Dienstag, 22. Dezember 2020
Dienstag, 24. November 2020
Wir sind alle dumme Hunde
Wir sind alle dumme Hunde |
Wie schnell fällt ein böses Wort: Dreckschwein! Blöde Kuh! Warum eigentlich Tiernamen? Würden Drecksmensch oder blöder Mensch nicht auch funktionieren? Der zu Beleidigende wäre dann aber noch immer gleich hoch auf der Darwin’schen Erfolgsleiter, das Tier in unseren Augen nicht. Also: „Dreckschwein!“ Dass dies nicht der Realität entspricht, stört wenig. Gibt man Schweinen ausreichend Platz, so richten sie sich sogar eine Toilettenecke ein. Sie können nicht minder stubenrein werden wie Katzen. Also „Blöde Kuh“? Jeder Landwirt kann bestätigen, dass Rinder nicht nur Hebel betätigen können, um Wasser in einen Trog laufen zu lassen, sondern auch Öffnungsmechanismen von Stalltüren recht schnell verstehen. Mehr noch: Im Journal „Animal Behavior and Cognition“ wurde 2017 das Paper „The Psychology of Cows“ veröffentlicht, das Rindern sogar „Heureka“-Momente bescheinigt, wenn kniffelige Aufgaben gelöst werden. Das ist alles andere als dumm.
Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt, denken Sie jetzt vielleicht. Dieser Ausdruck ist übrigens einem Abenteuer Till Eulenspiegels entsprungen. Till hatte Arbeit bei einem Bierbrauer, dessen Hund den Namen "Hopf" trug. Als der Braumeister ihn anwies, sorgfältig den Hopfen zu sieden, landete der Hund in der Braupfanne. Eulenspiegel verlor daraufhin seinen Job und der Hund gewann die kurze Erkenntnis, dass er nicht gleichwertig ist. Dummer Hund? Würde eine wertschätzende Sprache zu einem veränderten Tierwert führen? Hier landen Schweine und Kühe in Pfannen. Würden wir sie besser behandeln oder den Konsum einschränken, wenn es die „schlaue Kuh“ oder das „saubere Schwein“ in unsere Sprache schaffen würden? Die Forschung im Bereich der gendergerechten Sprache legt das nahe. In der Studie „Yes I can! Effects of gender fair job descriptions on children’s perceptions of job status, job difficulty, and vocational self-efficacy“, veröffentlich 2015 im Journal Social Psychology, wurden Kindern überwiegend männlich konnotierte Berufsbezeichnungen wie Maurer, typisch weibliche wie Kosmetikerin und neutrale wie Sänger vorgestellt. Eine Gruppe wurde mit dem Maskulinum („Ärzte heilen Krankheiten“) konfrontiert, die andere mit der Paarform („Ärzte und Ärztinnen heilen Krankheiten“). Im Ergebnis trauten sich Mädchen die Berufe eher zu, die auch die weibliche Form benannt hatten.
Dass Sprache nicht nur Unterschiede schafft, sondern auch Gewalt, legt eine weitere Studie nahe. In der 2011 in Public Library of Science (PLOS ONE) publizierten Studie „Metaphors We Think With: The Role of Metaphor in Reasoning“ wurden Probanden zwei Versionen eines Textes vorgelegt, in der das Kriminalitätsproblem einer fiktiven Stadt beschrieben wurde. Sie unterschieden sich nur darin, dass die Kriminalität in der einen als "wildes Tier" und in der anderen als "Virus" bezeichnet wurde. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten Vorschläge zur Verbrechensreduzierung machen. Die Wildes-Tier-Gruppe plädierte eher dafür, Verbrecher hartnäckig zu jagen und strengere Gesetze zu erlassen, die Virus-Gruppe mehr dafür, die Ursachen zu erforschen sowie Armut zu bekämpfen und Bildung zu verbessern. Erstaunlich ist, dass beide Gruppen die Kriminalstatistik als Grund für ihre Entscheidung anführten; die war jedoch in beiden Texten gleich hoch. Wenn Ihnen das nun spanisch vorkommt oder sie die Studien gar für getürkt halten, haben Sie, so hoffe ich, kaum ausgesprochen, erkannt, dass „dummer Hund“ nicht das einzige Problem unserer Sprache ist. Schwein gehabt!
Bildrechte: Lizensiert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic and 1.0 Generic license.
Dienstag, 10. November 2020
Atomtransporte nach Biblis - eine strahlende Zukunft
Atomtransporte nach Biblis - eine strahlende Zukunft |
Mittwoch war er im stillgelegten Atomkraftwerk Biblis angekommen, der erste Transport von Atommüll seit neun Jahren. Eigentlich sollte das schon im März geschehen sein. Doch damals wollte man das den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Hinblick auf die Pandemie nicht antun. Weit über sechstausend hätten den Transport der Castoren sichern sollen. Wenn schon nicht die Strahlenbelastung, so wollte man doch wenigstens eine Ansteckung mit Corona vermeiden. Immerhin hatten wir damals dieselbe Zahl an täglichen Neuinfektionen wie potenziell einzusetzende Polizeikräfte. Just in der Woche des bundesweiten Inkrafttretens der strengeren Lockdown-Coronaregeln und einen Tag, bevor die Marke von 20.000 Neuinfektionen mit COVID-19 durchbrochen wurde, fand der Transport dann doch statt. Verstehe einer, weshalb die Corona-Gefahr nun akzeptabel ist. Wäre ich ein Verschwörungstheoretiker, könnte ich die These verbreiten, dass die Strahlung negativ auf das Virus wirkt. Schon damals, als es nach Gorleben ging, hatte Greenpeace am Verladebahnhof Dannenberg gemessen, welche Strahlung von den Behältern ausgeht. Die Gammastrahlung war in 14 Metern Entfernung 40-mal höher als sonst und die Neutronenstrahlung 480-mal höher. Diese auf Nicht-Kernphysiker erschreckend wirkenden Werte liegen innerhalb der Grenzwerte des Bundesamts für Strahlenschutz für die Transporte. Offenbar halten Polizeibeamte einiges aus, das Corona-Virus vermeintlich weniger.
30 Terawattstunden an Kernenergie hat die Bundesrepublik im ersten Halbjahr 2020 produziert. Das entspricht 12,1 Prozent der Gesamtproduktion. Irgendwo muss man mit den abgebrannten Brennelementen hin. Wohin ist unklar. Genau deshalb gibt es Zwischenlager. Aktuell lagern in Biblis 108 Castoren mit Atommüll aus Biblis und drei anderen deutschen Kernkraftwerken sowie seit Mittwoch sechs weiteren Behältern aus Großbritannien. Was? Warum lagern wir britischen Atommüll hier?, höre ich es nun rufen. Nein, tun wir nicht. Es ist unserer. Im cumbrischen Sellafield an der Irischen See, von wo die Brennstäbe stammen, wird die Wiederaufarbeitungsanlage THORP betrieben, in erster Linie zum Zweck der Aufarbeitung von ausländischem Atomabfall. Deutsche Atomkraftwerke sind eine der wichtigsten Kunden. Die zweite in Westeuropa steht im französischen La Hague – auch dort sind wir der mit Abstand größte Kunde und ein Transport steht an. Wiederaufarbeitung klingt sehr grün, wie strahlendes Neon-Grün quasi, ist aber Green-Washing oder besser: Strahlend-Neon-Green-Washing. Nur wenige Prozent des Atommülls werden tatsächlich in neuen Brennstäben wiederverwendet, der Rest muss zwischengelagert werden, bestenfalls dort, wo er herkommt. Wir produzieren also hier gefährliche Abfälle, transportieren sie quer durch Europa, um sie unzureichend recyceln zu lassen und sodann unter den gleichen Gefahren wieder zurückzubringen. In ein Zwischenlager! Ohne ein Endlager zu haben. Selbiges soll bis zum Jahr 2031 gefunden und bis zum Jahr 2050 fertiggestellt sein. Die Genehmigung für das Zwischenlager in Biblis läuft übrigens vier Jahre vorher aus. Deutschlandweit sind mehr als 1.200 Castor-Behälter im Einsatz, teilweise schon seit Jahrzehnten. Wir werden also noch eine ganze Weile für dieses Vermächtnis energetischer Allmachtphantasien radioaktive Erbschaftssteuer zahlen müssen. Biblis hat übrigens eine Genehmigung für 135 Behälter. Macht euch also bereit für eine „strahlende Zukunft“, ihr Polizeibeamte und Corona-Viren! Ihr anderen: Bitte Ökostrom beziehen!
