Mittwoch, 31. Mai 2017

Nicht Visch, nicht Vleisch!

„Was ich ja überhaupt nicht verstehe, ist, warum ihr Veganer Fleisch nachbilden müsst!“, sagte kürzlich jemand auf einer Geburtstagsfeier, als er erfuhr, dass extra für mich eine pflanzliche Alternative gekauft wurde. Ich gab meine Standardantwort: „Warum nicht?“ Es brauchte vier Jahre, bis ich dieses Glanzstück an Rhetorik entwickelt hatte. Früher versuchte ich, tatsächliche Argumente anzubringen: Das Festhaltenwollen an Gewohntem, dass ich ja nicht Form oder Geschmack von Fleisch ablehne, dass auch ein Fleischklößchen nicht rund ist, weil es aus Fleisch ist, sondern schlichtweg deshalb, weil es die einfachste Form ist, in die man eine Masse, ganz gleich ob fleischlich oder pflanzlich, nun einmal bringen kann, oder dass ein Hamburger-Patty nun einmal kreisförmig und flach sein muss, weil es sonst halt nicht in ein Softbrötchen passt. Man stelle sich nur vor, Patties seien pyramidenförmig. Tomate und Gurke würden herunterpurzeln, die Soße wie Lava an einem Vulkan herunterfließen und die Spitze durchbohrte grundsätzlich das Oberteil des Hamburger-Buns. Wenig erstrebenswert! Weder für Omnivore, noch für Herbivore! Es dauerte lang, bis ich den Grund solcher Fragen erkannt habe. Für viele sind Veganer so suspekt wie Baumumarmer - diese Menschen, die sich im Wald zärtlich an den Stamm einer großen Eiche kuscheln. Im Gegensatz zu Veganern fragt die Baumkuschler jedoch niemand, warum sie einen Menschen mit einer Eiche nachbilden. Für viele mag das eichenartig klingen, aber es gibt leider kein Schnitzelbäumchen oder einen Hähnchenschenkelstrauch. Beim Gang in den Supermarkt springen uns jedoch all diese Fleischersatzprodukte ins Auge, und man denkt sich: „Der Veganer isst den ganzen Tag Veggi-Schnitzel, Seitan-Thunfisch und  nagt an Soja-Hähnchenschenkeln am Knochen aus Holz. Wäre er doch nur so ein Baumumarmer! Die schnitzen ja auch keine Gesichter in die Bäume!“ Vorweg: Fleischersatz ist völlig in Ordnung. Er hilft Menschen auf Fleisch zu verzichten, ohne auf den Geschmack verzichten zu müssen. Das ist ein wenig wie alkoholfreies Bier. Das macht Trinken und Autofahren wieder zu Freunden, und der designierte Fahrer muss seinen Freunden abends nicht mehr traurig bei Mineralwasser zuschauen, wie sie lecker frisch gezapftes Pilsener genießen. Doch ist vegane Ernährung ebenso wenig durch das vegane Fleischersatzprodukt definiert wie italienische Küche durch die Packung Mirácoli oder das Grillen durch fertig marinierte Rippchen vom Discounter. Der ambitionierte Griller von heute mariniert Spare Ribs selbst, lässt sie stundenlang im Buchenrauch vor sich hin schmurgeln, bis ihr Fleisch fast von selbst vom Knochen rutscht. Der Liebhaber italienischer Küche füllt Saltimbocca mit echtem Parma-Schinken und mit Salbei aus dem eigenen Garten; er weiß: Pasta ist nur eine Vorspeise. Und der Veganer? Nun, der macht sich einen Strudel aus Polenta, füllt ihn mit herzhaftem Lauchgemüse und serviert ihn an Möhren-Süßkartoffelpüree zu einem Sößchen aus roter Beete. Gut, eine Gemüsepfanne mit Bohnen tuts auch. Wichtig ist nur: Fertigprodukte können das Leben zwar vereinfachen, aber ebenso wenig wie der Otto-Normal-Verzehrer auf sie angewiesen ist, machen sie die vegane Ernährung aus.  In den USA, den Meistern des Convenience Foods,  gibt es mit dem Impossible Burger übrigens einen pflanzlichen Patty, der vom tierischen Original nicht mehr zu unterscheiden ist. Vielleicht sagt eines Tages mal jemand: „Ich verstehe, warum ihr Fleisch nachbildet. Weil’s geht!“

