Dienstag, 31. März 2020

Corona-Baisse – Investieren in Kalorien

Corona-Baisse – Investieren in Kalorien
Die Bouillabaisse, das provenzalische Fischgericht, und keine mexikanische Biersuppe stand Pate für meine Namenskreation. Sie besteht aus den provenzalischen Wortteilen bouli und abaissà, also „koche und setze dich“, da die Marseiller Suppe einige Minuten stark gekocht und dann abgeschreckt wird. Das passiert derzeit auch an der Börse. Das Coronavirus wirkt wie ein Tauchsieder, der insbesondere Kleinanleger verschreckt die Hände aus dem sprudelnden Wasser ziehen lässt, das hier sinnbildlich für das Börsenparkett steht. Noch bis Mitte Februar hatte sich der Aktienmarkt in der Hausse befunden, in einem Aufwärtstrend. Da hatte der Stier der beginnenden Coronakrise noch seine Hörner gezeigt. Seitdem befindet er sich auf Talfahrt, der Bärenmarkt hat sich entwickelt, stärker denn je. Noch nie war der DAX, also die Heimat der 30 größten deutschen börsennotierten Unternehmen, in so kurzer Zeit so stark gefallen: Von fast 13.500 Punkten auf zeitweise unter 9.000. 

Warum schreibe ich das in einer Kolumne über Nachhaltigkeit? Seit ich vor eineinhalb Jahren zwei Frugalistinnen kennengelernt hatte, also zwei Anhängerinnen jener Szene, die sich zum Ziel gesetzt hat, durch ein möglichst sparsames Leben und Anlegen des Ersparten früh ein genügsames Dasein als Privatier zu führen, habe ich vieles von ihnen übernommen. Ich habe begonnen, meine Ausgaben mit einer Exceltabelle zu monitoren, um unnötige Ausgabenherde zu identifizieren, habe ein Depot eröffnet und bereits im ersten Monat des Kennenlernens mit dem Investieren gestartet. Ich bin nicht so sparsam wie Oliver Nolte oder Florian Wagner, die beiden wohl bekanntesten Frugalisten Deutschlands, die Sparraten von 60 Prozent und mehr erreichen, komme aber immerhin auf fast 22 Prozent. Geschafft habe ich das, indem ich meine Ausgaben immer wieder im Hinblick auf die Suffiziens überprüft habe. Welche Ausgaben tätige ich nur, weil es scheinbar ein gesellschaftlicher Konsens ist, sie zu tätigen? Welche Kosten habe ich, die wirklich nötig sind? Welche dieser Kosten kann ich reduzieren, indem ich zu günstigeren Alternativen wechsele, ohne an Nachhaltigkeit oder Qualität zu verlieren? Meine durchschnittlichen monatlichen Ausgaben habe ich so um ein Viertel reduzieren können – immer unter der Maßgabe, meine Lebenszufriedenheit aufrechtzuerhalten. 

Bis Mitte Februar hatte ich meine Depotwerte, die durch nachhaltige Fonds und ETFs sowie Einzelaktien von ökologischen Unternehmen bestimmt sind, noch gerne abgerufen. Derzeit verweigere ich mich, die betreffenden Aktienkurse in meiner Homebankingsoftware zu aktualisieren. Denn als die Corona-Baisse aufkochte, hatte ich stark an den Verlusten zu kauen gehabt, bis ich realisierte, dass es nur virtuelles Geld ist, dessen vermeintlichen Verlust ich bedauerte. Mein Einkommen ist weiterhin nahezu stabil, und weder an meinem vergleichsweise sparsamen Leben, noch an meiner Sparrate hat sich etwas geändert. Die Kurse werden irgendwann wieder steigen, und ich bin fern von Existenzangst. Ganz im Gegensatz beispielsweise zu vielen Gastronomen, die wirtschaftlich wirklich bedroht sind. 

