Dienstag, 18. August 2020

Monetäre Impfung

Monetäre Impfung

Der Urlaub ist vorbei. Es war eine schöne Zeit, die ich ein Jahr nicht mehr haben möchte. Was?, denkst du dir jetzt, liebe Leserin, lieber Leser. Schöne Zeit? Nicht mehr haben möchten? Ein Widerspruch? Ich erkläre mich. Das dritte Jahr lebe ich nun nach genügsamen Lebensprinzipien. Ich gehe kaum zum Bäcker, denn ich backe selbst, selten ins Restaurant, denn ich koche zu Hause, und kaufe mir nichts, das ich nicht unbedingt brauche, denn ich überlege zweimal, ob ich es wirklich benötige. Dadurch spare ich viel von meinem Geld und baue mir Möglichkeiten für die Zukunft auf – wie auch immer sie aussehen mögen. Ich habe mich an diesen Lebensstil gewöhnt, und er fällt mir die meiste Zeit meines Lebens leicht. Gefühlt nach einem Jahr kommt bei mir jedoch der Drang auf zu konsumieren. Ich merke es daran, dass das Zweimalüberlegen schleichend zum Einmalüberlegen übergeht und letztlich beim Keinmalüberlegen landet. Wie kürzlich, als ich ein bestimmtes Trainingsgerät kaufen wollte, dass derzeit nirgendwo einzeln zu haben ist, weil es offenbar alle zu Zeiten von Corona im home gym haben wollen. Letztlich habe ich mir dann ein Set gekauft, das die begehrte Hantelstange enthielt, jedoch auch eine weitere, die ich bereits habe. Sie lag seitdem verpackt hinter meiner Hantelablage. Damit war klar: Es ist Zeit für Urlaub und für eine monetäre Impfauffrischung!

Erinnert sich jemand an den Film „Zum Teufel mit den Kohlen“ mit Richard Pryor und John Candy in den Hauptrollen? Darin soll Montgomery Brewster 30 Millionen US-Dollar binnen eines Monats ausgeben, um 300 Millionen zu erben. Bedingung: Er darf niemandem davon erzählen und nach Ablauf nicht mehr besitzen als zuvor. So ähnlich halte ich es auch. Also habe ich meine erwachsenen Kinder und meine Lebensgefährtin ins Auto gepackt und bin eine Woche an den Bodensee gefahren. Wir waren täglich essen, nirgendwo habe ich die günstigeren Online-Tickets gekauft und selbst bei der Schifffahrt auf dem Bodensee – ich hätte auch Personenfähre schreiben können, doch als mit der „alten“ Rechtschreibung Aufgewachsener liebe ich diese drei f – habe ich Einzelfahrten gekauft. Der Sohn möchte ein Filetsteak in der Herrenausführung? Kein Problem! Die Tochter verlangt nach einer Tüte mit süßem Gebäck? Gerne! Darfs noch eins mehr sein? Der Autor selbst möchte teure Bio-Nüsschen essen? Wohl bekomm’s - 600 Gramm wurden es! Es gipfelte darin, dass wir sogar in der Schweiz essen waren. In einem türkischen Imbiss. Es gab je ein Dürüm zum Preis eines gut bürgerlichen Drei-Gang-Menüs in der Wetterau. Nur die Freundin hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jeder Versuch, sie auszuhalten, mündete in einer PayPal-Überweisung auf mein Konto. Das konnte jedoch nicht verhindern, dass ich das Fünffache dessen verschleuderte, das ich sonst so nebenher ausgebe.

Was soll ich sagen? Obwohl ich weiß, was ich damit bezwecke, funktioniert es jedes Mal von Neuem. Allein die Vorstellung, Essen zu gehen, lässt meine Nackenhaare, nun, da ich zurück bin, sträuben, schon zweimal habe ich wieder Brot gebacken, und selbst die überzählige Hantelstange ist verkauft. Bereut habe ich es nicht. Allenthalben, dass mich die versehentliche Einwahl in ein österreichisches Mobiltelefonnetz während meines Aufenthalts auf der deutschen Seite des Bodensees fast 50 Euro gekostet hat. Für das Geld hätte ich viel lieber ein leckeres Falafelsandwich am Rheinfall gesessen und möglicherweise sogar ein Getränk dazu zahlen können. Beim nächsten Impfen vielleicht.

Sonntag, 16. August 2020

Der Mohr sollte seine Schuldigkeit getan haben ...

Der Mohr sollte seine Schuldigkeit getan haben ...

