Dienstag, 23. Juni 2020

Das Schwein zahlt

Das Schwein zahlt
Anfang der Woche war ich mit dem Auto unterwegs und hörte Radio. Ich schaltete um, da ich keine Lust auf Mark Fosters „Flash mich“ hatte und landete bei einer Diskussion über eine Gesetzesvorlage, die bis 2040 allen Nutztieren in Ställen deutlich mehr Platz, "möglichst mit Kontakt zu Außenklima", bieten möchte. Zur Finanzierung solle das Kilogramm Fleisch um 40 Cent teurer werden. Die Fleischindustrie zweifele an der finanziellen Umsetzbarkeit, war weiter zu hören. Ich musste an Tönnies denken. Die schaffen es nicht einmal, ihren Mitarbeitern genügend Platz zu verschaffen, um mehr als 1.300 Corona-Infektionen zu verhindern. Wie sollen die das dann bei Tieren schaffen? Gut, mag man kritisch anmerken, das ist ja auch ein Schlachter und kein Landwirt. Stimmt! Dennoch ist auf deren Homepage zu lesen, „dass die Tiere, die wir schlachten und verarbeiten, vernünftig gehalten und aufgezogen werden“ sollen. 

Das ist eine Riesenverantwortung in Anbetracht von gut 30.000 Schweinen, die Tönnies täglich schlachtet. Dessen Arbeiter führen die glücklichen Schweine per Aufzug zum dem Erstickungstod ähnlichen Betäuben in eine CO₂-Grube. Das kann gut eine halbe Minute dauern, während ihnen das Kohlendioxid auf ihren Schleimhäuten zu brennender Kohlensäure wird. Immerhin geht es ihnen wohler, als wenn sie bei vollem Bewusstsein einen Metallhakenhaken ins Bein gejagt bekämen, um kopfunter auf das „Stechkarussel“ gezogen zu werden, das sie zu den Schläuchen führt, die ihnen zum Ausbluten ins Herz gestochen werden. Durch einen umsorgenden Druck auf das Auge nach der Grube und vor dem Schlauch wird getestet, ob die Betäubung wirkt. Falls das Schwein zuckt, wird nochmal betäubt oder es gibt eins mit dem Bolzenschussgerät. Je nach Quelle sind ein Promille bis zu einem Prozent der Schweine zu diesem Zeitpunkt bei voller Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit, also bei Tönnies 26 bis 260 Tiere pro Tag. Immerhin haben die meisten der Tiere, die leider auch der Bolzenschuss nicht tötet – der Akkordarbeiter hat nur Sekunden Zeit, um sein Pensum zu schaffen –, ausreichend Blut verloren, dass zumindest der Großteil vom 60 Grad heißen Wasserbad nichts mehr mitbekommt. Die Großschlachterei kümmert sich darum, dass die Tiere „vernünftig gehalten und aufgezogen werden“. Das kostet so viel Geld, dass es gar nicht mehr leistbar ist, Arbeiter zu Mindestlohn anzustellen. Über fünftausend Schlachter müssen wegen der Bemühungen um das Tierwohl bei Aufzucht und Haltung über Subunternehmer angestellt werden. Da ist es gut, dass es eine Steuer geben soll, die hilft, dass diese Bemühungen nicht einseitig bleiben. Lediglich etwas mehr als 6,5 Milliarden Umsatz verbuchte der Konzern zuletzt. Dieses Jahr wird es noch weniger – so ohne Sub-Mitarbeiter, die nicht in Quarantäne sind.

Das Fertig-Schnitzel kostet derzeit 2,49 Euro. Wenn das Gesetz durch ist, wird es 2,59 Euro kosten, falls sich kein weiterer Subunternehmer in der Produktionskette findet. Das Schwein wird dann etwas besser leben und immerhin liegt die Chance bei 99 Prozent und besser, dass es nicht von einem der der 550.000 Schweine stammt, die deutschlandweit ihren langsamen Tod mangels funktionierender Betäubung bei vollem Bewusstsein miterlebten.

Am Ende meiner Autofahrt hatte ich ein veganes Schnitzel bei meinen Eltern bekommen, das 2,79 Euro gekostet und entfernt an ein echtes erinnert hatte. Damit kann ich leben, das Schwein auch und bei Mark Fosters Song „Flesh mich“ mitzusingen, kann man mal machen, solange niemand leidet.

