Freitag, 3. Februar 2012

1. Poetry Slam an der Augustinerschule, Friedberg (02.02.2012)

Tana und Jonas moderieren
Als ich erfuhr, dass es einen Poetry Slam an meiner alten Schule, organisiert von Tanasgol, geben würde, war mir klar: Hier musst du dabei sein. 17 Jahre sind eine lange Zeit, denn so lange liegt mein erlangtes Abitur nun zurück. Nicht, dass ich so lange auch nicht mehr dort gewesen wäre. Immerhin konnte ich das neu entstandene Gebäude mit seiner wirklich tollen Aula vor drei Jahren bei einer Lesung des leider früh verstorbenen Andreas Franz bereits bewundern und hatte dort inzwischen zwei Theaterauftritte mit meinen Heldinnen und Helden. Dennoch würde es mir eine Freude und Ehre zugleich sein, meine Gedichte dorthin, wo meine Liebe zur Lyrik vor über 20 Jahren maßgeblich beeinflusst wurde, an ihren Anfang zurückzutragen.

Elisa, Lena und Lisa
Wie üblich, bekannte Gesichter vor der Bühne und auch hinter der Bühne: Elisa Scaramuzza, meine Mitstreiterin im Bemühen den Poetry Slam in der Wetterau voranzutreiben, ebenso wie Lena Noske, mit der ich nun schon das dritte Mal die Bühne teilen sollte, auf der Bühne, und noch mehr bekannte Gesichter vor der Bühne, wobei es so überraschend wie schön war, von einigen von meinem Theaterauftritt am Samstag zuvor her wiedererkannt worden zu sein. Ein Heimspiel daher in mehrfacher Hinsicht. Und gerade weil das so war, wollte ich nicht mit Texten auftreten, die ich extra für die Poetry-Slam-Bühne geschrieben hatte. Zurück zu den Anfängen und zurück zur Lyrik. Ich hatte mein Gedichtsbuch im Gepäck und würde an diesem Abend ausschließlich daraus lesen. Ob ich damit weiterkommen würde oder nicht, war mir von Anfang an gleich. Ich fühlte mich einfach verpflichtet, genau das zu bringen, was ich der ASF auch verdankte*.

Opferlamm Jonas
Das Opferlamm machte Tanas Comoderator Jonas mit einem melancholischen Text über das Sich-Vermissen zweier Liebender: „Ein Land steht zwischen uns“, und auch Tana wollte es sich nicht nehmen lassen, sich für uns zu opfern, und brachte ihr „verspätetes Muttertagsgeschenk“ das erste Mal ihrer Mutter auf einer Bühne dar, die ebenfalls im Publikum war. Dadurch empfand ich ihn noch eine ganze Ecke authentischer als ich den Text beim letzten Slam in Bad Nauheim spürte.
Außerhalb des Wettbewerbs starteten dann Lena und Simon, zwei Siebtklässler der Augustinerschule. Wir unterhielten uns bereits hinter der Bühne. Beide waren sehr nervös und fragten mich schubweise über die Bühne und meine Erfahrungen aus; ein Vorteil meines väterlichen Alters, sind meine zwei Kurzen doch nur unwesentlich jünger. Kaum standen die beiden auf der Bühne, sah man keine Siebtklässler mehr: Da standen zwei, die so reife Texte mit einer solchen Professionalität vortrugen, dass ich mehrfach den Zoom an meiner Kamera nutzte, um mich zu vergewissern, dass es wirklich die beiden nervösen Kids aus dem Backstage-Bereich waren, die dort vortrugen. Lena hatte einen sehr gut pointierten Text über ihren Schulweg, und Simon trug „1944 – Schicksalstorpedo“ vor: Harter Tobak für einen geschätzt 13-Jährigen, von der letzten Fahrt eines Marineschiffes im 2. Weltkrieg zu berichten. Beide waren grandios und der Applaus des nicht minder überraschten Publikums fiel entsprechend aus.

