Dienstag, 26. November 2019

Geschenkekrieg

Geschenkekrieg

Als Heranwachsender erzählte ich, als Kind hätte ich nur eine mit Reiskörnern gefüllte Plastikflasche zum Spielen gehabt. Tatsächlich ging es mir richtig gut: Eltern, die mir jeden Wunsch erfüllten, Großeltern, die sich gegenseitig in Anzahl und Größe meiner Geschenke zu übertreffen versuchten, und auch außerhalb geschenkepflichtiger Tage konnte ich mich nicht beschweren. Das Beschweren kam später, als ich feststellte, dass es meinen Kindern ebenso wie mir damals erging: Festtage waren von einer Flut aus Präsenten bestimmt, die keinen Raum für Freude über das Einzelne ließen. Die Überforderung steigerte sich so weit, dass kaum mehr ein Danke über die Lippen kommen konnte – wer konnte schon bei all dem Auszupackenden noch sagen, von wem was kam? Auch bei mir mussten damals Danksagungen nachgefordert werden: „Tante Else fragt, wie dir ihr Geschenk gefallen hat!“ Dann der obligatorische Telefonanruf: „Ja, Tantchen, ne, super. Danke. Bestens gefallen! Bussi.“ Ich hatte selten eine Ahnung, was sie mir geschenkt hatte. Tante Else jedoch auch nicht. Schließlich war ich nicht der einzige Neffe. Nie fiel von einem von uns auch nur ein Wort am Telefon über das Geschenk selbst. Vermutlich damit dem jeweils anderen nicht auffiel, dass wir es leider beide nicht erinnerlich hatten.

Die Überforderung kannte stets Opfer auf beiden Seiten. Wir telefonierten aus unterschiedlichen Lazaretten des Konsumkrieges. Die Schlacht um die Geschenke macht vor dem Alter keinen Halt, doch die Gefallenen sind immer die Gleichen. Es sind die vergessenen Spielzeuge, die außer Mode gekommenen, die doppelten und gänzlich überflüssigen, die nach dem Feiertag noch einige Tage im Zentrum des Kinderzimmers, später in einer Ecke und letztlich auf dem Dachboden landen. Irgendwann beschlossenen wir, dass es unsere Kinder besser haben sollen. Nach zähem verbalen Ringen mit den Verwandten legten wir künftig zusammen und kauften nur noch je ein großes Geschenk. Alsbald stellte sich heraus, dass auch dieses auf dem Dachboden landete, denn in dreiviertel der Fälle deckten wir keine Bedarfe oder erfüllten echte Wünsche, sondern allenthalben solche, die die Spielzeugproduzenten generiert hatten. Dann kam der Wandel, und das Verschenken gemeinsamer Zeit begann: Städtereisen, Besuche in Erlebnisbädern oder Tage in Kletter- und Minigolfhallen wurden zum Kern. Ob die Kinder das verstehen, dachte ich damals? Vielleicht wenn sie selbst erwachsen sind oder eines Tages erkennen, warum ihr Vater gerne nur eine Reis-Flasche zum Spielen gehabt hätte. 

Heute weiß ich, es war die beste Entscheidung, denn sie erzählen noch immer von dem gemeinsam Erlebten, doch nie hörte ich ein Wort über die zigste Playmobilfigur. Meine Geburtstage sehen heute so aus: Ich erbitte, keine Geschenke mitzubringen, stattdessen etwas zu essen und zu trinken. Ich habe schließlich nicht nur alles, sondern eindeutig bereits viel mehr, als ich zum Leben brauche. Seit zwei Jahren bitte ich sogar darum, eigenes Geschirr mitzubringen. So kann ich von der ersten bis zur letzten Minute genießen, ohne Essen zuzubereiten oder daran denken zu müssen, danach noch Stunden mit dem Aufräumen verbringen zu müssen. Das klappt auch bei Jesus Geburtstag, denke ich. Ganz unkoordiniert und stressfrei geht das von statten: Sechs Kuchen und einen Nudelsalat sowie Wein und Bier gab es zuletzt. Kulinarisch in der Kombination fragwürdig, aber definitiv eine der schönsten Feiern der letzten Jahre. Vielleicht bringt nächstes Jahr jemand Reis mit.