Bildrechte: Alexander Hoernigk - Eigenes Werk, CC-BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15059586
Dienstag, 27. Oktober 2020
Klimakiller Heizpilz
Klimakiller Heizpilz |
Im Januar des Jahres hatte ich gelesen, dass der Frankfurter Magistrat die Nutzung von Heizpilzen in der Gastronomie untersagen will. Ich hatte mir das extra notiert, um meine Gedanken dazu in der Kolumne zu vertiefen und bereits vorrecherchiert. Ein Gas-Heizpilz mit durchschnittlicher Leistung verursacht zwei bis drei Kilogramm CO2 pro Stunde, ein elektrisch betriebener bis zum Vierfachen dessen. Bei einer angenommenen täglichen Nutzung über zwölf Stunden auf insgesamt vier kalte Monate entspräche das dem CO2-Ausstoß eines mittelalten PKW einer Laufleistung von 20.000 Kilometern – selbst wenn Montag Ruhetag wäre.
Ich finde das erschreckend, wenn man bedenkt, dass der Heizpilz in der Gastronomie des Rhein-Main-Gebiets zum Standard wurde, als vor 13 Jahren das hessische Rauchverbot in Kraft trat. Das ist dreifach tragisch. Die Gastronomen wollten die Raucher verständlicherweise nicht an die kleinen Lokale verlieren, in denen noch geraucht werden darf, erhöhen dadurch ihre Ausgaben – ein Heizpilz mit 12 Kilowatt verbraucht stündlich zirka 1.000 Gramm Gas; bei unserem Rechenbeispiel kommen da jährlich über 1.800 Euro Kosten zusammen –, schädigen als Nebeneffekt die Umwelt und erschweren ungewollt genau das, was mit dem Nichtraucherschutzgesetz auch erreicht werden kann: Menschen vom Rauchen abzubringen. Erfreulicherweise hat das insbesondere die regelmäßig erhöhte Tabaksteuer nicht abhalten können, den gewünschten Effekt zu erreichen. Gut 14 Milliarden Euro Steuereinnahmen durch Raucher stehen jedoch 80 Milliarden direkten und indirekten Kosten des Gesundheitssystems gegenüber, wie eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums 2015 vorgerechnet hatte. Heute kostet eine Schachtel mit 20 Zigaretten sieben Euro, gut 29 müsste sie kosten, wenn die verursachten Schäden ausgeglichen werden sollen. Aber ich schweife ab. Zurück zum Heizpilz.
Als die Corona-Pandemie begann, geriet nicht nur mein Thema für die Kolumne, sondern auch der Plan zur Verbannung von Heizpilzen in der Gastronomie in den Hintergrund und die Eindämmung der Virusverbreitung rückte in den Fokus. Kürzlich stellte das Ordnungsdezernat klar, dass die Nutzung zur Unterstützung der Gastronomie auch weiter erlaubt bliebe. In Städten wie Nürnberg, Tübingen und Hannover war die Nutzung von Heizpilzen untersagt, in anderen wie München und Berlin galten zumindest Beschränkungen. Nürnberg hat das Verbot inzwischen ausgesetzt, und auch in den anderen Städten wird darüber diskutiert.
Am Montag plane ich auf der Zeil zum Mittagessen zu gehen. Maskiert werde ich zum Restaurant gehen und im Freien sitzen, um möglichst wenig Aerosolen ausgesetzt zu sein. Welche Möglichkeiten hat eine Gastronomin oder ein Gastronom, mir den Aufenthalt möglichst warm zu machen? Eine Decke? Sie würde nach meiner Nutzung, um dem Hygienekonzept Folge zu leisten, keinem weiteren Gast gegeben werden können, sondern müsste gewaschen werden. Sicher keine Alternative in Anbetracht des Verbrauchs einer Waschmaschine. Also bleibt nur der Heizpilz, denn wer friert schon gerne. Wir sind in einer Ausnahmesituation. Wir müssen es der Gastronomie ermöglichen, trotz durch die Abstandsregelung verringerter Zahl an Plätzen ein Einkommen zu generieren, das die Betreiber vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch rettet. Gut eine halbe Million Menschen sind in Deutschland in der Gastronomie beschäftigt. Gingen zwanzig Prozent von ihnen in die Arbeitslosigkeit kostete das den Staat 1,2 Milliarden Euro im Jahr, vom durchschnittlichen Arbeitslosengeld von eintausend Euro monatlich ausgehend. Diese Summe beispielsweise bei https://www.iplantatree.org/ in das Pflanzen von Bäumen investiert, entspräche über 400 Millionen Bäumen. Was will ich damit sagen? Sollte ich Montag unter einem Heizpilz sitzen, lasse ich anderenorts einen Baum pflanzen. Die drei Euro sind mir der Gastronom und die Umwelt mindestens wert.
