Dienstag, 26. August 2008

Integration

Wir gingen zusammen spazieren. So wie wir es regelmäßig taten. Der Tag lud dazu ein. Vielleicht der letzte Tag in diesem Jahr bei warmen Wetter. Der Sommer bäumte sich nach Tagen der Kälte ein letztes Mal auf. Die 20 Grad-Marke wurde nach langem mal wieder geknackt. Und das merkte man. Überall entlang der Weser genossen Spaziergänger den angenehmen Sonntagnachmittag. Man hörte Kinder lachen, sah verliebte Paare sich einander auf den Bänken herzen, und alles fühlte sich mehr nach Frühling, denn nach Herbst an. Nur mein Kumpel war von einer kaum zu bessernden Laune.

„Ich fühle mich einfach nicht mehr wohl hier“, sagte er und gab sich beim Sprechen jedes Lippenlautes solche Mühe, dass man sie fast vernehmen konnte.
„Na, ja“, sagte ich, „nun sieh doch nicht alles so dramatisch. Du hast dich doch gut eingelebt.“
Klar hatte er sich gut eingelebt, doch ich konnte sein Problem nachvollziehen. Seit er vor einigen Jahren von Australien hierher gekommen war, gab er sich alle Mühe, doch seine sprachlichen Besonderheiten wurde er nie los.
„Weist du, Andy“, sagte er zu mir, „ich ecke immer an, sobald ich zu sprechen beginne.“
„Hey, das ist doch wirklich kein Problem“, sagte ich ihm, „man versteht dich doch und du bist bemüht. Keiner lehnt dich doch deswegen ab.“
Ich versuchte ihm Beispiele zu geben, wie sehr er doch einer von uns ist.
„Schau mal“, sagte ich. „Im Fußballverein hängst du beim Sprint alle ab und wie oft ließen wir dich hochleben, wenn du wieder mal einen Elfer verwandelt hast, und der Torwart den Ball nicht mal kommen sah?“

Er schaute mich an und nickte mir mit den Augen zu. Wie erwartet kam er dann auf das Frauenproblem zu sprechen. Das tat er immer, wenn er merkte, meine Argumente waren nicht umzustoßen.
„Klar“, sagte ich ihm, „hast du es ein wenig schwerer. Doch wenn dich jemand liebt, sind Äußerlichkeiten doch zweitrangig. Du bist der großherzigste Typ, den ich kenne. Und Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du in Oz nicht Hahn im Korb warst.“ Ich knuffte ihm mit meinem Ellenbogen.
Er lächelte zwar sein unnachahmliches Lächeln, doch ich merkte, dass ich nicht mehr so richtig an ihn ran kam. Wenn er es könnte, sagte er, würde er einfach wieder nach Australien fliegen.

Dann begann er, mir von Down Under vorzuschwärmen, so wie er es noch nie getan hatte. Ayers Rock, die herrliche Stille der Großen Sandwüste, die wundervollen Regenwälder von Queensland. Ich muss zugeben, dass mich das immer etwas neidisch machte, aber auch ratlos, weshalb man aus einem so schönen Land ausreist. Und dieses Mal musste ich ihn einfach fragen.
„Ich hatte eine Brieffreundin hier“, sagte er. „Sie lebte auf einer Farm bei Essen. Wir wollten zusammen leben, doch als ich dann nach Deutschland gekommen war, fehlte jede Spur von ihr. Auch ihre Mitbewohner konnten es sich nicht erklären. So bin ich letztlich hier gestrandet.“
Wir redeten noch eine Weile über sie, doch auch ich konnte mir keinen Reim daraus machen.
Dann kam da diese Baustelle und hätte ich gewusst, was uns erwartete, hätte ich lieber den langen Weg zurück gewählt.

Wir kamen also an dieser Baustelle an und konnten unseren gewohnten Weg an der Weser entlang nicht mehr fortsetzen. Also mussten wir ein Stück zurück und unterhalb des Weges weiterlaufen. Doch auch da ging es nicht weiter, da ein Bauzaun auch den Parallelweg versperrte. Wir standen also so rum und sprachen darüber, ob wir umkehren oder einfach versuchen sollten die Baustelle zu umgehen, als mein Blick auf dieses Schild viel. Ich versuchte, ihn davon abzulenken und sagte: „Komm lass uns die Baustelle umrunden.“, während ich bereit die ersten Schritte des Trampelpfades neben der Baustelle ging. Doch durch irgendetwas hatte ich mich verdächtig gemacht. Er nickte ein-, zweimal mit seinen Augen und schaute schließlich zurück zur Baustelle. Er entdeckte es. Und dann kam, was ich vermeiden wollte. Unüberlegte Dumme-Jungen-Streiche.
„Wenn ich nur fliegen könnte, wäre ich weg“, sagte er und pickte gegen das Schild, bevor er den Trampelpfad davon stampfte.
Armer Kerl, dachte ich und eilte mich, ihn einzuholen.

12 Kommentare:

  1. Tja, schwer zu sagen, wie man selbst das empfinden würde. Schwer zu sagen, welche facettenreichen Beweggründe hinter dem Fernweg/Heimweh stecken mögen.

    In traurigen Stunden ist so ein dumm - oder feindselig - bemaltes Schild sicherlich schwer abschreckend. In ausgeglichenen, leichten Stunden vielleicht nur ein kleines Aufziehen der Augenbrauen wert.

