Dienstag, 20. August 2019

Helene Fischer auf Wacken?


Seit letzter Woche ist für die meisten hier die Urlaubszeit zu Ende. Für die Kinder hat das neue Schuljahr begonnen, die Eltern sind wieder in den Büros. Auch ich arbeite wieder und sitze erholt von meinen drei Wochen Camping-Urlaub, beginnend mit dem Heavy-Metal-Festival in Wacken, wieder vor dem Rechner. Ich schreibe diesen Text. Wie verbringt man seinen Urlaub möglichst umweltverträglich?

Meine letzte Flugreise liegt neun Jahre zurück, danach begann die Zeit, in der ich mir über meinen ökologischen Fußabdruck Gedanken zu machen begann. Ich verreiste ab da fast nur noch mit der Bahn, denn Flugreisen, da sind sich meine Kreise einig, sind der Klimakiller schlechthin im Verkehrssektor. Doch wie schlimm sind sie? Wie viel CO2 emittieren sie überhaupt? Die Gäste bei meinem monatlichen Stammtisch sind sich einig: Mit dem Flugzeug in den Urlaub zu fliegen, ist ähnlich schädlich für die Reputation, wie mit einem Helene-Fischer-Shirt beim Wacken-Festival zu sein. Meine ganzen Gäste? Nein! Ein von unwiderlegbaren Argumenten erfüllter Einzelner hört nicht auf, dem Postulat Widerstand zu leisten. Er ist Pilot und rechnet vor, wie viel Kerosin pro Flug getankt wird, wie viele Passagiere an Bord sind und welche Co2-Mengen verursacht werden. Verwirrung macht sich breit. Atemlos durch die Nacht geht es nach Hause. Ich recherchiere.

Tatsächlich rechnet Michael Müller-Görnert, Sprecher des Verkehrsclubs Deutschland e. V. (VCD), im Artikel „Verkehrsmittel im Vergleich - Intelligent mobil“ vor, dass ein Flugzeug für die Strecke Berlin-Frankfurt am Main nur 81,2 kg CO2 pro Fluggast emittiert, bei einem PKW sind es 94,2 kg. Als ich die Tabelle sehe, bin ich irritiert. Ich erinnere mich an Wacken zurück, wo an einer der Festival-Theken zu lesen war: „Wer kein Trinkgeld gibt, ist Helene-Fischer-Fan!“ Sind wir all die Jahre einem Phantom aufgesessen? Hätten wir lieber mit unserem Piloten zum Festival fliegen sollen, statt mit dem Camper zu fahren? Waren wir durch unseren Flugverzicht die Umweltsünder, die wir nie sein wollten? „Wer nicht mit dem Flugzeug fliegt, ist Donald-Trump-Fan!“, sehe ich schon an meiner Stammtisch-Kneipe in Holz geschnitzt an der Wand hängen. Zu der Emissionszahl existiert jedoch auch ein Klammervermerk: Ohne RFI-Faktor! Was ist das nun wieder? Nicht nur der VCD, auch das Umweltbundesamt, erläutern dazu, dass der RFI, also der Radiative Forcing Index, zu deutsch die Strahlungsantriebszahl, ein Faktor ist, der eine Vergleichbarkeit der Auswirkung von in großer Höhe erfolgenden Emissionen mit denen am Boden herstellt, denn der Flugverkehr wirkt nicht allein durch die Produktion von Klimagasen. Auch die Bildung von Ozon, der Ausstoß von Rußpartikeln, die Kondensstreifenbildung wirken beispielsweise erderwärmend. Im Ergebnis stellt das Amt fest, dass der gesamte Strahlungsantrieb der Emissionen und Effekte des Luftverkehrs etwa zweimal so groß ist wie der der CO2-Emissionen allein. Bezieht man in diese Berechnung mit ein, dass sich aus den Kondensstreifen auch ebenfalls erderwärmende Zirruswolken bilden können, erhöht sich der Faktor auf drei bis fünf. Das vergleichbare Ergebnis wäre also 94,2 kg für den PKW und 243,6 bis 406,0 kg CO2 für das Flugzeug. Uff!

Seit diesem Jahr ist Helene Fischers Best-of-Kompilation übrigens das am längsten in den deutschen Albumcharts platzierte Album. Vielleicht kommt sie ja auch mal nach Wacken. Immerhin war Heino 2013 auch dort, und trinkgeldförderlich wäre es obendrein. Natürlich nicht mit dem Flugzeug!