Gestern fand fast direkt vor meinem Wohnzimmerfenster eine Demonstration statt, um auf Alltagsrassismus aufmerksam zu machen. Kern der Demonstration und Grund für den gewählten Ort war die dort befindliche Apotheke "Zum Mohren". Die Anmelder fühlen sich durch den Begriff "Mohr" rassistisch beleidigt. Kann ich das nachvollziehen? Nein! Wie denn auch? Ich bin weiß. Ich leide nicht unter Alltagsrassismus, wurde noch nie in meinem eigenen Land gefragt, wo ich herkomme, und kenne nicht einmal ein Wort, das Weiße wie mich generell zu beleidigen gedacht oder geeignet ist. Würde ich mich beleidigt fühlen, wenn es die "Kraut"-Apotheke und als Logo eine überzeichnete Karikatur eines Deutschen gäbe? Ich weiß es nicht, denn "die Krauts" hat man vermutlich seit Ende des zweiten Weltkrieges nicht mehr als Bezeichnung für Deutsche gehört. Habe ich ausreichend emotionale Intelligenz und Empathie, um mir vorstellen zu können, dass sich Menschen dunkler Hautfarbe dadurch getriggert fühlen können? Ja, absolut. Wer bin ich, daran zu zweifeln, wenn ich es nicht einmal schaffe, mich in die Situation hineinzuversetzen?

Um auf so etwas aufmerksam zu machen, gibt es das Demonstrationsrecht. Finde ich es gut, dass jemand seine Meinung frei sagen  und sich dazu unter freiem Himmel mit anderen versammeln darf? Ja, natürlich. Ich bin Demokrat, und die Menschenrechte sind die schützenswerteste Errungenschaft, auf die wir noch dazu wirklich mal stolz sein dürfen. Ist es okay, wenn Andersdenkende ebenfalls bei einer solchen Demonstration zugegen sind und dafür eintreten, dass ein Name wie "Mohren-Apotheke" beibehalten wird? Ja, ich finde es aus demokratischer und menschenrechtlicher Sicht absolut wichtig, dass ein Diskurs möglich ist. Kann ich es nachvollziehen, dass sich Menschen dazu stellen und anscheinend wissen, was selbst Gerichte nicht letztinstanzlich festgestellt haben, nämlich, ob "Mohr" grundsätzlich rassistisch ist oder ob die Bezeichnung nur kontextbezogen bewertet werden und somit beides sein kann? Nein, das vermag ich, wie oben dargelegt, nicht. Ich bin weiß. Ich bin in mehrfacher Hinsicht privilegiert in diesem, meinem Land. Bei vielen anderen ist das leider nicht so, obwohl es nicht minder ihr Land ist, wie es das meine ist, wie im heutigen Online-Artikel der Wetterauer Zeitung zu lesen war.

Wer nicht glaubt, dass es Alltagsrassismus gibt, dem empfehle ich einen Blick in die Kommentare zu diesem Artikel auf der Facebookseite der Wetterauer Zeitung. 42 von zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Blogs 135 Reaktionen waren lachende Smileys. Offenbar schafft es fast ein Drittel der Reagierenden ebenfalls nicht, nachzuvollziehen, dass man sich rassistisch beleidigt fühlen kann, bemüht sich allerdings offenbar auch nicht und kann nur auf Spott zurückgreifen und Menschen der Lächerlichkeit preisgeben, die sie nicht verstehen. Noch armseliger ist es, was sich in den 177 Kommentaren findet:

"Vielleicht haben die nichts anderes zu tun?", schreibt eine. Ich als Bürger des Landes der Dichter und Denker vermag mir zumindest vorzustellen, dass es Menschen gibt, denen das zu diesem Zeitpunkt das Wichtigste sein könnte, selbst wenn sie anderes zu tun gehabt hätten, zum Beispiel sich stets zu erklären, wo sie herkommen, und die dafür einstehen wollen, dass künftige Generationen das vielleicht nicht erleiden müssen, wie die nachfolgenden Beispiele eindrücklich belegen.

"Und wem es hier nicht passt soll einfach nachhause gehen. Wenn wir in deren Land wären hätte. Wir garnichts zu lachen" und "Wenn es ihnen in Deutschland nicht passt oder nicht nach ihrem Kopf geht dann sollen sie bitte wieder zurück in ihre Länder gehen", schreiben andere. Bedenkt man, dass das Versammlungsrecht nur Deutschen zusteht, wird klar, wie diese Autoren Menschen anderer Hautfarbe sehen.

"Jeder einzelne muss wegen Rufmord, Geschäftsschädigung, Verschwendung von Steuergeldern und das nicht einhalten der Corana Verhaltensregeln, hart verurteilt werden", schreibt ein anderer. Als Demokrat bin ich da etwas anderer Auffassung. Ich finde es gut, dass wir eine Gewaltenteilung haben,  es den Gerichten vorbehalten ist, Recht zu sprechen und nicht bereits die Meinung einzelner zur Aushebelung des Grundgesetzes führt.

"Eine Frage, welchen Namen soll sich eine Fam. aussuchen , die Mohr heißt, auch seit Generationen, ev. Schczubowski, oder Õzdemir ?", fragt eine andere und ein weiterer gipfelt in der Feststellung: "Würden die alle mehr arbeiten dann hätten sie keine Lust auf Demo!"