Bildrechte: Urban Explorer Hamburg - Heizpilz am Waldesrand auf flickr, CC BY 2.0
Dienstag, 13. Oktober 2020
Wasser im Schrank
Wasser im Schrank |
Als ich vor sieben Jahren und damit hoch in meinen Dreißigern erstmals ernsthaften Gedanken über mich und meine Umwelt auch ernsthafte Taten folgen ließ, war mein Fokus rasch auf meinen Kleiderschrank gefallen. Mittlerweile legendär gewordene sieben Kleiderschranktüren hatte ich seinerzeit öffnen und ausschließlich meine Kleidungsstücke finden können. Wäre es nicht sinnvoller, das, was ich nicht trage, wegzugeben, damit es vielleicht wieder getragen wird?, war damals mein treibender Gedanke. Im Papier „Wegwerfware Kleidung“ hatte Greenpeace im November 2015 das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage präsentiert. Demnach wird jedes fünfte Kleidungsstück so gut wie nie getragen. Das sind eine Milliarde Kleidungsstücke, die ungenutzt in deutschen Schränken liegen. Ein überproportionaler Anteil war hinter meinen oben genannten Türen zu finden. Dann habe ich auszusortieren begonnen. Säckeweise besuchte ich den Kleiderladen des Deutschen Roten Kreuzes. Heute belagere ich nur noch zwei der sieben Türen, und die oberen zwei Fächer sind nicht einmal mit Kleidung belegt. Im Durchschnitt, weiß Greenpeace, besitzt jede erwachsene Person in Deutschland 95 Kleidungsstücke - ohne Unterwäsche und Socken. Dort bin ich seitdem auch angelangt – darunter allerdings Exoten wie eine Mittelaltermontur, ein Zaubererumhang und eine Schneehose. Dass ich im Schnitt bleibe, schaffe ich mit der Devise „Eins kommt, eins geht!“
Gerade auf Festivals ist es manchmal schwer, sich entweder kein Erinnerungsshirt mitzunehmen oder eines der daheimgebliebenen Shirts auszusortieren. Da die meisten Kleidungsstücke allerdings zehn Jahre und älter sind, macht der irreparable Verschleiß es mir manchmal einfach. Auf Festivals traf ich oft auf die Helferinnen und Helfer des Hamburger Vereins „Viva con Agua“, die Pfandbecher einsammeln und vom Erlös beispielsweise den Brunnenbau in Afrika unterstützen. Das ist ein tolles Projekt, dessen Verbindung zu den Festivalshirts, wie ich gleich zeige, weit über die augenscheinliche lokale Gemeinsamkeit hinausgeht. Ein weiterer Verein, der sich mit Wasser auseinandersetzt, ist „Drip by Drip“ aus Berlin. Hier steht im Fokus, welchen Wasserverbrauch die Textilindustrie verursacht. Allein eine Jeans kommt auf unglaubliche achttausend Liter für den Anbau der Baumwolle sowie die Wasch- und Färbeprozesse. Gerade in Anbaugebieten wie China und Indien oder Weiterverarbeitungsregionen wie Bangladesch hat das merkliche Auswirkungen auf die Lebensqualität der Bevölkerung. Der hohe Wasserverbrauch beim Baumwollanbau führte unter anderem zum Austrocknen des Aralsees. Insgesamt 6.500 verschiedene Chemikalien sind bei der Textilveredelung im Einsatz und werden gerade in asiatischen Billiglohnländern größtenteils ungefiltert über Abwässer entsorgt. Im Waterplaybook (https://waterplaybook.net/) von „Drip by Drip“ kann man prüfen, wie viel Wasser in der Produktion des eigenen Kleiderbestandes steckt. 122.400 Liter sind für meinen Schrankinhalt geflossen, und das sind nur 60 Prozent des Inhalts, da einige Kleidungsstücke nicht aufgeführt sind. Wahrscheinlich sind es über 200.000. Davon könnten einhundert Menschen fast drei Jahre lang ihren Trinkwasserbedarf decken.
Was bedeutet das? Keine Kleidung mehr tragen und mehr trinken? Nein, aber vielleicht mehr Second Hand kaufen, öfter reparieren lassen und weniger auf kurzlebige Trends setzen. Ich schaue jetzt nochmal in meinen Schrank. Ich muss ein ernstes Gespräch mit meinem zerschlissenen Abi-Shirt von 1995 führen.
Bildrechte: AleXXw, CC BY-SA 3.0 at
Sonntag, 11. Oktober 2020
Dienstag, 15. September 2020
Innenstadtbelebung
Innenstadtbelebung |
Wenn ich aus meinem Wohnzimmerfenster heraus auf die Friedberger Kaiserstraße schaue, frage ich mich oft, was gemacht werden kann, um die Leerstände zu bekämpfen und die Einkaufskultur zu beleben. Das ist ein Nachhaltigkeitsthema! Ganz gewiss! Jede Ware, die ich hier erwerben kann, muss ich nicht von weiter weg kaufen. Und dabei ist es gar nicht mal so sehr erheblich, ob ich bis Gießen oder Frankfurt fahren muss, um einzukaufen, oder mein Begehr über einen der Onlineshops stille. Was ich mit dem einen Weg über meinen Individualverkehr verursache, bewirke ich auf dem anderen Weg durch den Individualversand von Waren. Es ist auch ein ganz persönliches Nachhaltigkeitsanliegen, denn ich bin bequem und zudem ungeduldig. Wenn ich etwas benötige, dann möchte ich es mit möglichst wenig Aufwand und im besten Fall sofort haben. Beim Kaffeekauf kann ich das realisieren. Kaffee leer? Glasbehältnis schnappen, ins Erdgeschoss, auffüllen lassen, und nach wenigen Minuten kann ich ihn frisch gebrüht genießen. Sogar in Bio-Qualität! Wenn ich eine 140er-Einspritzdüse von Thompson brauche komme ich zwar nicht daran vorbei, doch das erwarte ich von meiner Kreisstadt auch gar nicht. Vieles bekomme ich, ohne viele Schritte in Kauf nehmen zu müssen, doch frage ich mich, wie man die vielen Menschen, die ich in den Cafés um mich herum sehe, zu solchen Kunden machen kann, dass auch die letzten Leerstände weichen.
Wer Friedberg besucht, um einen Espresso bei nettem Plausch mit Freunden zu genießen, dann aber abends die Bratpfanne im Internet kauft, die er oder sie ein paar Meter weiter auch bekommen hätte, ist es wahrscheinlich hilfreich, Gründe in Erfahrung zu bringen. Vielleicht ist es das fehlende Wissen darum, welches Angebot die Kaiserstraße und ihre Umgebung jetzt schon haben. Der oft höhere Preis in Ladengeschäften, der sich zumeist jedoch schlichtweg aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten wie der Miete und den Nebenkosten eines Ladens sowie den Personalkosten für Fachpersonal ergibt, die ein Internethandel in dieser Größenordnung natürlich nicht hat, kann nicht der entscheidende Punkt sein. Immerhin bekomme ich in gerade einmal dreihundert Metern Entfernung voneinander hochpreisige Bratpfannen und solche aus dem Niedrigpreissegment.
An dieser Stelle hält vielleicht die eine oder andere Leserin oder der eine oder andere Leser inne und fragt sich, was eigentlich meine Bequemlichkeit und Ungeduld zu bedienen mit Nachhaltigkeit zu tun haben soll. Nehmen wir an, ich bräuchte tatsächlich eine 140er-Einspritzdüse, obwohl ich gar keinen Rolls Royce oder Panzer besitze, und Friedberg hätte doch eines seiner leerstehenden Geschäfte zum Einspritzdüsenfachhandel erhoben, dann könnte ich nach vielleicht 200 Metern Fußweg mein Ziel erreichen. Hin und zurück hätte ich ca. 78 Kilokalorien verbraucht. Müsste ich dazu nach Frankfurt hätte ich den Weg zum Friedberger Bahnhof und zurück und noch zweifach den Weg zwischen der Frankfurter Bahnstation zum Einspritzdüsenfachgeschäft. Das sind gut 350 Kilokalorien Energieaufwand. Die Differenz entspricht dem Energiegehalt einer Laugenstange, die ich nur deshalb unnötigerweise hätte verzehren müssen, weil Friedberg Leerstände hat. Zugegeben, das war sehr viel Text, nur um am Ende zu sagen: Unterstützt eure heimische Ladenvielfalt, indem ihr lokal einkauft. Und gut, dass es das Integrative Stadtentwicklungskonzept ISEK gibt. Ich bin sehr auf das Abschlussforum gespannt, das sicherlich bald auf http://isek-fb.de/ angekündigt werden wird.
Donnerstag, 10. September 2020
Dienstag, 1. September 2020
Darfs ein bisschen mehr sein?