Der Märchenonkel
Dank an Volker Bunte für das Foto
Dann begann der Wettbewerb – mit dem klassischen Wertungssystem: Fünf Juroren im Publikum mit Tafeln von eins bis 10, die beste und schlechteste Wertung würde gestrichen, und wieder kam der mir verhasste Extrapunkt zum Einsatz. So wie ich es am meisten liebe, hatte ich mich unter das Publikum gemischt, oder, besser gesagt, es, der besseren Fotoposition wegen, flankiert. Kaum, dass ich es mir einigermaßen gemütlich gemacht hatte, wurde der erste Name aus dem Hut gezogen, und, aller Gemütlichkeit zum Trotz, war es meiner. Nicht mal mein Text war bei mir. Das Publikum musste warten, bis ich ihn geholt hatte, doch ich hatte den Eindruck, dass es gerne gewartet hatte, denn die Stimmung war fantastisch und die über 100 spannungsgeladenen Gesichter fieberten den ersten Texten knisternd entgegen. Ich hatte mir aus meinem Buch drei Gedichte ausgesucht, die thematisch gut zusammen passten. Es waren drei Gedichte, die sich humoristisch damit befassten, moderne Märchen in das Licht der Realität zu rücken. Ich begann mit ein paar flachen Scherzen über mein noch nicht allzu lange zurückliegendes Abitur, wurde von den Anwesenden, deren Vater ich, technisch gesehen, hätte sein können, praktisch gesehen, jedoch vermutlich von keiner und keinem war, dafür angemessen und höflich belächelt, erklärte, was das verbindende Element meiner drei Gedichte ist, und protzte in der Zwischenmoderation noch mit überflüssigem Wikipedia-Wissen über die Originale meiner umgeschriebenen Märchen. Ich machte den Anfang mit der Wahrheit über Hänsel und Gretel, fuhr mit selbiger über Andersens kleine Meerjungfrau fort und schloss mit der Wahrheit über Goldlöckchen und die drei Bären. Ich denke, die Pointen saßen und das Publikum hatte seinen Spaß. Mit 20 von 30 Punkten verließ ich die Bühne. Der Klassiker unter den Starter-Bewertungen, Goldilock-Points sozusagen.

Als zweite des Abends wurde Lisa Steinbrück vom Publikum aus dem Hut gezogen. Sie trug ein kritisches Gedicht über Sein und Schein der politischen und wirtschaftlichen Machthaber im Lande vor und „räumte damit Steine aus dem Weg für die Menschlichkeit“. Dem Publikum, das wirklich gut mitmachte und sehr motivierend war, bewertete mit 23 Punkten.
Elisa parla italiano
Dann kam Lena Noske auf die Bühne und trug ein Gedicht vor, das Ballett mit Poetry Slam verglich. Es war eine sehr schöne, metapherngetränkte Selbstdarstellung des lyrischen Ich und erhielt verdiente 27 Punkte.
Elisa brachte im Anschluss die sehr bildhafte deutsch-italienische Geschichte über ihren italienischen Vater in Deutschland auf die Bühne, die sie beim vierten Poetry Slam im Pastis, der nächste Woche Samstag im übrigen in die nächste Runde geht, bereits als Opferlamm zum Besten gegeben hatte. Sie berührte mich erneut und auch das Publikum, das 25 Punkte dafür vergab. An dieser Stelle muss ich allerdings auch ein Wort der Kritik fallen lassen. So gerne ich Tana mag und Elisa den Extrapunkt, der ihr gegeben werden sollte, gönne, aber Moderatoren sollten neutral sein und keine Extrapunkte vom Publikum fordern. Vielleicht ein Tipp für den nächsten Slam an der August. Bitte nicht persönlich nehmen. Dennoch war der Punkt dafür, dass sie auch italienisch vortrug, sicherlich kein unberechtigter. Italienisch ist toll. Frigorifero – wer würde ahnen, dass dieses wundervolle Wort nur einen Kühlschrank beschreibt. Ich liebe italienisch. Dabei kam das Wort Kühlschrank in Elisas Text überhaupt nicht vor.
Zwei lachende Gesichter: Bob und Sikau
Der Vierte in der Runde war Sikau Tan, der an diesem Abend, wie die meisten anderen auch, seinen ersten Poetry Slam bestreiten sollte. Er moderierte sich selbst mit reichlich Understatement an und überraschte im Anschluss umso mehr. Sein Text über „Alles und nichts und ihn mittendrin“ war voller gut platzierter Gags, was den ansonsten doch sehr ernsten Hintergrund wirkungsvoll kontrastierte. Dass er in Jugendsprache verfasst war – ich vermute jedenfalls, dass es welche war, denn ich spreche selbst nur Mittdreißigersprache – kam beim Publikum und auch bei mir sehr gut an, denn es brachte ein weiteres Quäntchen mehr Authentizität. 28 Punkte wurden es, zuzüglich eines Extrapunktes dafür, dass er angekündigt hatte, dass sich nichts reime, dann aber doch mit Dukati-Bugatti eine Assonanz fand, die seine eigene Ankündigung charmant korrumpierte.