Ich habe mich entschlossen, wieder zu investieren. Ich stecke den durch mein sparsames Leben erwirtschafteten Überschuss in Gutscheine bei der Pizzeria, in Bestellungen beim Burgerladen und in Anteile an diversen Speisekarten. Schon jetzt bin ich im Plus. Das Ergebnis lässt sich auf der Waage messen. Es sind bereits einige Prozent, und die nimmt mir keiner so schnell.

Sonntag, 22. März 2020

Die Welt von heute retten wir morgen wieder!

Die Welt retten wir morgen wieder!
Lasst uns heute erst einmal die Welt von morgen retten! Klingt nach einem Widerspruch. Ähnlich wie: "The king is dead. Long life the king!"

Ende 2016 hatte ich meinen Kühlschrank ausgestellt, weil ich wissen wollte, ob ich auch ohne leben kann. Ich konnte. Dafür hatte ich einige Gewohnheiten umgestellt. Zum Beispiel musste ich binnen drei Tagen aufbrauchen, was ich an Brotaufstrichen geöffnet hatte, damit es nicht verdirbt. Meine gewohnten drei geöffneten Gläschen unterschiedlicher Geschmacksrichtungen für das Frühstück reduzierte ich dafür auf eins. Ging auch. Tat nicht einmal weh. 
Essen, das ich kochte, stellte ich nicht mehr kühl, bis ich es in den nächsten Tagen zu Mittag im Büro verzehren würde. Ich weckte es ein. Ging auch. Tat nicht einmal weh. 
Statt den Kühlschrank mit einem Wocheneinkauf vollzupacken, begann ich alle zwei Tage in den Bioladen zu gehen, an dem ich vom Büro nach Hause ohnehin vorbeikam, und kaufte fortan für den Tages- statt für den Wochenbedarf ein. Ging auch. Tat nicht einmal weh.

Nun ist Corona-Time! Ich möchte weder mich, noch die Verkäuferinnen und Verkäufer oder auch nur einen derer, denen ich auf dem Weg zum Bio- oder Supermarkt begegne, der Infektionsgefahr aussetzen. Ich habe den Kühlschrank am Freitag nach dreineinhalb Jahren wieder eingeschaltet und meinen Einkauf, den ich nun nur noch alle zwei Wochen tätigen werde, eingeräumt. Selbst ein Wenig Plastikverpacktes ist darunter. Das ist ein sehr ungewohntes Bild, an das ich mich erst einmal  gewöhnen muss.
Ich versuche dennoch, Energie zu sparen, indem ich alle vollen Flaschen, die ich im Haus gefunden hatte, ebenfalls hineingetan habe - was im Falle der Rotweinflaschen einen Knacks in meinem Herzen verursacht hatte! So bleibt die Kälte im Inneren, wenn ich dir Tür öffne. Ansonsten würde die kalte Luft mit jeder Öffnung durch warme Küchenluft ausgetauscht und das Kühlaggregat müsste nach jeder Öffnung anspringen. Ich bin gespannt, was dieses Experiment, an Verbrauch mit sich bringt.  

Der Öko in mir ruht heute ein wenig, damit ich morgen eine Welt vorfinde, die ich dann weiter zu retten versuchen kann. Geht auch. Tut nicht einmal weh!

Samstag, 21. März 2020

Toilettenpapierhamsterkäufe - Was steckt dahinter?