Darfs ein bisschen mehr sein? |
Kürzlich war bei uns wieder einmal das Thema Energie als Diskussion auf dem Tableau. Die üblichen Argumente wurden ausgetauscht, und alles lief in den erwarteten Bahnen. Dann kam das folgende Argument: „Warum soll ich eigentlich Strom sparen? Ich beziehe doch Ökostrom!“ Wir lachten. Der andere nicht. Wir schraubten unser Lachen zum Lächeln herunter. Der Andere hob die Augenbrauen. „Oh!“, sagte einer. „Das war gar kein Scherz unter Ökos?“ Ich dachte, das sei so ein Ding wie unter Physikern, die sich fragen, ob eine Katze permanent um die Längsachse rotiert, wenn man ihr ein Butterbrot auf den Rücken schnallt. Oder der gute alte Witz mit Heisenberg, der von der Polizei angehalten und gefragt wird, ob er wisse, wie schnell er fahre und dann antwortet, dass er derzeit nur sagen könne, wo er sei. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Leserinnen und Lesern entschuldigen, dass sie jetzt vielleicht nach Murphy‘s Law und der Heisenbergschen Unschärferelation googlen müssen, aber warum sollte ich der einzige bleiben, der Physikerwitze nicht auf Anhieb versteht? Was für den Humor von Physikern gilt, gilt auch für den Humor von Ökos. Man versteht Scherze nur, wenn einem der Hintergrund klar ist, und wenn der Hintergrund nicht klar ist, war es vielleicht auch kein Scherz.
In der Diskussion waren wir schnell wieder zur Ernsthaftigkeit zurückgekehrt. Die ernste Frage ist von zwei Seiten zu beleuchten. Ähnlich wie bei Schrödingers Katze (ich weiß auch nicht, warum ich es heute so mit Physikern habe) kennt auch die Frage, warum man Energie sparen sollte, wenn man doch regenerative Quellen nutzt, zwei Antworten. Die eine lautet: „Du musst keine Energie sparen!“, die andere: „Du muss Energie sparen!“ Beide haben eine Bedingung. Wenn wir ausreichend regenerative Energie für alle zur Verfügung hätten, beispielsweise, weil auf jedem Dach eine Solaranlage wäre, die Wind- und Wasserkraft voll genutzt würden und diese Energie im Überschuss gespeichert würde, dann müssten wir definitiv auf unseren Stromverbrauch nicht achten. Im letzten Jahr bestand der Strommix in Deutschland zu über der Hälfte aus Kernenergie, Braun- und Steinkohle sowie Erdgas. Nutzen also alle Ökostromabnehmer mehr als die 235 Mrd. kWh an Energie, verbrauchten sie eben einerseits keinen Strom aus regenerativen Quellen mehr, sondern ab diesem Zeitpunkt konventionellen Strom mit allen Folgen und Gefahren. Vereinfacht dargestellt: Verbrauchen drei von vier Ökostromabnehmern die gesamte Energie, wird der vierte eben keine nachhaltige Energie mehr beziehen können. Du muss also als Ökostromabnehmer Energie sparen, solange das noch nicht so ist. Und bis dahin, so leid mir alle Menschen tun, die voller Stolz ihre E-Roller und E-Autos fahren und sich auf der grünen Seite wähnen, ist es leider kontraproduktiv, Strecken, die man vorher zu Fuß mit dem Rad oder eben gar nicht genommen hätte, nun elektromobil zu bewältigen.
Deutschland belegt Rang 7 der Länder mit dem höchsten Stromverbrauch weltweit und Platz 1 in Europa. Gut ein Viertel des Verbrauchs ist den Privathaushalten zuzuschreiben. In den letzten 30 Jahren hat sich der Verbrauch in den Haushalten kaum verändert, obwohl die Technik immer energiesparsamer wird. Es ist noch viel zu tun. Übrigens, auch Philosophenwitze werden erst lustig, wenn man sie versteht. Wie dieser hier: René Descart sitzt in einem Pariser Café, als der Kellner fragt, ob er noch einen Wunsch habe. „Ich denke nicht!“, antwortet er und hört auf zu sein. Googlen Sie mal das!
Dienstag, 18. August 2020
Monetäre Impfung
Monetäre Impfung |
Erinnert sich jemand an den Film „Zum Teufel mit den Kohlen“ mit Richard Pryor und John Candy in den Hauptrollen? Darin soll Montgomery Brewster 30 Millionen US-Dollar binnen eines Monats ausgeben, um 300 Millionen zu erben. Bedingung: Er darf niemandem davon erzählen und nach Ablauf nicht mehr besitzen als zuvor. So ähnlich halte ich es auch. Also habe ich meine erwachsenen Kinder und meine Lebensgefährtin ins Auto gepackt und bin eine Woche an den Bodensee gefahren. Wir waren täglich essen, nirgendwo habe ich die günstigeren Online-Tickets gekauft und selbst bei der Schifffahrt auf dem Bodensee – ich hätte auch Personenfähre schreiben können, doch als mit der „alten“ Rechtschreibung Aufgewachsener liebe ich diese drei f – habe ich Einzelfahrten gekauft. Der Sohn möchte ein Filetsteak in der Herrenausführung? Kein Problem! Die Tochter verlangt nach einer Tüte mit süßem Gebäck? Gerne! Darfs noch eins mehr sein? Der Autor selbst möchte teure Bio-Nüsschen essen? Wohl bekomm’s - 600 Gramm wurden es! Es gipfelte darin, dass wir sogar in der Schweiz essen waren. In einem türkischen Imbiss. Es gab je ein Dürüm zum Preis eines gut bürgerlichen Drei-Gang-Menüs in der Wetterau. Nur die Freundin hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jeder Versuch, sie auszuhalten, mündete in einer PayPal-Überweisung auf mein Konto. Das konnte jedoch nicht verhindern, dass ich das Fünffache dessen verschleuderte, das ich sonst so nebenher ausgebe.
Was soll ich sagen? Obwohl ich weiß, was ich damit bezwecke, funktioniert es jedes Mal von Neuem. Allein die Vorstellung, Essen zu gehen, lässt meine Nackenhaare, nun, da ich zurück bin, sträuben, schon zweimal habe ich wieder Brot gebacken, und selbst die überzählige Hantelstange ist verkauft. Bereut habe ich es nicht. Allenthalben, dass mich die versehentliche Einwahl in ein österreichisches Mobiltelefonnetz während meines Aufenthalts auf der deutschen Seite des Bodensees fast 50 Euro gekostet hat. Für das Geld hätte ich viel lieber ein leckeres Falafelsandwich am Rheinfall gesessen und möglicherweise sogar ein Getränk dazu zahlen können. Beim nächsten Impfen vielleicht.
Sonntag, 16. August 2020
Der Mohr sollte seine Schuldigkeit getan haben ...
Gestern fand fast direkt vor meinem Wohnzimmerfenster eine Demonstration statt, um auf Alltagsrassismus aufmerksam zu machen. Kern der Demonstration und Grund für den gewählten Ort war die dort befindliche Apotheke "Zum Mohren". Die Anmelder fühlen sich durch den Begriff "Mohr" rassistisch beleidigt. Kann ich das nachvollziehen? Nein! Wie denn auch? Ich bin weiß. Ich leide nicht unter Alltagsrassismus, wurde noch nie in meinem eigenen Land gefragt, wo ich herkomme, und kenne nicht einmal ein Wort, das Weiße wie mich generell zu beleidigen gedacht oder geeignet ist. Würde ich mich beleidigt fühlen, wenn es die "Kraut"-Apotheke und als Logo eine überzeichnete Karikatur eines Deutschen gäbe? Ich weiß es nicht, denn "die Krauts" hat man vermutlich seit Ende des zweiten Weltkrieges nicht mehr als Bezeichnung für Deutsche gehört. Habe ich ausreichend emotionale Intelligenz und Empathie, um mir vorstellen zu können, dass sich Menschen dunkler Hautfarbe dadurch getriggert fühlen können? Ja, absolut. Wer bin ich, daran zu zweifeln, wenn ich es nicht einmal schaffe, mich in die Situation hineinzuversetzen?