Die folgende Poetin trat dann mit einem wirklich sehr intensiven Text an das Mikrofon, der viel Weltschmerz transportierte. Sikau hatte zuvor viele Lacher geerntet und noch reichlich Saat im Boden gelassen; das Publikum ließ sich einfach nicht mehr auf den unbestellten Boden zurückführen, den ein so tieftrauriger Text gebraucht hätte. Das dennoch sichtlich berührte Publikum konnte nicht anders: Es bewertete nur mit 20 Punkten. An anderer Position hätte der Vortrag vielleicht mehr Punkte davon getragen.
Morgan-Lee Wagner war die No. 6 im Wettbewerb. Ihre Schüchternheit, mit der sie ans Mikro trat, machte sie sofort sympatisch. Ihr Gedicht darüber, wie sie im Café saß und, mit sich selbst beschäftigt, ihre Umgebung wahrnahm, war eine sehr treffende Situationsbeschreibung. Jeder konnte sich darin ein Stück wiedererkennen. Auch ohne ihre offensichtlich große Fangemeinde im Publikum wäre eine hohe Bewertung gerecht gewesen. Ebenso wie der Extrapunkt – auch wenn ich selbige noch immer verabscheue. 24 Punkte wurden es.
Klassische Lyrik auf der Bühne
Alina Tredel brachte als Vorrundenletzte ein sehr klassisches Gedicht, das, wie sie in ihrer Anmoderation sagte, während eines herbstlichen Spazierganges an der Usa entstanden war. „Das Ende des Weges“ war auch das Ende der Vorrunde und leider auch für Alina. 21 Punkte erhielt sie. Vielleicht war das Gedicht zu kurz für die Erwartung des Publikums, wer weiß. Auf jeden Fall gefiel es mir sehr gut, besonders, weil mir der klassische Stil sehr zusagte. Ich hätte mehr Punkte gegeben. Nach einem Extrapunkt rief ich nicht. Doch wenn ich Extrapunkte gemocht hätte, so wäre mein Ruf gewiss der lauteste gewesen.

Letzte Wertung vor der Pause
Die Pause war voller schöner Gespräche mit so vielen Leuten wie noch nie: Theater, Poesie, Bühnenkunst und natürlich auch über gemeinsame Lehrer. Immerhin fand sich jemand, der meine alte Tutorin, Frau Jeide, noch in der fünften Klasse im Deutschunterricht hatte. Danach soll sie die Schule verlassen haben und in Pension gegangen sein. Ja, die fünften Klassen haben es in sich. Herr Kopenhagen, mein alter Kunstlehrer, unterrichtete noch. Das letzte Jahr allerdings. Ich hoffe, mein Gruß wird ihm ausgerichtet. Vielleicht blieb ich ja in Erinnerung.
In der Pause spiele Damons Band Mr. Cream and the Tickets, die auch zwischen den einzelnen Vorträgen kleine Jingles spielten (Tipp: Sie spielen am 24. Februar 2012 in der Alten Feuerwache in Bad Nauheim). Dieses Konzept, Poetry Slam auf der Bühne und Begleitung durch eine Band, finde ich wirklich klasse. Auch in Mainz hatte mir das schon sehr gefallen.