Toilettenpapierhamsterkäufe - Was steckt dahinter?
Vieles müssen wir dieser Tage umstellen: Wer kann, arbeitet im Home Office, unsere gewohnten Tagesabläufe geraten durcheinander, Freizeitaktivitäten sind auf Null reduziert und die Besuche bei den Eltern und Großeltern sind eingestellt. Sich mit ihnen, Freunden und allen, deren Kontakt so essenziell für uns alle ist, zu treffen, findet nicht mehr statt, und selbst das Einkaufen fühlt sich an, als sei jederzeit zu erwarten, dass eine Horde Zombies in den Supermarkt stürmt. Jeder dreht sich verstohlen um und versucht zwei Meter Abstand zu jedem anderen zu halten. Menschen warten vor den Türen, bis sie mit der nötigen Distanzwahrung in den spärlich gefüllten Laden eintreten können. Auf den ersten Blick betrübt das, doch dahinter steckt so viel Positives. Als ich heute Morgen einkaufen war, waren um mich herum überwiegend Menschen, die nicht in der gefährdeten Altersgruppe waren. Wenn sie sich mühen, die Ansteckung bei den nötigen Gängen in die Öffentlichkeit möglichst gering zu halten, dann machen sie es faktisch nicht für sich. Sie machen es für die Gemeinschaft, dafür, dass unsere Kapazitäten in der Intensivmedizin für die ohnehin schon große und immer größer werdende Zahl an Infizierten ausreichen, dafür, dass weniger alte und vorerkrankte Menschen sterben müssen. Einzelpersonen, Vereine und Religionsgemeinschaften schließen sich zu Lieferdiensten für ältere Menschen zusammen. Selbst in den Briefkästen finden sich hier Botschaften von Jugendclubs, deren Mitglieder sich anbieten zu helfen. Das ist toll, und ich bin stolz, das erleben zu dürfen. So viel zur einen Seite der Realität.
In den sozialen Netzwerken erschafft die Virtualität eine alternative Realität. Zu recht empören wir uns über Hamsterkäufe von Toilettenpapier. Wenn ich hamstern wollte, wäre Toilettenpapier das letzte, was ich einkaufen würde. Die Franzosen hamstern Kondome. Das ist schlau! Während die ihre Zeit in der Isolation lustvoll nutzen, planen wir, sie offenbar mit Ausscheidung zu verbringen. Da verstehe ich, warum der Deutsche eine solche Angst davor hat, nicht mehr rausgehen zu können. 

Warum kommt das so? Das hat psychologische Gründe einerseits und technische andererseits. Der erste, der einen Supermarkt mit zehn Packungen Klopapier verlassen hatte - nennen wir ihn H0 (für Hamster Null), wurde mit Kopfschütteln von einem zu Recht Belustigten fotografiert. Dieser postet es im Netz. Andere finden es ebenso lustig, liken, kommentieren und teilen es. Sie erzeugen Traffic. Der Algorithmus der Sozialen Netzwerke verstärkt nun die Anzeige des Posts bei anderen, denn offensichtlich wollen die Menschen das sehen. Der Post bekommt Relevanz. Die Nutzer der Sozialen Netzwerke stellen fest, dass ein Post mit Toilettenpapier viel Resonanz erfährt. Sie produzieren eigene Posts vom Toilettenpapierhamstern. Da das Wort "Toilettenpapier" inzwischen eine relevante Buchstabenfolge geworden ist, werden die Posts noch stärker durch die Algorithmen der verschiedenen Plattformen gefördert. Nun sieht H1 unentwegt Posts über Hamsterkäufe von Toilettenpapier. H1 denkt sich: Wenn alle Toilettenpapier kaufen, muss es die richtige Entscheidung in Krisensituationen sein. Er kauft zehn Packungen Toilettenpapier. Er wird dabei fotografiert. Es wird gepostet. H2 und H3 werden inzwischen unentwegt regelrecht mit Bildern von Toilettenpapierpanikäufen bombadiert. Sie eilen noch am selben Tag aus dem Haus. Es könnte bald keins mehr geben. Sie stehen vor fast leeren Regalen. Beide rennen mit den letzten Packungen aus dem Laden.
In der hypothetischen Annahme, dass jeder Toilettenpapierhamster, der fotografiert und dessen Einkauf gepostet, geliked und geteilt wird, täglich je drei weitere Menschen bewegt, je drei Packungen Toilettenpapier zu kaufen, dann sind bereits in den ersten Minuten des fünften Tages die bis dahin angehäuften Produktionskapazitäten von 35 Millionen Rollen aufgebraucht.
70 Millionen Erwachsene in Deutschland sitzen dann auf einem Thron aus Toilettenpapierrollen und hämmern entnervt gegen die Wand zu ihren französischen Nachbarn, die geräuschvoll vermitteln, was die bessere Wahl gewesen wäre.

