Empörung! Da sagt doch ausgerechnet eine Lehrerin, ein Kind in die Welt zu setzen, sei „das Schlimmste, was man der Umwelt antun kann“, und – noch schlimmer – sie hält diese menschenfeindliche These auch noch in einem Buch für die Nachwelt fest. Gut, in diesem Kontext von Nachwelt zu sprechen, hat schon ironische Züge. Sagen wir besser: Für die Nachwelt derer, die das Buch nicht verstanden haben. Die Autorin heißt Verena Brunschweiger, und das Buch trägt den Titel "Kinderfrei statt Kinderlos". Die These lautet, dass jedes nicht in die Welt gesetzte Kind eine CO2-Einsparung von rund 50 Tonnen im Jahr bedeute. Bei mehr als elfeinhalb Millionen Familien in Deutschland, ausschließlich derer, für die „Regretting Parenthood“ kein Fremdwort ist (laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Yougov immerhin jeder Fünfte), kann man sich schon vorstellen, wie laut der Aufschrei ist. Ganz zu schweigen von dreizehneinhalb Millionen Kindern, die sich denken: „Was? Ich? Das Schlimmste für die Umwelt? Aber ich engagiere mich doch bei Fridays for Future!“
Im Kern ist das Buch zum einen ein feministisches, das sich mit dem pronatalistischen Druck auf Frauen befasst, und gar kein ökologisches und zum anderen ist die These weder revolutionär, noch neu, noch ihre eigene. Das stört jedoch nicht dabei, sich über diesen einzigen Satz aus einem Interview zu echauffieren. Frau Brunschweiger bezieht sich auf die im Jahr 2017 erschienene Metastudie der schwedischen Universität Lund, die zum Ergebnis kam, dass weniger Kinder in die Welt zu setzen, die führende der vier effektivsten Klimaschutzmaßnahmen sei. Mit dem Verzicht auf ein Auto könne ein Mensch jährlich 2,4 Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid einsparen, der Verzicht auf Flugreisen spare durchschnittlich 1,6 Tonnen, eine Ernährung ohne Fleisch 0,8 Tonnen, und – the winner ist – jedes nicht in die Welt gesetzte Kind reduziere die persönliche Jahresemission um 58,6 Tonnen des Klimagases. Von damals habe ich gar keinen Aufschrei in Erinnerung. Nun erfolgt er plötzlich. Der geneigte Bürger, der seine Existenz schon bei „Deutschland schafft sich ab“ in Gefahr sah, wird nun auch noch von dieser unheilvollen Kombination aus Feminismus und Öko-Terrorismus bedroht. Oh, Schreck! Was hinter der These steckt, fällt nicht sofort ins Auge, denn wenn ein Neugeborenes zur Bedrohung wird, dann nur, weil es die elterliche Lebensweise kopiert. Ein neuer Erdenbürger in Zentralafrika ist nicht das Problem, denn seine Erzeuger leben weit unterhalb der Erschöpfungsgrenze ihrer landeseigenen Ressourcen. Das macht der Deutsche beispielsweise nicht und dessen Spross auch nicht – es sei denn, er engagiert sich freitags außerschulisch. Deutschland müsste laut Daten des Global Footprint Networks zweieinhalbmal so groß sein, damit wir von unseren Ressourcen leben könnten. Es ist nicht das afrikanische Kind, das mit dem Auto zum Bäcker um die Ecke fahren, mit dem Flieger in den Urlaub fliegen oder 60 Kilo Fleisch pro Jahr verzehren wird, wenn es groß ist. Der logische Schluss hätte also sein können: „Oh je, wir müssen unseren Überfluss reduzieren, wenn solche drastischen Thesen formuliert werden.“ Doch sich zu empören ist einfacher, wenn man dafür im Ferienflieger Schnitzel essen kann.
Übrigens: Wen interessiert, wie Teile unserer Gesellschaft mit der Meinung anderer umgehen, dem empfehle ich einen Ausflug auf die Bestellseite des Buchs bei dem großen Internet-Buchhändler mit A. Offenbar ist die Geburtenrate nicht unser größtes Problem.
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