Um auf so etwas aufmerksam zu machen, gibt es das Demonstrationsrecht. Finde ich es gut, dass jemand seine Meinung frei sagen und sich dazu unter freiem Himmel mit anderen versammeln darf? Ja, natürlich. Ich bin Demokrat, und die Menschenrechte sind die schützenswerteste Errungenschaft, auf die wir noch dazu wirklich mal stolz sein dürfen. Ist es okay, wenn Andersdenkende ebenfalls bei einer solchen Demonstration zugegen sind und dafür eintreten, dass ein Name wie "Mohren-Apotheke" beibehalten wird? Ja, ich finde es aus demokratischer und menschenrechtlicher Sicht absolut wichtig, dass ein Diskurs möglich ist. Kann ich es nachvollziehen, dass sich Menschen dazu stellen und anscheinend wissen, was selbst Gerichte nicht letztinstanzlich festgestellt haben, nämlich, ob "Mohr" grundsätzlich rassistisch ist oder ob die Bezeichnung nur kontextbezogen bewertet werden und somit beides sein kann? Nein, das vermag ich, wie oben dargelegt, nicht. Ich bin weiß. Ich bin in mehrfacher Hinsicht privilegiert in diesem, meinem Land. Bei vielen anderen ist das leider nicht so, obwohl es nicht minder ihr Land ist, wie es das meine ist, wie im heutigen Online-Artikel der Wetterauer Zeitung zu lesen war.
Wer nicht glaubt, dass es Alltagsrassismus gibt, dem empfehle ich einen Blick in die Kommentare zu diesem Artikel auf der Facebookseite der Wetterauer Zeitung. 42 von zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Blogs 135 Reaktionen waren lachende Smileys. Offenbar schafft es fast ein Drittel der Reagierenden ebenfalls nicht, nachzuvollziehen, dass man sich rassistisch beleidigt fühlen kann, bemüht sich allerdings offenbar auch nicht und kann nur auf Spott zurückgreifen und Menschen der Lächerlichkeit preisgeben, die sie nicht verstehen. Noch armseliger ist es, was sich in den 177 Kommentaren findet:
"Vielleicht haben die nichts anderes zu tun?", schreibt eine. Ich als Bürger des Landes der Dichter und Denker vermag mir zumindest vorzustellen, dass es Menschen gibt, denen das zu diesem Zeitpunkt das Wichtigste sein könnte, selbst wenn sie anderes zu tun gehabt hätten, zum Beispiel sich stets zu erklären, wo sie herkommen, und die dafür einstehen wollen, dass künftige Generationen das vielleicht nicht erleiden müssen, wie die nachfolgenden Beispiele eindrücklich belegen.
"Und wem es hier nicht passt soll einfach nachhause gehen. Wenn wir in deren Land wären hätte. Wir garnichts zu lachen" und "Wenn es ihnen in Deutschland nicht passt oder nicht nach ihrem Kopf geht dann sollen sie bitte wieder zurück in ihre Länder gehen", schreiben andere. Bedenkt man, dass das Versammlungsrecht nur Deutschen zusteht, wird klar, wie diese Autoren Menschen anderer Hautfarbe sehen.
"Jeder einzelne muss wegen Rufmord, Geschäftsschädigung, Verschwendung von Steuergeldern und das nicht einhalten der Corana Verhaltensregeln, hart verurteilt werden", schreibt ein anderer. Als Demokrat bin ich da etwas anderer Auffassung. Ich finde es gut, dass wir eine Gewaltenteilung haben, es den Gerichten vorbehalten ist, Recht zu sprechen und nicht bereits die Meinung einzelner zur Aushebelung des Grundgesetzes führt.
"Eine Frage, welchen Namen soll sich eine Fam. aussuchen , die Mohr heißt, auch seit Generationen, ev. Schczubowski, oder Õzdemir ?", fragt eine andere und ein weiterer gipfelt in der Feststellung: "Würden die alle mehr arbeiten dann hätten sie keine Lust auf Demo!"
Nach all diesen Worten ist mir eines klar geworden: Wer solche Sätze alltäglich hört, dem tut wahrscheinlich auch der alltägliche Blick auf den Mohr auf Apothekenschildern, Schokoladentafeln oder Schaumspeisen inzwischen weh. Rassismus ist kein Gespenst, sondern Alltag.
Der Mohr sollte offenkundig seine Schuldigkeit getan haben ... und vielleicht besser aus unserem Alltag sprachlich und bildlich entfernt werden (frei nach Shakespeare).
Dienstag, 4. August 2020
Der Wasserstoff, aus dem die Helden sind
Ich bin sicher, dass manches nur deshalb nicht optimal läuft, weil die mit den besten Ideen nur in den seltensten Fällen auch die mit dem meisten Geld oder der erfolgreichsten Lobby-Arbeit sind. Wie damals bei der VHS-Kassette – die vor 1995 geborenen werden sich erinnern. Betamax hatte die bessere Qualität, Video 2000 ein Vielfaches an Aufzeichnungskapazität und dennoch setzte sich JVCs Video Home System (VHS) durch. Warum? JVC hatte mit Geld gelockt – in Form günstigerer Lizenzgebühren – und sofort mit der Pornofilmindustrie geliebäugelt. „Geiz ist geil“ bekommt da eine ganz andere Konnotation und ist offenbar ein Erfolgsrezept. Ähnlich läuft es bei mit Wasserstoff betriebenen Fahrzeugen. Bereits 1804 hatte Isaac de Rivaz den ersten Wagen mit Wasserstoff-Verbrennungsmotor entwickelt, doch selbst das 35 Jahre später entwickelte erste Elektrofahrzeug von Robert Anderson konnte nicht verhindern, dass sich der ein viertel Jahrhundert später patentierte Ottomotor durchsetzte. Weil Carl Benz‘ Patent-Motorwagen Nummer 1 damals diese Technik gewählt hatte.
Wie könnte die Welt heute sein, wenn der erfolgreiche Badener auf Wasserstofftechnologie gesetzt und diese sich dadurch kontinuierlich weiterentwickelt hätte? Möglicherweise wäre der überwiegende Großteil des Verkehrs nahezu emissionsfrei, und wir hätten nicht in den Jahren seit der Erfindung des Automobils allein in Deutschland bis zu 30 Tonnen Kohlendioxid in die Luft geblasen. Vielleicht wären Wasser-, Windkraft- und Solaranlagen heute durchgängig fähig, ihre überschüssige Energie durch die Gewinnung des energiereichen Gases aus Wasser zu speichern, statt sie einfach ungenutzt verpuffen zu lassen. Ganz gewiss wäre heute das wasserstoffbetriebene Fahrzeug günstiger als das Benzin- oder Dieselfahrzeug, und einen Sportwagen emissionsfrei zu fahren, würde von der Scham, die Umwelt damit zu schädigen, befreit sein. Selbst einen Begriff wie Flugscham würde man in dieser Welt umsonst im Duden suchen. Denn während in unserer das erste Wasserstoffflugzeug im Jahr 2016 testweise in Deutschland mit Erfolg abgehoben war – die Hy4 des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt –, wären in meiner Wasserstoffutopie Linienmaschinen unterwegs. Die gesamte Energiegewinnung würde sich auf Wasserstoff konzentrieren: Industrie, Haushalte, Handel und Gewerbe – sie alle würden nicht mit fossilen Brennstoffen arbeiten. Erneuerbare Energiequellen würden den nötigen Strom erzeugen, um Wasserstoff zu gewinnen, mit dem die Elektromotoren der Welt betrieben würden. Das würde zwangsläufig dazu führen, dass der Mensch in meiner Utopie nur den Kopf darüber schütteln würde, wie ineffizient die Elektromotoren und wie riesig die Akkus in unserer aus dessen Sicht dystopischen Spiegelwelt doch sind. In Saudi-Arabien würde kein Öl gefördert, sondern von Solarmodulen, soweit das Auge reicht, dominiert sein. Der Ruhrpott wäre nicht für seine kohlegeschwärzten Kumpels bekannt, sondern für die Rhein-Ruhr-Wassergas AG. „Hambi bleibt!“ wäre kein Slogan. Greta Thunberg hätte früher Abitur gemacht, denn das Wort Klimakrise würde in der Weltpolitik unbekannt sein. Ich selbst würde jährlich zahlreiche Fernreisen unternehmen – natürlich mit dem Flugzeug, und Eisbären in ihren unendlichen Jagdgründen beim Robbenfang zuschauen, derweil mein flotter Sportwagen ganz sexy in der Garage auf mich wartet.