Was können wir dagegen tun? Die eine Möglichkeit ist, dass wir ab jetzt nur noch Posts von Hamsterkäufen französischer Art in den Sozialen Netzwerken unterstützen. Das würde uns die Zeit zu Hause einerseits deutlich besser durchstehen lassen und andererseits ab Tag fünf den demografischen Wandel in Deutschland umkehren ("Corona-Kick, statt Pillen-Knick"). Die zweite Option wäre, dass wir keine Posts mit Toilettenpapierhamstern mehr liken, kommentieren und teilen - mit Ausnahme dieses Posts, der zwingend geliked, kommentiert und geteilt werden muss -, aber dafür mehr Posts von Menschen, die einander helfen, die uns unterstützen, die Krise gemeinsam meistern. Beides würde die Realität erneut verändern. Die Entscheidung liegt bei euch.

Bleibt zu Hause - Bleibt gesund!



Dienstag, 17. März 2020

Coronaviren überall

Coronaviren überall

Sie sind in aller Munde. Oder vielmehr: Ich hoffe nicht. Was ich von der vermeintlichen Corona-Hysterie halte? Da möchte ich auf Jürgen Klopp verweisen. Als Trainer des FC Liverpool wurde er zu seiner Meinung gefragt. Er antwortete: „Warum fragen Sie mich das? Die Experten sollten nach ihren Meinungen gefragt werden, nicht irgendwelche Personen des öffentlichen Lebens. Ich trage eine Basecap und habe eine schlechte Rasur.“ Nun, ich selbst trage eine Schiebermütze und bin ordentlich rasiert, kann Kloppo aber nur zustimmen. Ich kann sie nicht mehr hören, all diese Vergleiche in der Art von: „Die Influenza hat vor zwei Jahren auch 25.000 Todesopfer in Deutschland gefordert, und jetzt werden alle Veranstaltungen wegen zwei Handvoll Corona-Toter verboten.“

Ich bin kein Experte aus dem Gesundheitsministerium, aber wenn ein neuartiger Virus schon einmal solche Todeszahlen produziert hat, sollten wir dann nicht alles tun, damit das mit SARS-CoV-2 nicht auch passiert?
Ich bin auch kein Philosoph, aber dürfen Menschenleben, moralisch gesehen, miteinander verrechnet werden? Ist es legitim, eine unbekannte Anzahl potenzieller Toter durch Nichtstun zu riskieren, weil vor zwei Jahren schon einmal eine große Zahl an Menschen gestorben ist? Oder noch plastischer: Wenn ich vor zwei Jahren auf einem Fußballbundesligaspiel war und bundesweit eine Menschenmenge in der Höhe der Einwohnerzahl Butzbachs verstarb, darf ich da auf mein Fünfzehn-Euro-Ticket bestehen, wenn Verzicht zur Verhinderung beitrüge?  Mein Gefühl hat da eine ganz klare Position, aber ich bin halt kein Experte.
Ich bin ebenfalls kein Mathematiker, aber angenommen, wir haben derzeit 6.000 Infizierte. Dann macht das auf 82 Millionen Einwohner ein Verhältnis Gesunder zu Infizierten von 41.000 zu drei. Das bedeutet, dass bei jedem Bundesligaspiel, statistisch gesehen, wenigstens drei ansteckende Fans in den Zuschauerreihen zu finden sind. Ich bin auch kein Virologe, aber wenn ich auf der Homepage des Robert-Koch-Instituts lese, dass ein fünfzehnminutiges Verweilen in eineinhalb Meter Abstand zu einem Infizierten mit einer Rate von 70 Prozent zu einer Ansteckung führt, vermute ich, dass sich das Verhältnis von Nichtinfizierten zu Infizierten mindestens verzehnfachen wird, bis abgepfiffen wird.
Da ich, wie bereits gestanden, kein Mathematiker bin, habe ich auch keinen Expertenstatus in Stochastik. Dennoch bin ich mir sicher, dass selbst Veranstaltungen mit 100 Zuschauerinnen und Zuschauern zu verbieten, sinnvoll ist. Immerhin würden kleinere Veranstaltungen nur noch eine Wahrscheinlichkeit von weniger als einem Prozent aufweisen, dass Besucher sich infizieren. Das ist immer noch deutlich mehr, als ein Tagesgeldkonto an Zinsen bringt, aber auch fast nichts.