    AntwortenLöschen
  2. Vielleicht findet er seine Erfüllung in der deutschen Gastronomie, wo zumindest Strauße immer beliebter werden, was man von Franz Josef S. und seiner Sippschaft nicht behaupten kann.

    AntwortenLöschen
  3. @mkh
    Obgleich es mir schwer fällt mich in einen Straußenvogel hineinzuversetzen, wenn auch dieser Emu intellektuell und besodners sprachlich bemerkenswert begabt ist, steckt natürlich eine durchaus ernstzunehmende Problematik in dieser sich erst im letzten Moment als Fabel offenbarenden Geschichte. Ich denke auch, dass es unheimlich schwer sein muss, sich fern der Heimat wohl zu fühlen, wenn das Äußere und auch die Sprache stets verhindern, sich vollständig in die Gesellschaft zu integrieren. Dann kann man noch so angesehen im Verein sein; man wird stets der "von da" und nur selten der "von hier" sein. Da geht es meinem Emu-Ozzi sicher nicht anderst als vielen hier lebenden Ausländern, die sich auch mit deutschem Pass nur dann deutsch fühlen dürfen, wenn wir gelernt haben, über Äußerlichkeiten und Sprache hinwegzusehen.

    @scheibster
    Erfüllung denke ich nicht. Vielleicht eher Füllung. Mit Kräutern beispielsweise. Aber seien wir ganz ehrlich: Wer einen sprachbegabten Emu mit Kräuterfüllung zu verzehren gedenkt, sollte auch vor der Straußsippschaft im Kräutermantel nicht zurückschrecken ;-)

    AntwortenLöschen
  4. Oh-oh, na das war dann hoffentlich die erste und die letzte Träger-Geschichte, deren Pointe ich nicht kapiert hatte... Muss wohl den Kopf in den Sand gesteckt haben beim Lesen des letzten Absatzes. Pfiffig, Ihre Fabel!

    AntwortenLöschen
  5. Dieses Eindruckes konnte ich mich auch nicht erwehren. Ich habe aber noch Hoffnung ;-)
    Vielen Dank jedenfalls für das Kompliment, nachdem der Emu sich Ihnen gezeigt hatte. Ich gebe zu, der Schnabel, der auf das Schild klopfte, war wohl zu subtil *gg*

    AntwortenLöschen
  6. Das Picken gegen das Schild hielt ich für eine metaphorische Umschreibung.

    Naja, aber solange ich Ihre sechshebigen Jamben erkenne, ist der Vogel ja noch nicht ganz abgeflogen... ;-)

    AntwortenLöschen
  7. Einen Haken hat Ihre Geschichte, werter Lichtträger:
    Auf dem Schild steht "Emos raus".
    Meine Nichte sprach kürzlich auch mal von "Emos", was wohl in der jetzigen Jugendsprache gefühlsbetonte Menschen sein sollen und die von ihr gleich mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck bedacht wurden.

    Aber nichts gegen Ihren laufstarken Freund. Ich bin ein Vogelfreund! :)

    AntwortenLöschen
  8. Da haben sie wohl recht, lieber mkh. SIE sind der Jambendetektor und niemand sonst ;-)

    Und, liebe Frau Meise, Ihnen ein nasales "En Contraire!" zur Antwort. Meine Geschichte hat keinen Haken, sondern das "O" des unbekannten Vogelhassers keinen Verschluss. Natürlich meinte er Emos. Ein Wort, das ich, als Freund lauter Gitarren, als Bezeichnung für eine mir nahezu verhasste, aber zumindest verabscheute Sorte Tänzer kenne, die beim moshen, wild mit den Fäusten fuchtelnd, keine Sorge daran verschwenden, ob sie jemanden dabei verletzten könnten. Insofern unterstütze ich den Antrag. Aber, völlig neuer Antrag, Straußenvögel auszuweisen, empfand ich deutlich witziger. Daher bedanke ich mich für die schludrige Kalligraphie meines Gesinnungsgenossen *gg*

    AntwortenLöschen
  9. Moshen? Hä?
    Sie sehen mich verwirrt.
    Ich komm' da nicht mehr mit. :(

    Straußenvögel dürfen natürlich NICHT ausgewiesen werden! Wie gesagt, ich bin ein Vogelfreund!
    Und Ihre Geschichte ist eine schöne Geschichte.
    Ich wollte aber mal klugscheißern, allerdings ohne wirklich zu wissen, was für Personen denn jetzt mit Emos gemeint sind. :(

    AntwortenLöschen
  10. Geben Sie einfach mal "emo mosh pit" bei youtube ein oder folgen Sie meinem Link. Dann erklärt sich auch meine Solidarisierung mit dem unbekannten Autor ;-)

    Und (fast) zum Abschluss, liebe Frau Meise: Nie habe ich ihren Kommentar als "Klugscheißen" angesehen. Er war mir wertvoll wie jeder andere Kommentar, und ich danke Ihnen.

    Den Emo gibt es häufig, doch Emus sind einmalig ;-)

    AntwortenLöschen
  11. *seufz* ICH hatte doch den Begriff "klugscheißern" verwendet, und soo ernst war der ja gar nicht gemeint, werter Lichtträger. ;)
    Und wenn alle EMOs so "tanzen" sollten, kann ich den Gesichtsausdruck meiner Nichte verstehen!!!

    AntwortenLöschen
  12. Daher: Emos raus; Emus rein ;-)

    AntwortenLöschen