Was mache ich stattdessen? Ich trauere der Videokassette nach, während ich bei 30 Grad in meinem Dachgeschoss Texte für Kolumnen schreibe.
Dienstag, 21. Juli 2020
Die viertgrößte Nation: Hundland
Die viertgrößte Nation: Hundland |
Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, der stets mehr Tieren als Menschen ein Heim war. Nicht anzahlmäßig, jedoch von der Gesamtmasse her waren Hunde die Majoritätshalter unter den nicht-menschlichen Wirbeltieren des Arnoldschen Hauses. Meine Mutter war und ist noch immer begeisterte Hundetrainerin. Ihre Begeisterung ging so weit, dass nicht selten der eine oder andere Hundename vorausging, wenn ich als Kind gerufen wurde. Meist kam der richtige, also mein eigener Name an dritter Stelle. Es sei denn natürlich, wir hatten zu diesem Zeitpunkt mehr als zwei Hunde. Ich liebe die Hunde meiner Mutter, die ich trotz Wissens um die tatsächlichen Zugehörigkeitsverhältnisse dennoch stets als unsere Hunde bezeichne. Besuche ich mein Elternhaus, überschlagen sich die beiden Hündinnen vor Freude, und auch mich erfüllt es, sie sodann so lange zu knuddeln, bis sie meiner überdrüssig sind. Dieser Zeitpunkt ist meist gekommen, sobald ihnen meine Mutter ein Mohrrübchen zu knabbern gegeben hat. Für die Skeptiker unter den Leserinnen und Lesern: Nein, ihre Freude ist kein Pawlowscher Reflex auf die Erwartung eines Snacks, es ist Liebe!
Weltweit gibt es knapp unter 300 Millionen Haushunde – 9,4 Millionen allein in Deutschland. Gäbe man ihnen ein eigenes Land, wäre Hundland nach den USA das viertbevölkerungsstärkste der Welt, und wie auch dort äßen alle Hundländer täglich Fleisch mit entsprechenden Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Reizthema! Hundefreunde und vermutlich auch meine Mutter, von der ich weiß, dass sie meine Kolumne liest, rufen jetzt vermutlich: „Was erlaubt der Arnold sich? Hunde sind Fleischfresser! Tierquälerei!“ Zugegeben, meine Mutter riefe nicht Arnold, sondern Andreas, aber zuvor zwei Hundenamen, dennoch wäre die Entgegnung inhaltlich vermutlich sehr ähnlich. Es ist jedoch ein naturalistischer Fehlschluss, dass die Ernährung unserer Vorfahren, also etwa der des Wolfes beim Hund und der von Ötzi beim Menschen, die beste für uns Haushunde und -menschen sei. Die carnivoren Hundejahre sind ebenso vorbei wie das Leben eines Höhlenmenschen für uns. Gut 15.000 Jahre mag es her sein, seit die Domestizierung ihren Anfang genommen hatte. Hunde begannen von dem zu leben, was Menschen ihnen übriggelassen hatten. Mit dem Übergang von Jägern und Sammlern zu sesshafen Ackerbauern haben sich zudem zahlreiche genetische Veränderungen im Laufe der Generationen ergeben, die die neue Nahrung mit jeder evolutionären Entwicklung immer besser nutzbar gemacht hatten – für Mensch und Hund. Heute können beide problemfrei ohne Fleisch artgerecht ernährt werden, denn beide sind omnivor, können pflanzliche und tierische Lebensmittel gleichermaßen gut verdauen. Einer gut geplanten veganen Ernährung steht weder beim Menschen noch beim Hund etwas entgegen.
Die Tierschutzorganisation PETA hatte im Jahr 2013 in einer Längsschnittstudie insgesamt 300 Hunde über ein Jahr hinweg untersucht. Eine geringere Anfälligkeit für Infektionskrankheiten, Krebserkrankungen und Schilddrüsenunterfunktionen bei vegan ernährten Hunden war festzustellen. Natürlich gab es auch beachtenswerte Punkte. Bei manchen Tieren scheint beispielsweise eine Zufütterung mit L-Carnitin und Taurin sinnvoll. Wie jede Ernährung ist auch die vegane nicht frei von Hürden – weder beim Menschen noch beim Hund. Aber sie ist möglich, ganz und gar nicht unnatürlich und trägt, wenn mangelfrei geplant, offenbar zur Gesunderhaltung bei. Heute Abend besuche ich meine Hunde wieder. Vielleicht bringe ich Möhrchen mit.
Dienstag, 7. Juli 2020
Werbung wirkt vegane Wunder
Werbung wirkt vegane Wunder |
Bayerns Wirtschaftsminister wird kürzlich im BILD-Interview zitiert, dass sich die Debatte um Großschlachter Tönnies nicht darauf zuspitzen dürfe, dass Fleisch einmal pro Woche reiche. „Für einen Büromenschen auf dem Vegan-Trip vielleicht - für den Bauarbeiter nicht. Wenn der nur einmal die Woche Fleisch kriegt und nur Salat, fällt er am dritten Tag vom Gerüst runter», sagte er. Beim fleisch-, milch- und eilosen Frühstück mit meiner Freundin lese ich ihr das Zitat vor. Sie lächelt, klickt auf Youtube und zeigt mir den Kanal „Hier kocht Alex“. „Er ist Bauarbeiter!“, sagt sie und zwinkert. Der Videoblogger Alexander Flohr ist Straßenbaumeister, wie ich auf seiner gleichnamigen Homepage nachlese. Offenbar ist er noch nicht von einem Gerüst gefallen. Zugegeben, der Straßenbau ist vermutlich recht gerüstarm, dennoch scheint er nach dem Asphaltieren und Pflastern noch ausreichend Energie zu haben, um Kochvideos zu drehen.
Ich selbst bin so ein „Büromensch auf dem Vegan-Trip“! Vegan-Trip? Der Duden definiert Trip als kurzfristig, ohne große Vorbereitung unternommene Reise. Meine persönliche Reise ist gerade ins siebte Jahr gegangen. Sehr kurzfristig erscheint mir das nicht, und ohne große Vorbereitung eine vegane Ernährung zu beginnen, erscheint mir nicht sehr schlau. Gut geplant liefert sie alle nötigen Nährstoffe, aber, wie Minister Aiwanger weiß, offenbar keine Kraft. Ich spiegele mich in der Brille meiner Freundin. Ich sehe nicht gerade aus wie ein Lauch, denke ich mir. Warum ist Lauch so negativ konnotiert? Nach Herodot soll er den Arbeitern, die die Pyramiden erbaut haben, als Nahrung gedient haben. Er hat Frosthärte. Wenn das keine Zeichen von Stärke sind! Warum sagt keiner: „Du bist ein Löwe!“ und meint damit, dass du den ganzen Tag faul in der Sonne liegst. Nein, der Löwe ist kein Lauch, er isst Fleisch! Meine Freundin sieht mich grübeln und liest meine Gedanken (eine ihrer veganen Superkräfte, die Aiwanger verschweigt). „Patrik Baboumian!“, sagt sie. Ja, denke ich, 2011 den Titel „Stärkster Mann Deutschlands“ errungen, fünf Weltrekorde in Strongman-Disziplinen aufgestellt, deutsche Meistertitel und einen Europameistertitel gewonnen. Google wirft viele weitere Beispiele aus. Da das Internet auch in Bayern vielerorts funktioniert, frage ich mich, wie ein sicherlich von seinem Stab gut vorbereiteter Politiker zu solchen Aussagen kommt.
