Astrid war wirklich sehr zornig. So hatte sie es sich nicht vorgestellt. An ein Leben voller Abenteuer hatte sie geglaubt, wenn es erst einmal so weit wäre. An ein Ende des faulen Rumliegens auf dem Aquarienboden. Nun hing sie hier auch nur rum. Und ihre neuen Spielkameraden waren die langweiligsten der Welt.
Dabei war sie so froh gewesen, als endlich jemand kam und sich für sie interessierte. Wer wäre das nicht gewesen? Schließlich war sie schon seit ein paar Jährchen hier und musste bereits vielen beim Kommen und Gehen zuschauen. Als gestern dieser alte Mann in Schwarz in die Zoohandlung kam, einfach so mit Bob, dem Alten, dem die Aquaristik-Abteilung unterstand, sprach und ein neues Zuhause, ein neues Leben, plötzlich so greifbar wurde, konnte sie ihr Glück kaum fassen. Er hatte sich auf seinen Gehstock aus Bambus gestützt und leise zu Bob gesprochen. Astrid hörte Bob antworten, dass er viele gemeine Seesterne habe, und sie beugten sich herunter zu ihrem Aquarium. Die dickwandige Brille des dunkel gewandten Herren berührte fast die Glaswand, als er den Boden nach einem Seestern absuchte, der voll von ihnen war.
Erst dachte sie, es würde Ruben sein, der aus dem Aquarium geholt würde. Ruben war der gemeinste Seestern, den sie kannte. Allzu oft hatte er ihr einen seiner Arme gestellt. Freilich hatte es stets fast eine halbe Minute gedauert, bis Astrid fiel, wenn Ruben mal wieder zugeschlagen hatte - die Fortbewegungsmethode eines Seesterns ließ wahrhaftig keine Geschwindigkeitsrekorde zu -, und, zugegeben, weh getan hatte sich Astrid auch nie, denn bei nicht einmal einem Meter Fortbewegung in der Minute – wenn Astrid es wirklich eilig hatte – reichte der Wasserwiderstand bereits aus, ihre Bewegung zum Erliegen zu bringen, doch ein gemeiner Seestern war er trotzdem. Typisch Mann. Kein Gehirn, dachte Astrid. Natürlich traf das auf alle Seesterne zu, doch auf Ruben ganz besonders, fand Astrid.
Jedenfalls stand Bob mit dem Mann vor dem Aquarium und pries die Seesterne an. Die üblichen Verkaufsargumente waren zu hören: Wie außergewöhnlich doch die blauen Seesterne seien, wie ungewöhnlich doch die 23 Arme dieses einen seien, wie groß doch jene in der Ecke seien, doch der schwarz Gekleidete, den Astrid insgeheim schon Johnny Cash getauft hatte, schüttelte stets nur den Kopf. Dabei schwang sein langer weißer Bart hin und her wie der Arm eines Novodinia antillensis, was ihn für Astrid immer sympathischer werden ließ.
„Diesen da hätte ich gerne!“, sagte er dann plötzlich mit dunkler brüchiger Stimme und deutete mit seinen Fingern, die in schwarzen Handschuhen steckten, direkt auf Astrid. Ja, Johnny, nimm mich, dachte Astrid. „Eine gute Wahl“, hörte sie Bob sagen, und schon kam er mit seinem Köcher und schwang ihn ins Wasser. Astrid sprang dem Köcher freudig entgegen, was in etwa genauso gut für Bobs und Johnnys bloße Augen zu beobachten war wie der Kontinentaldrift.
Was war Astrid doch für ein glücklicher Seestern. Sie konnte das Salz ihres neuen Aquariums förmlich schmecken. „I was born under a wand’rin star!“, sang sie vergnügt und hoffte, Johnny würde mit einstimmen. Oder hätte sie zumindest gesungen, wenn sie Stimmbänder gehabt hätte. Und Johnny hätte bestimmt mit eingestimmt, wenn er tatsächlich Cash gewesen wäre und wenn es Cash gewesen wäre, der vom vermeintlichen wandernden Seesternen gesungen hätte. Doch es war Lee Marvin. Und so sang niemand.