Donnerstag, 18. Mai 2017

Im Plastik ist der Wurm drinnen

Demletzt war es in fast überall zu lesen: Eine kleine gefräßige Raupe frisst Plastik. Es sind die Larven der Großen Wachsmotte. „Die Entdeckung“, sagten die Wissenschaftler, „könnte ein wichtiges Mittel sein, um Polyethylen-Plastikmüll in Deponien und Ozeanen loszuwerden.“ Da fragt sich der geneigte Leser natürlich, ob wir künftig ein Raupenproblem haben werden. Vielleicht titeln die Medien in einigen Jahren: „Plastikstrudel in den Weltmeeren abgebaut - Wer rettet unsere Plastikboote vor den Raupen“ oder „Wieder ein Boot während der Überfahrt gefressen - Gibt uns unser Plastik zurück, Merkel!“ Natürlich wird die Kanzlerin, so sie denn im September an der Macht bleiben darf, wahrscheinlich nichts zur Entwicklung beigetragen haben, doch das hält ja auch heute schon niemand von einem abfälligen „Danke, Merkel!“ ab. Vermutlich werden die News zukünftig, wie auch heute, nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden - immerhin bestehen Boote für gewöhnlich nicht aus Polyethylen -, aber dennoch: Danke, Merkel! Die Frage, die sich im Kern stellt, ist natürlich, ob Wachsmotten schwimmen können und, falls sie es nicht können, aus welchem Material die Schwimmwesten sein werden, um sie aufs Meer und zum Plastikmüll zu bringen, ohne dass sie vorher absaufen. Ich hoffe nicht aus Kunststoff. Um den Fragenkern herum wickelt sich noch eine ganz andere Frage: Fressen sie es, weil es lecker ist oder nur weil sie nichts anderes haben. Im Experiment fütterten die Wissenschaftler sie ausschließlich damit. Zur Not frisst die Raupe Plastik, der Teufel Fliegen und selbst der Veganer, wenn er auf einer einsamen Insel leben muss, auf der es weder einen Veganz-Supermarkt, noch mit Gemüse- oder Obstpflanzen bestückte fruchtbare Böden, sondern nur einen Speer zur Fischjagd gibt, eben Seetang. Was ist aber, wenn die Raupen in Massen - nach Schwimmkursen oder eben in Mini-Schwimmwesten aus Kork gekleidet – auf dem Meer ausgesetzt werden und sie dann feststellen: „Oh, Freiheit! Endlich kein blödes Plastik mehr! Lasst uns Honig essen!“, denn das ist die natürliche Nahrung der possierlichen kleinen Tierchen. Nun mag die eine oder der andere in Umweltthemen Interessierte beruhigt abwinken und sagen, dass aufgrund des Bienensterbens bis dahin ohnehin nichts mehr da ist, was die Raupen fressen können. Aber wer sagt denn, dass sie dann den Veganern nicht den Agavendicksaft wegmümmeln? Alternativ könnten die Larven von Anglern eingefangen werden, denn immerhin werden sie normalerweise als Fischköder gezüchtet. Doch was wollen die Angler mit den Ködern denn fangen, wenn die Larven gar nicht im Meer fressen waren? Plastikfische? 100 Raupen fraßen im Experiment binnen zwölf Stunden 92 Milligramm Plastik. 80 Millionen Tonnen Polyethylen werden jährlich weltweit produziert. Wenn ich mich nicht verrechnet habe, dann braucht es 119 Billionen Raupen, um die Jahresproduktion zu fressen. Haben wir im Zweifelsfall so viele Angler? Natürlich kann man das Enzym, das das Plastik zersetzt, auch aus den Raupen extrahieren und sich dadurch sowohl die Ausbildung von Raupenschwimmlehrern als auch die Förderung von Angelsportvereinen aus Steuergeldern ersparen, doch ist das Plastik auch wirklich weg? Oder nur so weit zersetzt, dass wir es nicht mehr sehen? Ich weiß es nicht. Es muss noch geforscht werden. Bis dahin können wir uns ja bemühen, zukünftig keine 80 Millionen Tonnen mehr jährlich produzieren zu müssen. Und vielleicht schaffen es auch die Bienen. Danke, Merkel!!!1!

Dienstag, 9. Mai 2017

Mach dich mal sauber, Mann!