Salat hat als Sinnbild für Anti-Kraft eine gewisse bayerische Tradition. „Von Salat schrumpft der Bizeps“ sangen die Rapper Kollegah und Majoe, als sie ihr Musikvideo 2014 in der Oberpfalz gedreht hatten. Möglicherweise war das eines der Rechercheergebnisse des Ministerbüros. Einen Song wie „Von pflanzlichen Proteinen wächst der Bizeps“ gibt es dahingegen nicht, obwohl ihn Patrik sicher singen würde. Die Antwort ist: „Werbung wirkt!“ Wie kaum eine andere Sparte hat es die Fleisch- und Milchindustrie geschafft, ihre Produkte mit Attributen wie Männlichkeit und Kraft zu verknüpfen. „Milch mach müde Männer munter“ war in den 50er-Jahren entstanden, „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“ wenige Jahre später. Seitdem wurden wir von gut trainierten Football-Spielern („Seven T-Bone-Steaks for the Tigers!“), oberkörperfrei grillenden Muskelmännern und milchtrinkenden Cowboys geprägt. Dabei ist es dem Körper völlig egal, woher er seine Proteine bekommt. Rindfleisch hat 26 Prozent Protein – wie auch Linsen.
„Isst du Linsen, Erbsen, Bohnen, kriegst du Arme wie Kanonen!“ Nicht der beste Werbespruch, aber ein Anfang.
Foto: Inge Kohrmann Fotografie
Dienstag, 23. Juni 2020
Das Schwein zahlt
Das Schwein zahlt |
Anfang der Woche war ich mit dem Auto unterwegs und hörte Radio. Ich schaltete um, da ich keine Lust auf Mark Fosters „Flash mich“ hatte und landete bei einer Diskussion über eine Gesetzesvorlage, die bis 2040 allen Nutztieren in Ställen deutlich mehr Platz, "möglichst mit Kontakt zu Außenklima", bieten möchte. Zur Finanzierung solle das Kilogramm Fleisch um 40 Cent teurer werden. Die Fleischindustrie zweifele an der finanziellen Umsetzbarkeit, war weiter zu hören. Ich musste an Tönnies denken. Die schaffen es nicht einmal, ihren Mitarbeitern genügend Platz zu verschaffen, um mehr als 1.300 Corona-Infektionen zu verhindern. Wie sollen die das dann bei Tieren schaffen? Gut, mag man kritisch anmerken, das ist ja auch ein Schlachter und kein Landwirt. Stimmt! Dennoch ist auf deren Homepage zu lesen, „dass die Tiere, die wir schlachten und verarbeiten, vernünftig gehalten und aufgezogen werden“ sollen.
Das ist eine Riesenverantwortung in Anbetracht von gut 30.000 Schweinen, die Tönnies täglich schlachtet. Dessen Arbeiter führen die glücklichen Schweine per Aufzug zum dem Erstickungstod ähnlichen Betäuben in eine CO₂-Grube. Das kann gut eine halbe Minute dauern, während ihnen das Kohlendioxid auf ihren Schleimhäuten zu brennender Kohlensäure wird. Immerhin geht es ihnen wohler, als wenn sie bei vollem Bewusstsein einen Metallhakenhaken ins Bein gejagt bekämen, um kopfunter auf das „Stechkarussel“ gezogen zu werden, das sie zu den Schläuchen führt, die ihnen zum Ausbluten ins Herz gestochen werden. Durch einen umsorgenden Druck auf das Auge nach der Grube und vor dem Schlauch wird getestet, ob die Betäubung wirkt. Falls das Schwein zuckt, wird nochmal betäubt oder es gibt eins mit dem Bolzenschussgerät. Je nach Quelle sind ein Promille bis zu einem Prozent der Schweine zu diesem Zeitpunkt bei voller Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit, also bei Tönnies 26 bis 260 Tiere pro Tag. Immerhin haben die meisten der Tiere, die leider auch der Bolzenschuss nicht tötet – der Akkordarbeiter hat nur Sekunden Zeit, um sein Pensum zu schaffen –, ausreichend Blut verloren, dass zumindest der Großteil vom 60 Grad heißen Wasserbad nichts mehr mitbekommt. Die Großschlachterei kümmert sich darum, dass die Tiere „vernünftig gehalten und aufgezogen werden“. Das kostet so viel Geld, dass es gar nicht mehr leistbar ist, Arbeiter zu Mindestlohn anzustellen. Über fünftausend Schlachter müssen wegen der Bemühungen um das Tierwohl bei Aufzucht und Haltung über Subunternehmer angestellt werden. Da ist es gut, dass es eine Steuer geben soll, die hilft, dass diese Bemühungen nicht einseitig bleiben. Lediglich etwas mehr als 6,5 Milliarden Umsatz verbuchte der Konzern zuletzt. Dieses Jahr wird es noch weniger – so ohne Sub-Mitarbeiter, die nicht in Quarantäne sind.
Das Fertig-Schnitzel kostet derzeit 2,49 Euro. Wenn das Gesetz durch ist, wird es 2,59 Euro kosten, falls sich kein weiterer Subunternehmer in der Produktionskette findet. Das Schwein wird dann etwas besser leben und immerhin liegt die Chance bei 99 Prozent und besser, dass es nicht von einem der der 550.000 Schweine stammt, die deutschlandweit ihren langsamen Tod mangels funktionierender Betäubung bei vollem Bewusstsein miterlebten.
Am Ende meiner Autofahrt hatte ich ein veganes Schnitzel bei meinen Eltern bekommen, das 2,79 Euro gekostet und entfernt an ein echtes erinnert hatte. Damit kann ich leben, das Schwein auch und bei Mark Fosters Song „Flesh mich“ mitzusingen, kann man mal machen, solange niemand leidet.
Dienstag, 9. Juni 2020
Grüner durch Teamwork
Grüner durch Teamwork |
Nach Daten des statistischen Bundesamtes sind fast 40 Prozent der Haushalte von nur einer Person bewohnt, und jede dieser Singles verfügt über durchschnittlich 68 Quadratmeter Wohnfläche. Ich war einer von ihnen. Die Hälfte meiner Wände war frei, denn ich hatte nicht genug in meinem Besitz, um sie mit Schränken verstellen zu müssen. Ich besaß nicht einmal eine Waschmaschine. Stattdessen ging ich alle drei Wochen in den Waschsalon. Meinen Kühlschrank hatte ich seit drei Jahren nicht mehr einschalten müssen, da ich mehr oder minder von der Hand in den Mund gelebt hatte. Wie ich bereits schrieb: Ich war einer von ihnen. Seit letzter Woche bin ich Teil eines Zwei-Personen-Haushalts. Natürlich überwiegt die Freude darüber – mit großem Gewicht –, dennoch kamen im Vorfeld Gedanken auf, die sich mit meinem individuellen ökologischen Fußabdruck befassten. Wie werde ich darauf reagieren, wenn die Klarheit meines reduzierten Besitzes nicht mehr auf mich wirken kann? Komme ich damit zurecht, dass sich die Anzahl der Elektrogeräte im Haushalt plötzlich um solche wie Mikrowellenherd und Wäschetrockner erweitern wird? Was wird es mit mir machen, wenn ich meinen Kühlschrank vielleicht dauerhaft eingeschaltet lasse?