Dienstag, 9. Juni 2020

Grüner durch Teamwork

Grüner durch Teamwork
Grüner durch Teamwork

Nach Daten des statistischen Bundesamtes sind fast 40 Prozent der Haushalte von nur einer Person bewohnt, und jede dieser Singles verfügt über durchschnittlich 68 Quadratmeter Wohnfläche. Ich war einer von ihnen. Die Hälfte meiner Wände war frei, denn ich hatte nicht genug in meinem Besitz, um sie mit Schränken verstellen zu müssen. Ich besaß nicht einmal eine Waschmaschine. Stattdessen ging ich alle drei Wochen in den Waschsalon. Meinen Kühlschrank hatte ich seit drei Jahren nicht mehr einschalten müssen, da ich mehr oder minder von der Hand in den Mund gelebt hatte. Wie ich bereits schrieb: Ich war einer von ihnen. Seit letzter Woche bin ich Teil eines Zwei-Personen-Haushalts. Natürlich überwiegt die Freude darüber – mit großem Gewicht –, dennoch kamen im Vorfeld Gedanken auf, die sich mit meinem individuellen ökologischen Fußabdruck befassten. Wie werde ich darauf reagieren, wenn die Klarheit meines reduzierten Besitzes nicht mehr auf mich wirken kann? Komme ich damit zurecht, dass sich die Anzahl der Elektrogeräte im Haushalt plötzlich um solche wie Mikrowellenherd und Wäschetrockner erweitern wird? Was wird es mit mir machen, wenn ich meinen Kühlschrank vielleicht dauerhaft eingeschaltet lasse? 

Die Antworten vorweggenommen: Gut, ja und nichts, denn erstaunlicherweise wird all das regelrecht aufgezehrt von einem sehr hungrigen Energiezehrerpärchen in meiner Ökobilanz: Dem Flächenverbrauch und den Heizkosten. 49 Quadratmeter Fläche bewohnen Menschen aus Zwei-Personen-Haushalten im Durchschnitt, die im Mittel immerhin bis zu 149 kw/h Heizenergie verbrauchen. Bei mir sind Flächen- und Heizenergieverbauch nun halbiert, und das wirkt sich auf den ökologischen Fußabdruck merklich aus. Es reduziert meinen globalen Flächenbedarf von 3,8 auf 3,4 globale Hektar (gha) – der bundesdeutsche Durchschnitt liegt bei 4,9 gha. Der globale Hektar beinhaltet alles, was unsere Art zu leben an Fläche nötig macht. Vom Bedarf an Anbauflächen für Lebensmittel, über den Flächenanteil an der Infrastruktur und den für die Produktion von Konsumgütern bis hin zum Wohnraum. Das Wohnen wird dabei mit einem Anteil von 25 Prozent im Durchschnitt nur von den Ernährungsgewohnheiten, die durch unsere tierproduktreichen Essgewohnheiten 35 Prozent betragen, überboten. Wenn diese zwei Punkte bereits 60 Prozent ausmachen, wundert nicht, dass der diesjährige Earth-Overshot-Day, der Erdüberlastungstag, vermutlich am 3. Mai gewesen wäre. Ab diesem Tag nutzten wir Ressourcen, die uns rechnerisch nicht mehr zustünden und wir zu Lasten anderer – unserer Mitmenschen in anderen Ländern und unserer Folgegenerationen – verbrauchten. Der Corona-Shot-Down, der nicht eingerechnet ist, wird den deutschen Erdüberlastungstag faktisch verschoben haben. Vielleicht ist er am heutigen Tage. Wer weiß? 

Fakt ist, wir müssen noch viel tun. Meinen Wohnraum zu teilen, hat mich – ganz gleich, ob ich nun den Kühlschrank dauerhaft eingeschaltet lasse oder nicht – merklich nach vorne gebracht. Und nicht nur mich. Auch meine Lebensgefährtin halbiert ihren Flächen- und Heizenergieverbrauch. Zusammen bringen wir es auf eine Ersparnis von 0,8 gha – das entspricht dem ökologischen Fußabdruck einer Bengalin oder eines Bengalen. Abgesehen davon und vom zwischenmenschlich Offensichtlichen gibt es aber noch einen weiteren gravierenden Vorteil: Ich spare mir alle drei Wochen 1,3 Kilometer Fußweg zum Waschsalon, und, wer weiß, vielleicht bekomme ich sogar mit der Zeit heraus, wozu man einen Mikrowellenherd braucht!