Was ich bin, – zumindest in einigen Augen – das ist ein Experte für ökologische Lebensführung. Ganz ehrlich: Selbst, wenn die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie gerade den CO2-Ausstoß merklich reduzieren – allein in China sind die Emissionen im Februar um ungefähr 200 Megatonnen, das ist ein Viertel derer monatlicher Gesamtemission, zurückgegangen –, möchte ich lieber, dass uns etwas wie im Jahr 2018 erspart bleibt und die Wirtschaft sich wieder normalisiert. Vielleicht stellen wir, wenn die Krise ausgestanden ist und alle gebunkerten Nudeln und alles Toilettenpapier aufgebraucht sind, fest, dass wir gar nicht so viel konsumieren müssen, um zufrieden zu sein und senken so künftig unseren ökologischen Fußabdruck. Wer weiß! Bis dahin, bleibt gesund!

Bildrechte: Von N-Lange.de - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

Dienstag, 3. März 2020

Wenn das Fräulein den Kolonialwarenladen besucht - Lesung mit Fräulein Öko "Projekt Plastikfrei"

Wenn das Fräulein den Kolonialwarenladen besucht
Was sich nach einer Reise in die 50er-Jahre anhört, war ein moderner und zukunftsgerichteter Vortrag, denn das Fräulein war die Youtuberin „Fräulein Öko“ und die Kolonialwarenregale Teil der stilvollen Einrichtung des Unverpacktladens nix-drum-rum in Bad Nauheim. Am Freitagabend war die Videobloggerin und Buchautorin, die mit bürgerlichem Namen Svenja Preuster heißt, zu Besuch bei Ladeninhalberin Simone Schmidt und Mitveranstalterin Gaëlle Götz, die stellvertretend für die Stadtbibliothelk Bad Nauheim zu Gast war. Mehr als dreißig Zuhörerinnen und Zuhörer waren gekommen, um den unterhaltsamen und informativen Vorlesepassagen aus ihrem Buch „Projekt Plastikfrei“ zuzuhören. Während die Gäste an Stehtischen bis tief in den Laden hinein Platz gefunden hatten, stand die Autorin hinter der Bedientheke und servierte mit viel Freude Häppchen aus ihrem im Januar veröffentlichten Buch. Insofern war der Abend nicht nur keine Reminiszenz an vergangene Zeiten, es trafen sogar zwei ganz Junge zusammen, denn auch das Lädchen am Markplatz hat erst seit Dezember geöffnet. 