Nach all diesen Worten ist mir eines klar geworden: Wer solche Sätze alltäglich hört, dem tut wahrscheinlich auch der alltägliche Blick auf den Mohr auf Apothekenschildern, Schokoladentafeln oder Schaumspeisen inzwischen weh. Rassismus ist kein Gespenst, sondern Alltag.

Der Mohr sollte offenkundig seine Schuldigkeit getan haben ... und vielleicht besser aus unserem Alltag sprachlich und bildlich entfernt werden (frei nach Shakespeare).



Bildquelle: Von unbekannt - nicht angegeben, Logo, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=2378999

Dienstag, 4. August 2020

Der Wasserstoff, aus dem die Helden sind

Der Wasserstoff, aus dem die Helden sind
Der Wasserstoff, aus dem die Helden sind

Ich bin sicher, dass manches nur deshalb nicht optimal läuft, weil die mit den besten Ideen nur in den seltensten Fällen auch die mit dem meisten Geld oder der erfolgreichsten Lobby-Arbeit sind. Wie damals bei der VHS-Kassette – die vor 1995 geborenen werden sich erinnern. Betamax hatte die bessere Qualität, Video 2000 ein Vielfaches an Aufzeichnungskapazität und dennoch setzte sich JVCs Video Home System (VHS) durch. Warum? JVC hatte mit Geld gelockt – in Form günstigerer Lizenzgebühren – und sofort mit der Pornofilmindustrie geliebäugelt. „Geiz ist geil“ bekommt da eine ganz andere Konnotation und ist offenbar ein Erfolgsrezept. Ähnlich läuft es bei mit Wasserstoff betriebenen Fahrzeugen. Bereits 1804 hatte Isaac de Rivaz den ersten Wagen mit Wasserstoff-Verbrennungsmotor entwickelt, doch selbst das 35 Jahre später entwickelte erste Elektrofahrzeug von Robert Anderson konnte nicht verhindern, dass sich der ein viertel Jahrhundert später patentierte Ottomotor durchsetzte. Weil Carl Benz‘ Patent-Motorwagen Nummer 1 damals diese Technik gewählt hatte. 

Wie könnte die Welt heute sein, wenn der erfolgreiche Badener auf Wasserstofftechnologie gesetzt und diese sich dadurch kontinuierlich weiterentwickelt hätte? Möglicherweise wäre der überwiegende Großteil des Verkehrs nahezu emissionsfrei, und wir hätten nicht in den Jahren seit der Erfindung des Automobils allein in Deutschland bis zu 30 Tonnen Kohlendioxid in die Luft geblasen. Vielleicht wären Wasser-, Windkraft- und Solaranlagen heute durchgängig fähig, ihre überschüssige Energie durch die Gewinnung des energiereichen Gases aus Wasser zu speichern, statt sie einfach ungenutzt verpuffen zu lassen. Ganz gewiss wäre heute das wasserstoffbetriebene Fahrzeug günstiger als das Benzin- oder Dieselfahrzeug, und einen Sportwagen emissionsfrei zu fahren, würde von der Scham, die Umwelt damit zu schädigen, befreit sein. Selbst einen Begriff wie Flugscham würde man in dieser Welt umsonst im Duden suchen. Denn während in unserer das erste Wasserstoffflugzeug im Jahr 2016 testweise in Deutschland mit Erfolg abgehoben war – die Hy4 des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt –, wären in meiner Wasserstoffutopie Linienmaschinen unterwegs. Die gesamte Energiegewinnung würde sich auf Wasserstoff konzentrieren: Industrie, Haushalte, Handel und Gewerbe – sie alle würden nicht mit fossilen Brennstoffen arbeiten.  Erneuerbare Energiequellen würden den nötigen Strom erzeugen, um Wasserstoff zu gewinnen, mit dem die Elektromotoren der Welt betrieben würden. Das würde zwangsläufig dazu führen, dass der Mensch in meiner Utopie nur den Kopf darüber schütteln würde, wie ineffizient die Elektromotoren und wie riesig die Akkus in unserer aus dessen Sicht dystopischen Spiegelwelt doch sind. In Saudi-Arabien würde kein Öl gefördert, sondern von Solarmodulen, soweit das Auge reicht, dominiert sein. Der Ruhrpott wäre nicht für seine kohlegeschwärzten Kumpels bekannt, sondern für die Rhein-Ruhr-Wassergas AG. „Hambi bleibt!“ wäre kein Slogan. Greta Thunberg hätte früher Abitur gemacht, denn das Wort Klimakrise würde in der Weltpolitik unbekannt sein. Ich selbst würde jährlich zahlreiche Fernreisen unternehmen – natürlich mit dem Flugzeug, und Eisbären in ihren unendlichen Jagdgründen beim Robbenfang zuschauen, derweil mein flotter Sportwagen ganz sexy in der Garage auf mich wartet. 

Was mache ich stattdessen? Ich trauere der Videokassette nach, während ich bei 30 Grad in meinem Dachgeschoss Texte für Kolumnen schreibe.


Bildrechte: High Contrast - Eigenes Werk, CC BY 3.0 de