Sonntag, 7. Juni 2020

Erster Unverpacktladen in Friedberg

Alexia Anders' Futterzimmer bietet Unverpacktes und Plastikfreies

Unverpacktläden boomen. Gut einhundert dieser Geschäfte, die das Einkaufen unverpackter Waren ermöglichen, gibt es bundesweit. Deutlich mehr, rechnet man jene hinzu, die den bestehenden Laden um einen Unverpackt-Bereich ergänzt haben. Seit März gibt es auch einen in Friedberg, und er hat sich fast unbemerkt hinzugesellt.

Seit dem Jahr 2013 führt Alexia Anders ihre Hundetagesstätte Hundezimmer in der Hanauer Straße 12, gleich um die Ecke im selben Haus erreicht man ihr zwei Jahre später hinzugekommenes Futterzimmer, in dem sie alles anbietet, was ihre Tagesgäste benötigen. Seit dem Frühjahr gibt es dort auch vieles, was das umweltbewusste Frauchen oder Herrchen benötigt. Hier kann man sich Drogerieartikel nachfüllen lassen, Bienenwachstücher oder in loser Schüttung kaufen, was benötigt wird, um sich Wasch-, Spülmaschinenpulver und mehr herzustellen. Die Idee dazu kam der 34-Jährigen bereits Ende 2019. Die Mittel zum Umbau ihres Ladens kamen über ein Crowdfunding. Ganze 57 Unterstützer hatten sich teils Gutscheine für den ersten Unverpacktladen Friedbergs gesichert und ihr so ermöglicht, zusammen mit ihrem eigenen Kapital den Umbau und den Start eines Unverpackt-Bereichs zu wagen. Mitte März war der Laden umgebaut, die ersten Produkte wie plastikfreies Toilettenpapier, Zahnbürsten und Wattestäbchen aus Bambus, Seifen für Hund, Haut und Haar, auch die handgefertigten von „Manar Soap“ aus Friedberg, sogar Strohhalme, die ihrem Namen alle Ehre machen, waren in den Regalen. Zum Abfüllen gab es Soda, Natron und Zitronensäure. Für die Eröffnung bestellt waren, natürlich ebenfalls zum Selbstabfüllen, Zahncreme, Bodylotion und sogar Sonnencreme. Doch sie kamen nicht. Was kam, war Corona und mit ihm Hygienebestimmungen in den Produktionsstätten, die zunächst keine Lieferung zur losen Portionierung zuließen. Gleichzeitig wurde auch das, was einen Unverpacktladen ausmacht, nämlich das Abfüllen in mitgebrachte Behältnisse, durch die Verordnungen erschwert. 

Die gelernte Kauffrau nimmt das leicht. „Ich nutze alle Produkte auch selbst“, sagt sie mit einem Lächeln im Gesicht. Dann beginnt sie von ihrer Motivation zu erzählen, schwärmt von den Produkten, die sie im Sortiment hat und gibt eine Aussicht auf das, was sie noch ins Programm nehmen will. WC-Reiniger, Klarspüler, sensitive Waschmittel soll es bald zum Abfüllen geben, Zahnputzpastillen, fester Conditioner und Lippenbalsam. Folgt man dabei ihren Augen, entsteht bereits im eigenen Kopf ein Bild davon, wo alles stehen wird und welche große Pump-Flasche, welche Lotion oder Creme beinhalten wird. Ein Geschäft, das Kauknochen und Hundedecken auf der einen Seite und Unverpacktes sowie Plastikfreies auf der anderen Seite führt, ist sicherlich bundesweit einmalig. „Dabei wird es jedoch nicht bleiben!“, sagt die Friedbergerin. „Ich stehe schon in Kontakt mit einem Lieferanten und möchte auch Lebensmittel in Pfandgläsern anbieten.“

Noch ist der Unverpackt-Bereich nur eine Rubrik auf ihrer Homepage futterzimmer.de. Das Logo ist jedoch fast fertig, und dann folgen die eigene Homepage und Google-Eintrag. Wie sehr sie sich bereits Gedanken um Ressourcenverschwendung gemacht hat, sieht man jedoch bereits beim ersten Blick auf die bestehende Homepage. Dort trifft man auch auf Rücksäcke. Was haben die mit Hundebedarf oder Unverpacktem zu tun? „Die nähe ich aus Stoffresten der Hundedecken“, sagt die ausgebildete Hundeernährungsberaterin stolz. „Die fertige ich nämlich auch selbst. Sie halten länger als die üblichen, und so erfüllen auch die Reste noch einen guten Zweck.“