Aus jedem Kapitel las die junge Autorin zwei Abschnitte. Es ging um Themen wie Trinkwasser ohne Plastikflaschen und Lebensmittelverschwendung, sie gab Tipps für weniger Plastik in der Küche, und, auch wenn in Unverpacktläden mehrheitlich vieles an Getreide, Sämereien und Trockenwaren angeboten wird, ging Preusters Vortrag weit darüber hinaus. Selbst an Buchrubriken zu Elektroschrott und nachhaltige Medien sowie zu Kleidung und über das Vermeiden von Textilmüll ließ sie die Gäste teilhaben. Tipps, wie unterwegs Müll vermieden werden kann, schlossen sich an, und selbst, welche Alternativen es zu Luftballons gibt, verriet die Autorin. Zwischen den Lesepassagen fand sich sogar noch Platz für drei kleine Workshops. Zusammen mit je einer Freiwilligen aus dem Publikum – es waren überwiegend weibliche Gäste – führte die 24-jährige vor, wie Deocreme, Zahnpasta und Mundspülung mit wenigen Zutaten, die allesamt auch in Schmidts Sortiment zu finden sind, unverpackungs-, aber vor allem plastikfrei hergestellt werden können. 

Nach einer guten Stunde wurde die obligatorische Frage Fragerunde eröffnet. Wieviel Zeit das Selbermachen in Anspruch nehme, wollte eine Zuhörerin gerne wissen. Preuster verwies nicht nur auf die Schnelligkeit, mit der unter Anleitung am Abend mit der Materie nicht Vertraute Pflegeprodukte herstellen konnten, sondern rechnete auch nachvollziehbar vor, wieviel Zeit man für gewöhnlich für das Einkaufen aufwende, das man sich mit dem Erwerb einer überschaubaren Menge an nötigen Zutaten spare. Denn aus diesen könne man über Monate hinweg viele unterschiedliche Produkte herstellen, ohne erneut das Haus zum Einkauf verlassen zu müssen. Hinzu käme der finanzielle Vorteil, denn das Selbstmachen spare sogar Geld. Die Resonanz aus dem Publikum war durchweg positiv. Es gab viel Lob und auch Dank dafür, dass das „Fräulein Öko“ das umfangreiche Thema so einfach und simpel aufbereitet habe. Im Anschluss freute sie sich, viele Bücher signieren und ins persönliche Gespräch gehen zu können. Bei so viel guter Resonanz wundert es nicht, dass die zweite Auflage des Buchs bereits im Druck ist. Schon über dreitausend Exemplare gingen im ersten Monat über die virtuellen und echten Ladentheken – hoffentlich unverpackt.

Die nächste Lesung im Kreis mit Fräulein Öko findet Samstag, den 04.04.2020, 14:00 Uhr, zur Ernst-Ludwig-Buchmesse im kleinen Hörsaal des Max-Planck-Instituts, Parkstraße 1, Bad Nauheim, statt.

Leben aus der Mülltonne

Leben aus der Mülltonne

Das hört sich zunächst einmal nicht so appetitlich an. Man fühlt sich gleich an Oscar aus der Sesamstraße erinnert. „Ich mag Müll“ war sein Leitspruch, und er lebte in einer Mülltonne. Ich rede jedoch nicht vom Leben in, sondern aus einer Mülltonne. Doch von welchem Müll sprechen wir, und warum sollte man davon leben wollen? Nahezu 13 Millionen Tonnen Lebensmittel werden jährlich in der Bundesrepublik weggeworfen. Das klingt viel, doch wieviel das ist, wird erst greifbar, wenn man es in etwas Handliches umrechnet. Mit dieser Menge wären wir in der Lage, alle Menschen im Wetteraukreis zu ernähren, und im Vogelsbergkreis, und auch noch all die Menschen, die uns vom Nachbardorf Frankfurt mit der Gebietsreform 1972 geraubt wurden. Und zwar nicht nur ein Jahr, sondern bereits mit der Wegwerfmenge eines Jahres lebenslang! Zwei ganze Landkreise und dazu ein paar Dörfer des Altkreises! Also, ihr Harheimer, Nieder-Erlenbacher und Nieder-Eschbacher, wir revolutionieren unseren Umgang mit Nahrungsmitteln und ihr kommt ernährungsunkostenfrei wieder zurück zu uns.