Dienstag, 12. November 2019

Immer wieder Glascontainer

Immer wieder Glascontainer

Heute bin ich genervt. Warum? Weil ich ein zweites Mal in dieser Woche Glasmüll zum Container bringen muss. Er stammt von all den Gläschen mit Brotaufstrich, die sich in den letzten Tagen angesammelt haben. Erst hatte ich Frühstücksgäste und wollte mir keine Zeit nehmen, etwas selbst zu machen. Also gab es Gekauftes von süß bis herzhaft im Glas. Ich möchte ja keinen Plastikmüll verursachen. Hinzu kam, dass ich mir auch für meinen eigenen morgendlichen Bedarf keine Zeit nahm, etwas selbst zu machen. Dabei ist es so einfach. Abends die Gemüsepfanne, davon etwas weggenommen und mit Sonnenblumenkernen unter den Stabmixer. Fertig ist der Brotaufstrich für die nächsten zwei Tage. Leider gab es zwei Wochen lang fast nur gehetztes Essen auf die Hand oder abends rasch eine Portion Nudeln. Natürlich mit Pesto. Aus dem Glas. 

Wesentliches gibt es für mich nicht im Mehrwegglas. Joghurt: Ja! Auch Milch. Beides esse ich nicht und schaue daher neidisch im Supermarkt über den Deckel meines Einweg-Brotaufstrichglases ins Mopro-Kühlregal. Warum neidisch? Weil die Mehrwegglasverpackung der Einwegdose und Einwegplastikverpackung ökologisch überlegen ist, solange sie aus regionaler Abfüllung stammt. Immerhin lässt sich so ein Mehrwegglas bis zu fünfzigmal wiederverwenden. Beides bestätigt das Umweltbundesamt. Einweg wird zwar fleißig gesammelt, aber dann energieintensiv eingeschmolzen, um zur Quelle für ein neues Glasprodukt zu werden. Eine Zeitlang habe ich die Gläschen gespült und in meinen Workshops zum Abfüllen des Selbstgemachten ausgegeben. Leider kann ich gar nicht so viele Workshops annehmen, um die Folgen meines riesigen Frühstückshungers zu kompensieren. Vier Millionen Tonnen Behälterglas werden in Deutschland jährlich produziert, das sind fast 50 Kilo pro Bundesbürger, sagt das Bundesumweltministerium. Nach Daten des statistischen Bundesamts entfallen 2,5 Prozent der 45,9 Millionen Tonnen Haushaltsmüll, die zuletzt jährlich anfielen, auf Glas. Das sind gut 14 Kilogramm pro Kopf. Die Differenz zwischen Produktion und Müll ist Mehrwegglas, hoffe ich zumindest. Doch die könnte deutlich höher sein, wenn es auch Mehrweggläser für meine Brotaufstriche gäbe. Gemessen an meinem Appetit kann ich mir zumindest vorstellen, dass ich relevante statistische Veränderungen hervorrufen würde. Wieder rufe ich Politik und Wirtschaft zu: Bitte schafft die Voraussetzungen!

Bis der Ruf erhört wird, nehme ich mein Genervtsein zum Anlass, mich zu Redisziplinieren, denn das hatte schon mal besser geklappt. Die nächsten vier Wochen verspreche ich mir, kein Einwegglas mehr zu kaufen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass nicht vorhanden geglaubte Zeit plötzlich hinter dem Küchenschrank hervorkriecht, wenn die Disziplin den Hunger dirigiert. Den restlichen Glasmüll bringe ich jetzt in den Container. Immerhin 90 Prozent davon werden recycelt. Bei meiner Recherche werde ich daran erinnert, wie wichtig die Sortenreinheit ist. Nur wenige Prozent fremdfarbiges Glas werden toleriert. Insbesondere bei Weißglas. Die Fehlwürfe müssen sonst zunächst manuell und dann erst durch Maschinen aussortiert werden. Meine zwar löffelreinen, aber dennoch nach einigen Tagen nicht mehr wirklich ansehnlichen Gläser möchte ich niemanden in die Hand zu nehmen zumuten. Übrigens sind Keramik, Steingut, Porzellan und sogar Flachglas der Feind des Glas-Recyclings. Schon wenige Gramm pro Tonne können die gesamte Produktion unbrauchbar machen. Ich frühstücke jetzt erstmal – aus dem letzten Frühstücksaufstrichglas.

Montag, 4. November 2019

Leben ohne Kühlschrank - eine Szene aus dem Beziehungsleben eines ökologischen Selbstoptimierers.

Leben ohne Kühlschrank
Wenn sich zwei Menschen entschließen zusammenziehen, dann gibt es vieles zu klären. Welche Möbel behält man? Wer bekommt welchen Anteil in den Schränken? Welches Kochgeschirr wird aussortiert? Wenn ich einer der beiden bin, dann kommen ganz andere Fragen hinzu. Insbesondere, weil ich es mit dem Ökologischen so sportlich sehe. Eine der Grenzen, die ich vor einigen Jahren verschob, war die des Umgangs mit der Lebensmittelaufbewahrung: Ich schaltete meinen Kühlschrank aus. Als Alleinlebender musste ich mich ja auch nicht abstimmen. Im Sommer zieht meine Freundin bei mir ein. Die sportliche Auseinandersetzung mit dieser Frage startet bereits jetzt.

