Dienstag, 25. September 2018

Richtig Gummi geben!



Als das Fraunhofer-Institut kürzlich seine Studie „Kunststoffe in der Umwelt: Mikro- und Makroplastik“ publizierte, ging mir der Spruch „Das wird man ja wohl noch fahren dürfen!“ durch den Kopf, denn in ihr war zu lesen, dass der größte Verursacher von Mikroplastik-Emmissionen in die Umwelt der Straßenverkehr ist. Zu einem Viertel trägt er zu den Gesamtemmissionen bei, die immerhin bei 446.000 Tonnen jährlich liegen. Und das ist nur die Zahl für Deutschland. Wir sind zwar Erstligist im Mülltrennen, aber eben leider auch im Produzieren. Nur dachte ich ganz blauäugig, wir kontrollierten das ganz gut durch stoffliche oder thermische Verwertung – immerhin verwenden wir 45 Prozent des Plastikmülls für neue Produkte und gewinnen aus 53 % Energie. Tatsächlich entziehen sich zahlreiche Emmissionsverursacher unserem Zugriff – wir nehmen sie nicht einmal als Müll wahr. 

Ganz vorne ist der Reifenabrieb im Straßenverkehr. Selbst der Abrieb von Schuhsohlen liegt weit vorne, ganze zehn Plätze vor der Einbringung von Mikroplastik aus der Kosmetik in die Umwelt, das Platz 17 belegt. Dieses Ranking hat mich neben dem Gesamtvolumen dann doch sehr schockiert, obwohl ich mich seit fünf Jahren intensiv mit der Materie beschäftige. Das Automobil also mal wieder, genauer: der PKW, trägt das meiste Mikroplastik ein – über 80 Prozent des emittierten Gesamtreifenabriebs. Als wenn es nicht schon reichen würde, dass der Straßenverkehr für gut 18 Prozent der Treibhausgasemissionen Deutschlands verantwortlich ist, jetzt muss er auch noch für die Mikroplastikvermüllung der Meere herhalten. „Ich habe doch kein Amphibienfahrzeug!“, rufen Sie jetzt vermutlich erleichtert. Leider ist das unerheblich. Das Mikroplastik wird vom Regen in unsere Gewässer geschwemmt oder gelangt in die Kanalisation, von wo es in die Kläranlagen geleitet und zwar ausgefiltert wird, dann aber mit dem Klärschlamm zur Düngung auf unseren Feldern landet. Wollen Sie raten, wohin das Mikroplastik beim nächsten Regen gerät? Richtig! Ganz ohne Amphibienfahrzeug über unsere Gewässer ins Meer. 

Weltweit gelangen jährlich gut 30 Millionen Tonnen Plastik in die Weltmeere – darunter auch der Abrieb meines kleinen Kia Picanto. Mein Kia, der immer so lieb lächelt, wenn ich ihn auf dem Parkplatz besuche, hat es offenbar faustdick hinter den Ohren. Da steht er nun, brummt in freudiger Erwartung einer gemeinsamen Reise, und ich weiß nicht, wie ich ihm erklären soll, dass seinetwegen Fische Mikroplastik statt Plankton fressen, das wie ein Magnet mit Giften aus dem Meer behaftet ist. Dass seinetwegen Fische mit vollem Magen verhungern oder, aus menschlicher Sicht noch schlimmer, dass eine Portion Muscheln ganze 90 Mikroplastikpartikel gratis mit auf den Teller bringt. 
„Was kann man denn überhaupt noch … essen? Fahren?“, rufe ich verzweifelt, und mein Kia hupt traurig, ohne das Problem zu verstehen. Manchmal brauche ich ein Auto, und es geht nicht mit Bus und Bahn. Ich werde auch weiterhin zum Teil für Plastikmalzeiten von Fisch und Mensch verantwortlich sein. Beim nächsten Reifenkauf werde ich in jedem Fall einen hochwertigen kaufen, der sich nur langsam abnutzt - vielleicht kommt es ja bis dahin, das Reifen-Label, das auch den Abrieb betrachtet. Natürlich werde ich weiterhin so oft den ÖPNV nehmen, wie es mir möglich ist, und wenn das alles nicht reicht, gehe ich eben nicht nur im Sommer, sondern zu allen Jahreszeiten barfuß. Mikroplastik in Kosmetik ist da leichter zu vermeiden. Und ohne dass man dabei friert.

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