Elisas würdige Vertretung
Das Finale bestritten dann Morgan-Lee, die den Finalplatz von Elisa angetreten bekam – eine tolle Geste, Chapeau -, Lena und Sikau.
Morgan Lee brachte erneut einen begeisternden Text, nachdem mancher wohl tatsächlich nicht mehr nach der wahren Geschichte fragen wird; oder zumindest überdenken, ob ernstes Interesse am Gegenüber besteht oder man vielleicht nur Opfer des Small Talks ist. Sehr schön.
Lena brachte zwei zusammenhängende Gedichte über das „Du und ich“, über Phasen des Vorlebens zu ihrer Beziehung mit ihrem Freund. Sie hatten kein Happy End. In der Realität sollten sie eines haben. Die Gedichte trug sie mit ihrem ganz eigenen Duktus, den ich sehr schätze, und gewohnt routiniert und sprachlich perfekt vor.
Den Abschluss machte Sikau. Als er seinen abgelaufenen Terminkalender öffnete, sah man bereits die ersten wieder lächeln. Der Text handelte von seiner ersten Liebe, oder soll ich sagen: Obzession?, zu einer älteren Frau. Als er im Alter von zehn war. Sikau spielte sehr schön und ebenso gut pointiert wie bei seinem Vorrundentext mit der Erwartungshaltung. Ich hatte mich prächtig amüsiert und mit mir das Publikum. Der Applausentscheid war sehr eindeutig, auch wenn Tana und Jonas sich das Ohr des Tickets-Drummers leihen mussten, um zu einer Entscheidung zu kommen. Ich weiß, wie das ist. Im Publikum hört man das viel eindeutiger als auf der Bühne. Sikau wurde zum verdienten Sieger des Abends gekürt. Ich hoffe, ich sehe ihn mal wieder an einem Mikro. Wer weiß, vielleicht im April in Reichelsheim?
Glückliche und zufriedene Finalisten
Der närrischen Zeit gerecht werdend, bekamen alle Finalisten ein wundervolles karnevalistisches Kleinod als Trophäe, und so mochte sich der Spaß, den der Abend bereitet hatte, noch lange gehalten haben. Mir war es jedenfalls eine Freude. Es war ein schöner Abend, der super organisiert war, doch dennoch früh genug zu Ende gegangen war, um meiner kranken Freundin zuhause noch etwas Pflege zuteilwerden lassen zu können. Danke, Tanasgol! Danke, Jonas! Danke, ASF! Danke, Friedberg. Ladet mich gerne wieder ein.
Ich freue mich auf den 12. Februar und meinen eigenen Slam in Reichelsheim. Texte unter anderem von Lena und Tana gibt es dann auch wieder zu hören. Man darf sich also richtig vorfreuen.





* zur Klarstellung: die Einleitung hatte ich bereits am Vortag geschrieben. Nicht, dass jemand denkt: Da hat jemand den letzten Platz gemacht, kann nicht verlieren und will sich nun rechtfertigen ;-)

3 Kommentare:

  1. Sie sind aber echt viel unterwegs!!!
    Wow.


    Hab schon gar keinen Hut mehr, den ich noch ziehen könnte...

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  2. Hallo lieber Lichtträger, lange nichts mehr von dir lesen können. Alles im Lot? Hoffe ich doch! mkh

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  3. Erinnerungen sind etwas schönes. Ich gehe gerade erst aus der Schule raus, bin mir aber sicher, dass ich sie vermissen werde.

    Es freut mich, wenn ich ab und an mal andere Dichterblogs finde, vor allem welche, mit lesenswerten Texten.

    Ich würde mich über konstruktive Kritik von dir bei meinen Gedichten freuen.

    Liebe Grüße
    Simon

    http://simon-sagt.blogspot.de/

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