mehr. Vielmehr steht nun dort der massigste Mensch, den ich je sah. Er trägt einen Anzug, der aus einem Zeltverleih sein musste, und sieht aus wie ein fleischgewordenes Bergmassiv, Rubens Traum eines männlichen Models. Bei seinem Anblick bekomme ich Lust auf Rindfleisch und wünsche mir, ich hätte schon bei Charly’s angerufen.

„Was wollte Miss Vanderbilt von dir, Cretino!“, sagt John DeNiro zu mir.
„Wer?“, frage ich mich der Unschuldsmiene eines Primaners, der seine Schuluniform eingenässt hat, und gratuliere mir innerlich zu diesem Vergleich, bin ich doch auch kurz davor. Ich hasse Stilette an meiner Kehle.
„Juni Vanderbilt, Stronzo! Sie kam eben aus deinem Laden!“
Juni, was für ein niedlicher Spitzname, denke ich mir. Ich gerate ins Träumen, sinniere darüber, dass ihre wundervollen Schenkel tatsächlich etwas von Frühling an sich haben.  
„Was glotzt du denn so, Freundchen?“, sagt Robert Travolta und unterstreicht seine Frage mit etwas mehr Druck an meinem Hals.
 Ich überlege, ob ich „Ich bin nicht dein Freund, Penner!“ antworten soll, bin mir aber sicher, dass mein Zitat nicht gut ankommen würde, und überlege es mir anders, zumal ich gerade viel zu sehr beschäftigt bin, meine letzte halbwegs saubere Hose zu einem Fall für die Reinigung zu machen.
Stattdessen beginne ich zu plappern wie ein Schulmädchen in der großen Pause und erzähle, dass sie hier war und dass sie einen Umschlag hier ließ, dass ich aber nicht wüsste, was zu tun sei, da der Umschlag leer sei und dass ich ihn sogar aufgeschnitten hätte und dennoch nichts drinnen gewesen sei und dass er ja selbst nach dem Umschlag schauen könne; er läge ja auf meinem Schreibtisch.
„Plappert wie ein Schulmädchen in der großen Pause“, röhrt der tiefe Bass der humanoiden Entsprechung der italienischen Alpen, die noch immer meinen Türrahmen voll ausfüllt und sich seit ich meine Augen aufgeschlagen habe noch keinen Inch bewegt hat, wie das Berge so zu tun pflegen. Mein Monstum von einem Kühlschrank stellt eingeschüchtert kurz das Brummen ein, und ich frage mich, wer auf so dumme Gleichnisse kommt.
„Na, gut!“, sagt der hässliche Drahtige und nimmt das Messer von meiner Kehle. „Wenn sie wieder auftaucht, wirst du uns sofort anrufen. Sofort, Stupido! Wir gehen, Marcello!“
Grell fällt das aufgestaute Licht in mein Büro, als der Koloss den Türrahmen wieder freigibt. Beim Kühlschrank bleibt der drahtige Hässliche kurz stehen, schüttelt den Kopf und schließt die Tür. Sofort wird der Raum drei Grad wärmer und Kondenswassertropfen regnen von der Decke.
Der sizilianische Goliath ist noch so nett, meine Tür im Rausgehen kraftvoll wieder einzusetzen. So kraftvoll, dass die eingesetzte Scheibe einen Sprung davon trägt.
„Scusa!“, brummt er im Gehen, und mein Kühlschrank schöpft akustisch neuen Mut.

Ich setze mich auf, stütze meine Ellenbogen auf meine Knie und meinen Kopf auf meine Hände. Ich zittere trotz der Hitze, die selbst ein Kamel in Sekundenschnelle eindörren würde, als hätte ich einen Presslufthammer umgeschnallt. Und während ich mich darüber ärgere, dass es im Schritt nicht nur nass sondern inzwischen auch unangenehm kalt ist, fällt mein Blick auf Papiere unter meinem Schreibtisch. Papiere und Bilder. Papiere und Bilder, die vorher nicht unter meinem Schreibtisch waren. Das Firmenlogo auf dem obersten Papier erkenne ich sofort: „Calabrese – Hoch und Tief“, halb davon verdeckt der fotografisch erstarrte Kopf des alten Alonso Calabrese selbst. Ich denke kurz darüber nach, mich nochmals einzunässen, überdenke es dann aber und stattdessen: „Was soll’s?“ und „Juni, ich bin ihr Mann!“ und außerdem „Jack ist back on stage, ladies and gentleman!“

Kapitel I | Fotsetzung folgt

5 Kommentare:

  1. Wer mag schon ein Stilett an seiner Kehle?
    Schöne Fortsetzung des Auftakts. Los. Mehr! ;) Ähem.

    Das Zitat, aus Terminator 2?

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  2. T2? Pah! Na, kommen Sie, die Königin der Filmzitate sollte ein solches doch aus dem Ärmel schütteln können ;-)

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  3. Mehr! Viel mehr!

    Gelungene, mit wunderbarm Vergleichen. Ich würde sofort wenn vorhanden einen ganzen Roman davon lesen. Jetzt gleich.

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  4. Das freut mich. Und wie :-))
    Sollte ich vielleicht meine Romanvision damit erfüllen und das Kinder-/Jugendbuch hinten an stellen? Hmmm ...

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  5. Ich musste guckeln. *schäm*

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