Doch zurück zum Thema! Von welchen Mülltonnen sprechen wir? Zu 40 Prozent sind es privathaushaltliche Tonnen, in denen Tonnen von Lebensmitteln landen. Auf über 85 Kilogramm weggeworfenes Essen kommt ein Haushalt jährlich. Das sind nicht nur Reste auf dem Teller, auch in zu großen Dimensionen eingekaufte Lebensmittel, im Kühlschrank vergessene oder schlichtweg solche, die sich als weniger lecker entpuppt haben, als erwartet. Auf den ersten Blick zurecht zeigt die Politik mit dem Finger auf den Endverbraucher und sagt: „Die Wirtschaft ist nicht das Problem. Ihr Verbraucher müsst bewusster einkaufen!“ Bedarfsgerecht einzukaufen, keine „Sparpackungen“ verderblicher Lebensmittel zu erwerben und mit System, nämlich nach der Reihenfolge des zu erwartenden Verderbens, zu essen, sind Direktiven, an die sich der Verbraucher halten sollte. Dazu ist Aufklärungsarbeit nötig, vielleicht auch, den einen oder die andere sinnbildlich an die Hand zu nehmen, um zu zeigen, wie einfach und sogar schonend für den Geldbeutel das geht. Aber es ist eine Aufgabe, die Jahre intensiver Bemühungen bedarf, um Ergebnisse zu erzielen. Und genau deshalb ist es nur auf den ersten Blick zurecht, denn rasche Ergebnisse lassen sich ebenda erzielen, wo der Staat mit rechtlichen Vorgaben eine Handhabe hat. Sobald die Wohnungstür geschlossen ist, reduziert sich die Eingriffsbefugnis des Staates auf ein Minimum. Nicht so bei der Wirtschaft. Schließt der Landwirt seine Scheune, der Gastronom seine Küchentür und der Supermarktfilialleiter seine elektrische Schiebetür, kann der Staat sie einfach wieder öffnen lassen und regeln, was auch immer in der Politik mehrheitsfähig ist.

Frankreich hat es vorgemacht. Seit dem Jahr 2015 müssen große Supermärkte ihre Lebensmittel spenden und dürfen sie nicht mehr mit Chlor unbrauchbar machen und wegwerfen. Auch bei uns längst überfällig in Anbetracht von 200.000 Kindern, die selbst hier regelmäßig Hunger leiden. Die Tafeln sind bereits in Deutschland Anlaufstellen, um dem in einer freiwilligen gegenseitigen Vereinbarung Einhalt zu gebieten, dürfen jedoch gemäß ihres ersten Tafel-Grundsatzes nur annehmen, was nach den gesetzlichen Bestimmungen noch verwertbar ist. Der Rest wandert in die Tonne, wenn keine Lebensmittelretter lokal organisiert sind. Sonst bleibt nur das Containern, um zumindest seinen kleinen Anteil zu leisten. Davon kann man durchaus leben. Augenscheinlich fällt wenig Müll dort an, wo Lebensmittel lose verkauft werden, da der Abverkauf rechtzeitig mit Preisnachlässen gefördert werden kann. Viel fällt dort an, wo die Sparpackung sechs Tomaten in Plastik verschweißt anbietet. Wird eine faul, landen auch die anderen fünf im Müll. Original verpackt. Hier wäre es doch schön, wenn der Handel verpflichtet würde, die fünf guten Tomaten kostenlos abzugeben, statt sie in den Müll zu werfen. Wirklich Großes ließe sich bewegen, wenn auch Landwirten (krummes Gemüse), Lebensmittelverarbeitern (Produktionsüberschüsse) und der Gastronomie (Reste des Buffets), die immerhin 60 Prozent des Lebensmittelmülls verantworten, klare Regeln gegeben würden. Lebensmittel kostenfrei abzugeben, statt sie Oscar aufs Haupt zu werfen, klingt doch toll.

Bildquelle: Wikipedia USA