Das sagte ich zum Glück zu mir selbst. Ich musste von niemandem hören: „Ach, der riecht immer ein Bisschen! Ist ja so ein Öko!“. Immerhin steckt in meinem selbstgemachten Deo wohlriechendes Kokosfett. Olfaktorisch nimmt man mich daher eher wie eine riesige Kokosmakrone wahr und weniger so, dass man sich zu einem solchen Satz hingerissen fühlte. Als ich es so dahin sagte, ging es mir tatsächlich eher um innere Hygiene, darum all die Routinen, die ich im Laufe der Jahre angesammelt habe, dahingehend zu überprüfen, ob ich meine Zeit nicht sinnvoller verbringen kann. Minimalismus ist nicht nur das bewusste Reduzieren von Besitz und die Etablierung eines kritischen Konsums, es ist vor allem der Wunsch durch Vereinfachung und durch den Ausbruch aus dem Hamsterrad der Routine mehr bewusst erlebte, bereichernde Lebenszeit zu gewinnen. Bevor ich zu meinem eigenen Hamsterrad komme, muss ich anmerken, dass ich eine hohe Affinität zu Microsofts Excel habe, und von lückenlos geführten Grafiken ein erotischer Reiz für mich ausgeht. Es verwundert also nicht, dass ich eine seit neun Jahren geführte Tabelle habe, in der ich mein sonntäglich gemessenes Körpergewicht und meinen Körperfettgehalt aufzeichne. Das ergibt einen tollen Graphen. Hoch und runter geht er zwischen 80 und 100 Kilo. Hui, wie prickelnd! Warum mache ich das eigentlich nochmal? Nach einigem Grübeln: Im Jahr 2008 hatte ich wieder mit Muskelaufbautraining begonnen. Die Tabelle diente der Überprüfung, ob ich mit Training und Ernährung auf dem richtigen Weg bin. 2011 hatte ich meine Ziele geändert und wollte Langstreckenläufer werden. Inzwischen geht es mir mit Calisthenics um Kraft statt Masse. Die Tabelle ist also längst nicht mehr nötig. Ich führe sie dennoch. Und weshalb? Uns allen wohnt vermutlich ein Bedürfnis nach Kontinuität und Harmonie inne. Zumindest für mich war es schwer, diese Jahre lang lückenlos geführte Aufzeichnung enden zu lassen. Also führte ich sie weiter, ohne dass es den eigentlichen Grund noch gab. Letzte Woche habe ich mich überwunden: Die Tabelle wird nicht mehr weitergeführt. Meine Waage und mein Körperfettmessgerät habe ich sicherheitshalber verschenkt. Es hat lange gebraucht, das festzustellen, aber ich brauche kein Messgerät, das mir sagt, ob ich gesund bin. Das fühle ich. Ich brauche auch keine Waage, die mir sagt, ob ich mich innerhalb oder außerhalb der Norm befinde. Da reicht ein Spiegel, und ob ich an dem, was der Spiegel mir zeigt, etwas ändern sollte, das beantworten mir am besten Menschen, denen ich am Herzen liege. „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, schrieb Antoine de Saint-Exupéry in „Der kleine Prinz“, und damit hat er sehr recht. Lieber mehr Zeit mit Freunden verbringen, für die ich gut bin, so wie ich bin, als mit dem Befüllen von Exceltabellen mit Messwerten, die mir sagen, wie weit ich vom optimalen BMI, HWR, FFMI oder Normgewicht entfernt bin. Das ist es, was ich mit innerer Hygiene meine. Ich bin froh über diesen Schritt. Gelöscht habe ich die Tabelle noch nicht. Das wäre zu emotional, aber solch unsinnige Aufzeichnungen habe ich zum Glück nicht ohnehin nicht mehr. Jedenfalls wenn man von der Tabelle mit den monatlichen Kontoständen seit 2008 absieht, von der mit dem Verbrauch meines Autos seit 2010, der mit den Laufstrecken, Zeiten und Pulswerten seit 2011, der mit meinem monatlichen Stromverbrauch seit 2013, der mit meiner Kraftentwicklung seit 2015 … ich bin ein Hamster!