Bildquelle: Von Roger Green from BEDFORD, UK, derivative work Lämpel - Airbus A380, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=65623145

Dienstag, 6. August 2019

Ich bin e(h) schneller

Ich bin e(h) schneller

Das sagt der Hesse, wenn er sich auf einen Wettlauf einlässt und selbstsicher seinen Sieg vorankündigt. Schaue ich derzeit auf die Straßen und Bürgersteige, bin ich geneigt, das h wegzulassen. Was bleibt, ist ein e wie elektrisch. Vor wenigen Jahren musste ich bereits aufgeben, nach Gehör die Straße zu überqueren, weil ich eine Ahnung hatte, wie meine Zukunft sonst enden würde: Mit einer Schlagzeile in der Art von „Ironie des Schicksals: Streiter für die CO2-Reduktion von E-Auto überfahren!“ Als Friedberger Kaiserstraßen-Anrainer wäre ich zwar froh, wenn die nächtlichen PS-Boliden-Rennen auf der Viertelmeile zwischen der Burg und meinem Schlafzimmerfenster lautlos würden, aber das ist gar nicht das Thema, über das ich schreiben will.

Ich bin ein Freund des Elektro-Antriebs. Er kann helfen, CO2 einzusparen und damit ein Schwert im Kampf gegen den Klimawandel sein. Natürlich nur unter folgenden Bedingungen: Der Strom darf nicht aus Kohleenergie stammen. Knapp vierzig Prozent des Strommixes in Deutschland kommen aus den Bereichen Stein- und Braunkohle, zwar ebenfalls 40 Prozent aus regenerativen Quellen, doch bei einem Primärenergieverbrauch im Verkehrssektor von gut 3.400 Petajoule würde das bedeuten, dass wir mehr als zweieinhalb mal so viel Strom aus Solar, Wind- und Wasserenergie sowie Biomasse gewinnen müssen wie heute. Zusammen mit dem Bedarf für den Ausstieg aus der Kohle- und Atomenergie wären wir vermutlich bei dem fünffachen. Die zweite Bedingung wird dadurch offenbar. Das geht nicht, ohne eine Mobilitätswende. Der Individualverkehr muss drastisch reduziert werden. Gerade das Gegenteil ist der Fall.

Der Fahrzeugbestand hat sich von 2017 auf 2018 um 1,1 Millionen Fahrzeuge erhöht. Die Bestandmehrung brachte zwar auch 29.000 Elektrofahrzeuge mit sich, aber ohne Reduktion bedeutet die Mehrung einen Zusatzverbrauch. 80 Prozent der Besitzer von Fahrzeugen mit Elektroantrieb besitzen zwei und mehr Fahrzeuge. Es scheint, als würde es mehrheitlich nicht der Ersatzbeschaffung dienen, sondern zum Freizeitauto avancieren. Schön, wenn der Benziner oder der Diesel dafür stehen gelassen werden, doch der Benefit wird von den Produktionskosten des E-Autos gefressen. In der Wirtschaftstheorie nennt man das Rebound-Effekt. Er lässt uns mehr Lampen im Haus anschalten und sie länger anlassen, weil LEDs so viel weniger verbrauchen, lässt uns mehr essen, weil der Kauf von Bio-Fleisch unser Gewissen beruhigt, und eben auch ein E-Auto als Zweitwagen zulegen oder mehr damit fahren, weil ja kein CO2 emittiert wird. Und dabei macht er den potentiellen Spareffekt zu Gunsten der Umwelt nicht nur zunichte, sondern erhöht den Verbrauch sogar.

Augenblicklich wähne ich nicht nur die Umwelt, auch mich selbst in großer Gefahr! Insbesondere eine dieser Schlagzeilen zu produzieren wie: „Rebound zum Opfer gefallen: E-Roller prallt auf Umweltaktivisten!“ Tausende von schlanken Menschen bewegen sich lautlos auf den Rücken überall in den Großstädten stehender Leih-Elektroroller durch die Innenstädte Deutschlands. Smart lächelnd bewegen sie schlanke Körper, die sich vormals durch Körperkraft von selbst fortbewegten, durch die Alleen und Avenuen zwischen Berlin und München. Die lauernde Gefahr: Nahrungsenergie bleibt unverbraucht, die Rollerfahrer werden mit der Zeit immer schwerer, die Energieverbräuche der Gefährte immer höher, und das Schlimmste ist, dass das auch für die Aufprallenergie auf den Fußgänger Arnold gilt. Das ist kein Teufelskreis – es ist ein Teufelsball!