„Wie soll ich denn meine Tiefkühlbeeren aufbewahren?“, ist die erste Frage, die sie stellt. Seit wir uns kennen, essen wir morgens gerne Müsli mit Beeren aus dem Tiefkühler. Ausschließlich wenn wir bei ihr sind. Ich habe ja keinen Tiefkühler. Aus meiner Erfahrung, die mittlerweile drei Jahre zählt, weiß ich, dass sich Lebensmittel gut drei Tage ungekühlt halten. „Die halten sich auch außerhalb!“, versuche ich meine Liebste zu überzeugen. Sie schaut skeptisch, und ich glaube zu erkennen, dass sie sich ab Sommer zu jeder Mahlzeit ausschließlich Beeren essen sieht, damit sie nicht schlecht werden. Ohne Kühlung zu leben, bedeutet, Mahlzeiten vorzuplanen. Reste müssen gegessen und kurzfristige Gelüste kontrolliert werden. Kein Sport ohne Schweiß! Mir sind in dieser Zeit allerdings weitaus weniger Lebensmittel schlecht geworden als in den Kühlzeiten. Das bringt die bessere Aufmerksamkeit Lebensmitteln gegenüber mit sich.

Sie blickt auf mein leeres Gemüsefach im ausgeschalteten Kühlschrank. „Und was ist mit Salat und Gemüse? Das wird doch welk und faulig.“ Ich merke an ihrem Blick, dass sie daran denkt, dass in meiner Dachgeschosswohnung im Sommer durchaus tropische Temperaturen herrschen. Ich deute auf meine Tonkrüge in der Küche. „Das Wurzelgemüse ist jedenfalls sicher!“, sage ich. Zwei ineinander stehende Tonkrüge mit feuchtem Sand zwischen ihnen halten es kühl und feucht. Möhren, Pastinaken oder Petersilienwurzeln beispielsweise bleiben dort bis zu zwei Wochen lang knackig. Ganz ohne Strom! Ich kaufe nur samstags auf dem Markt ein, dennoch wird auch das andere Gemüse nicht schlecht – ich esse es in der Reihenfolge des erwarteten Verderbens. Den Salat, in ein feuchtes Tuch eingeschlagen, in den ersten zwei Tagen, dann die Pilze, die Auberginen, zu vorletzt die Zucchini und ganz zum Schluss den Kürbis, der gerade Saison hat.

„Und was ist mit Vorrat?“, fragt meine Freundin. Sie kauft gerne so ein, dass stets Ersatz im Haus ist. Während in ihrem Kühlschrank hinter der angefangenen Packung Margarine eine zweite steht, stünde sie bei mir im Supermarkt und wartete dort auf mich. Natürlich habe ich keine Margarine, denn bei aller Sportlichkeit, die ich beim Thema aufbringe, binnen drei Tagen ein Pfund Streichfett essen zu müssen, wäre eine Liga, in die ich nicht aufsteigen wollen würde. Täglich führt mein Arbeitsweg am Biomarkt vorbei. Dadurch dass dort für unzählige Kunden gekühlt wird und ich nicht zuhause nur für mich allein Strom zur Kühlung aufwenden muss, ist meinen Energiebedarf massiv reduziert. Nicht einmal fünfundzwanzig Kilowattstunden pro Monat sind es in diesem Jahr im Schnitt. Mehr als das Fünffache braucht dahingegen ein bundesdeutscher Singlehaushalt. Geld, dass ich gerne sinnvoller nutze.

Zuletzt erkenne ich im Blitzen in ihren Augen, dass sie nun das finale Argument gefunden hat. „Und mein Mittagessen fürs Büro?“ Seit wir zusammen sind, wird einmal wöchentlich in Kompaniemenge gekocht, portioniert, eingefroren und dann täglich für ihre Mittagsverpflegung im Büro einzeln wieder aufgetaut. Für mich selbst koche ich stets nur ein bis zwei Portionen abendlich mehr, die ich für mein Mittagsmahl des kommenden Tages in Bügelverschlussgläser einwecke. Nun ja, sie hat mich. Ich muss ihr versprechen, regelmäßig für sie mitzukochen. Wie ich schon schrieb: Ohne Schweiß ist es kein Sport!