Montag, 8. Mai 2017

Neunundsechzigster Schritt: Reduzieren, reduzieren, reduzieren

Die Weltreligionen, die Kabbala und ein graues Unterhemd
Nach einem Monat voller Plastiksparen hat sich viel Lust darauf angehäuft, sich dem Thema Minimalismus mal wieder zuzuwenden – immerhin muss ich noch das eine oder andere loswerden, wenn ich mittelfristig die Vision eines Lebens im Mikrohaus umsetzen möchte. Eine kleine Kiste Klamotten habe ich aussortieren und für die Kleidersammlung bereitstellen können – nicht ganz so viel, wie ich gedacht hatte. Noch immer habe ich vergleichsweise viel Kleidung, und das obwohl ich nun das vierte Mal aussortiert habe. Der nächste Schritt wird sein, realistisch aufzulisten, wie viel von jedem Kleidungsstück ich tatsächlich benötige. Manches T-Shirt liegt nie oben auf dem Stapel, habe ich den Eindruck. Auch den Büchern habe ich mich wieder zugewandt. Trotz vieler wieder in den Regalen verbliebener Werke, die ich zwar mit Sicherheit nicht erneut lesen werde, aber irgendwie mit mir verknüpft bleiben wollen, habe ich eine Kiste füllen können, die der Pfarrer der Nachbargemeinde für seinen Bücherflohmarkt gerne entgegennimmt; immerhin war auch ein passendes Buch dabei: „Die Weltreligionen“. Dazwischen habe ich kleiner Schelm zwar auch einen bebilderten Kamasutra-Auszug versteckt, aber, hey, auch Christus aß nicht nur gesäuertes Brot.

Weder CDs, noch DVDs, aber auch aussortiert
Deutlich schwerer zu gehen, entpuppte sich der Schritt zu weniger CDs und DVDs. Ich komme mit elektronisch abgelegter Musik nicht wirklich zurecht. Ich habe meine kompletten CDs bereits digitalisiert. Anfangs waren sie nach Genre, später alphabetisch abgelegt. Leg mal nach Genres ab! Das ist gar nicht so einfach. Das meiste ließ sich nicht wirklich zuordnen und landete dann bei Rock und Pop. Super! Total hilfreich. Also sortierte ich nach dem Alphabet. Nur wer sagt schon: „Och, heute habe ich mal Lust auf Musik, die mit B beginnt“? Ich mag es, meine CD-Cover aneinandergereiht vor mir zu haben. Ich sehe die CD-Rücken. Sie wecken ein Gefühl dafür, welche Stimmung deren Musik in mir weckt. In Sekunden habe ich mein CD-Regal sondiert und wenige Zeit später meine Auswahl getroffen. Das schaffe ich mit dem Handy noch nicht. Vielleicht kommt es noch. Ich habe immerhin schon einen Bluetooth-Receiver für die Stereo-Anlage gekauft (so viel zum Thema Reduktion).
Meine DVDs wollte ich ebenfalls reduzieren. „Ein Hund namens Beethoven“ neben „Highlander“ und „Reservoir Dogs“; da fiel es mir leicht, Auszusortierendes zu identifizieren. Ich bekam den Tipp, Momox und Rebuy mal zu testen. Tat ich. Eine halbe Stunde hatte ich damit verbracht, jene DVDs einzuscannen. Die eine Hälfte der 20 Videos war nicht gelistet, für die andere hätte ich vier Euro noch was bekommen. Insgesamt! Ich habe sie wieder eingeräumt. Lieber verschenke ich sie, als dass ich 18 Stunden – zugegeben teils zweifelhafter – cineastischer Unterhaltung für das Equivalent eines Falafel-Sandwiches plus Kaltgetränk weggebe.

Und gleich isse wech!
Warum überhaupt weggeben? Nur des Mikrohauses wegen? Nein, der Hauptgrund ist unabhängig davon: Es sind Rohstoffe - Unmengen davon -, die in unseren Haushalten vorhanden sind, doch ungenutzt. Kleidung kann weitergenutzt, aber auch recycelt werden. Finden Bücher keinen Leser, so sind sie – auch wenn es mir als Bücherfreund wehtäte – immerhin Altpapier, für das kein Baum gefällt werden muss. Und die goldenen Scheiben – ganz ähnlich wie bei den Büchern: Findet sich kein Sammler, so ist es jedenfalls besser, das Polycarbonat wird recycelt als in meinem Schrank aufbewahrt. Ich muss also nochmal ran,
Wirklich und uneingeschränkt erfolgreich war ich mit dem letzten Schritt: Ich habe ich meine Waage und mein Körperfettmessgerät verschenkt. Zu diesem nicht ganz einfachen Schritt gibt es eine etwas neurotische Vergangenheit, die ihr gerne in meiner Kolumne nachlesen könnt, wenn ihr wollt. Viel Spaß.