Die Antworten vorweggenommen: Gut, ja und nichts, denn erstaunlicherweise wird all das regelrecht aufgezehrt von einem sehr hungrigen Energiezehrerpärchen in meiner Ökobilanz: Dem Flächenverbrauch und den Heizkosten. 49 Quadratmeter Fläche bewohnen Menschen aus Zwei-Personen-Haushalten im Durchschnitt, die im Mittel immerhin bis zu 149 kw/h Heizenergie verbrauchen. Bei mir sind Flächen- und Heizenergieverbauch nun halbiert, und das wirkt sich auf den ökologischen Fußabdruck merklich aus. Es reduziert meinen globalen Flächenbedarf von 3,8 auf 3,4 globale Hektar (gha) – der bundesdeutsche Durchschnitt liegt bei 4,9 gha. Der globale Hektar beinhaltet alles, was unsere Art zu leben an Fläche nötig macht. Vom Bedarf an Anbauflächen für Lebensmittel, über den Flächenanteil an der Infrastruktur und den für die Produktion von Konsumgütern bis hin zum Wohnraum. Das Wohnen wird dabei mit einem Anteil von 25 Prozent im Durchschnitt nur von den Ernährungsgewohnheiten, die durch unsere tierproduktreichen Essgewohnheiten 35 Prozent betragen, überboten. Wenn diese zwei Punkte bereits 60 Prozent ausmachen, wundert nicht, dass der diesjährige Earth-Overshot-Day, der Erdüberlastungstag, vermutlich am 3. Mai gewesen wäre. Ab diesem Tag nutzten wir Ressourcen, die uns rechnerisch nicht mehr zustünden und wir zu Lasten anderer – unserer Mitmenschen in anderen Ländern und unserer Folgegenerationen – verbrauchten. Der Corona-Shot-Down, der nicht eingerechnet ist, wird den deutschen Erdüberlastungstag faktisch verschoben haben. Vielleicht ist er am heutigen Tage. Wer weiß?
Fakt ist, wir müssen noch viel tun. Meinen Wohnraum zu teilen, hat mich – ganz gleich, ob ich nun den Kühlschrank dauerhaft eingeschaltet lasse oder nicht – merklich nach vorne gebracht. Und nicht nur mich. Auch meine Lebensgefährtin halbiert ihren Flächen- und Heizenergieverbrauch. Zusammen bringen wir es auf eine Ersparnis von 0,8 gha – das entspricht dem ökologischen Fußabdruck einer Bengalin oder eines Bengalen. Abgesehen davon und vom zwischenmenschlich Offensichtlichen gibt es aber noch einen weiteren gravierenden Vorteil: Ich spare mir alle drei Wochen 1,3 Kilometer Fußweg zum Waschsalon, und, wer weiß, vielleicht bekomme ich sogar mit der Zeit heraus, wozu man einen Mikrowellenherd braucht!
Sonntag, 7. Juni 2020
Erster Unverpacktladen in Friedberg
Alexia Anders' Futterzimmer bietet Unverpacktes und Plastikfreies |
Unverpacktläden boomen. Gut einhundert dieser Geschäfte, die das Einkaufen unverpackter Waren ermöglichen, gibt es bundesweit. Deutlich mehr, rechnet man jene hinzu, die den bestehenden Laden um einen Unverpackt-Bereich ergänzt haben. Seit März gibt es auch einen in Friedberg, und er hat sich fast unbemerkt hinzugesellt.
Seit dem Jahr 2013 führt Alexia Anders ihre Hundetagesstätte Hundezimmer in der Hanauer Straße 12, gleich um die Ecke im selben Haus erreicht man ihr zwei Jahre später hinzugekommenes Futterzimmer, in dem sie alles anbietet, was ihre Tagesgäste benötigen. Seit dem Frühjahr gibt es dort auch vieles, was das umweltbewusste Frauchen oder Herrchen benötigt. Hier kann man sich Drogerieartikel nachfüllen lassen, Bienenwachstücher oder in loser Schüttung kaufen, was benötigt wird, um sich Wasch-, Spülmaschinenpulver und mehr herzustellen. Die Idee dazu kam der 34-Jährigen bereits Ende 2019. Die Mittel zum Umbau ihres Ladens kamen über ein Crowdfunding. Ganze 57 Unterstützer hatten sich teils Gutscheine für den ersten Unverpacktladen Friedbergs gesichert und ihr so ermöglicht, zusammen mit ihrem eigenen Kapital den Umbau und den Start eines Unverpackt-Bereichs zu wagen. Mitte März war der Laden umgebaut, die ersten Produkte wie plastikfreies Toilettenpapier, Zahnbürsten und Wattestäbchen aus Bambus, Seifen für Hund, Haut und Haar, auch die handgefertigten von „Manar Soap“ aus Friedberg, sogar Strohhalme, die ihrem Namen alle Ehre machen, waren in den Regalen. Zum Abfüllen gab es Soda, Natron und Zitronensäure. Für die Eröffnung bestellt waren, natürlich ebenfalls zum Selbstabfüllen, Zahncreme, Bodylotion und sogar Sonnencreme. Doch sie kamen nicht. Was kam, war Corona und mit ihm Hygienebestimmungen in den Produktionsstätten, die zunächst keine Lieferung zur losen Portionierung zuließen. Gleichzeitig wurde auch das, was einen Unverpacktladen ausmacht, nämlich das Abfüllen in mitgebrachte Behältnisse, durch die Verordnungen erschwert.
Die gelernte Kauffrau nimmt das leicht. „Ich nutze alle Produkte auch selbst“, sagt sie mit einem Lächeln im Gesicht. Dann beginnt sie von ihrer Motivation zu erzählen, schwärmt von den Produkten, die sie im Sortiment hat und gibt eine Aussicht auf das, was sie noch ins Programm nehmen will. WC-Reiniger, Klarspüler, sensitive Waschmittel soll es bald zum Abfüllen geben, Zahnputzpastillen, fester Conditioner und Lippenbalsam. Folgt man dabei ihren Augen, entsteht bereits im eigenen Kopf ein Bild davon, wo alles stehen wird und welche große Pump-Flasche, welche Lotion oder Creme beinhalten wird. Ein Geschäft, das Kauknochen und Hundedecken auf der einen Seite und Unverpacktes sowie Plastikfreies auf der anderen Seite führt, ist sicherlich bundesweit einmalig. „Dabei wird es jedoch nicht bleiben!“, sagt die Friedbergerin. „Ich stehe schon in Kontakt mit einem Lieferanten und möchte auch Lebensmittel in Pfandgläsern anbieten.“
Noch ist der Unverpackt-Bereich nur eine Rubrik auf ihrer Homepage futterzimmer.de. Das Logo ist jedoch fast fertig, und dann folgen die eigene Homepage und Google-Eintrag. Wie sehr sie sich bereits Gedanken um Ressourcenverschwendung gemacht hat, sieht man jedoch bereits beim ersten Blick auf die bestehende Homepage. Dort trifft man auch auf Rücksäcke. Was haben die mit Hundebedarf oder Unverpacktem zu tun? „Die nähe ich aus Stoffresten der Hundedecken“, sagt die ausgebildete Hundeernährungsberaterin stolz. „Die fertige ich nämlich auch selbst. Sie halten länger als die üblichen, und so erfüllen auch die Reste noch einen guten Zweck.“
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