Nun kam Astrid in einen Wasser gefüllten Beutel, Geld wechselte den Besitzer und schon stand sie auf dem Beifahrersitz von Johnnys Cabrio. Neugierig schaute Astrid aus dem Fenster. Sie überholten auf dem Weg zu Johnnys Haus einen Pickup, aus dessen Fenster ein Hund schaute, der seine Freiheit und den Fahrtwind genoss. Sie nickte ihm wissend zu, was der Hund jedoch nicht bemerkte und daher weiter ungestört Freiheit und Fahrtwind genoss. Nach kurzer Zeit waren sie angekommen. Johnny schob die papiernen Türen seines Bungalows zur Seite und dann, kaum waren sie drinnen, wurde es etwas merkwürdig. Der Boden war mit Schaumstoffmatten ausgelegt. Ein hölzerner Mann stand in der Ecke und begrüßte sie nicht einmal. Dann all diese fernöstlichen Waffen. Johnny legte Astrids Beutel auf einen Tisch mit zu kurzen Beinen und zog seinen schwarzen Mantel aus. Dann ließ er seine Fingerknöchel knacken, holte Astrid aus ihrem Beutel und positionierte sich in der Mitte des Raums. Johnny atmete ruhig und konzentriert. Körperspannung baute sich auf, und plötzlich wurde Astrid Johnnys Irrtum klar: In die Jahre gekommene kurzsichtige Ninjas sollten einfach nicht mehr alleine einkaufen gehen.
Ui. Die arme Astrid.
AntwortenLöschenSie haben aber auch Ideen, werter Lichtträger. *lach*
Und Ihre Wortbestätigung klingt heute nach irgendeiner Medizin:
verombol
Haha!! Also jetzt erst recht - nach deinen Versen vom Seestern... "...von Magiern und Gangstern, // vom zornigen Seestern. // Nun, vom Letzten noch nicht, // doch der Reim war mir Pflicht..." ;-)
AntwortenLöschenLESEN werde ich die Astridsaga aber erst später oder morgen oder ... - weil ich mir den Glanz deiner Seesterntaler mit Ruhe und zum richtigen Moment reinziehen will.
Jetzt gehts erst einmal weiter zu gaaanz anderen Textspielereien, mit denen ich mir meine richtigen Goldtalerchen verdiene.
Liebe Frau Meise, schön, sie zum Lachen gebracht zu haben. Und nicht zum Husten, was einfacher gewesen wäre ;-)
AntwortenLöschenDarauf einen Löffel verombol - was sich aber eher nach einem Wahrheitsserum des italienisches Geheimdienstes anhört
Ich bin erfreut, lieber mkh, dass Astrid exklusive Zeit gegönnt wird. Bin schon gespannt, ob es bei dir ein Lachen oder Husten werden wird :-)
Uuuh, wenn sich das nicht irgendwo verwenden ließe... :D
AntwortenLöschenHmmmm ;-)
AntwortenLöschenMoment mal... Woher wusstet ihr denn jetzt, dass ich hauptberuflich meine Zeit mit der kreativen Text- und Markennamenentwicklung für geheime Mittelchen eines geheimen mediterranen Nachrichtendienstes nutze?!! rombol, neapol, fontanellol, verombol, verombol... - hm, das stammt doch von mir, wenn ich mich nicht irre... Francesco, komm doch mal bitte ...
AntwortenLöschenHerr, Geheimdienstmann, sollte dir der Schatten in deinem Rücken noch nicht aufgefallen sein, Marcello, zeig ihm doch mal, wer hier so viel Schatten wirft. Fontanellol hilft übrigens gegen den Kopfschmerz, der durch Marcelloitis verursacht wird ;-)
AntwortenLöschenLustig, die Geschichte, also nicht für Astrid. Obwohl? Für die geht es jetzt etwas schneller zu im Leben als zuvor, als ihr der gemeinste Ruben immer eins ihrer fünf Beine stellte.
AntwortenLöschen[By the way sollte es an jener Stelle mit Ruben nicht heißen "Allzu oft hatte er ihr einen ihrer (!) Arme gestellt" statt "einen seiner (?) Arme"?!? Wobei dies bei Seesternen ja auch nicht auszuschließen wäre, vor allem bei den 23-Armigen.]
[Übrigens finde ich, dass die Kontinentaldrift vulgo Plattentektonik im Vergleich zu Astrid wirklich ungeheuerlich langsam ist. Außer in San Francisco vielleicht. Warum muss ich jetzt gerade an Franceso denken?]
Und, nein, ich habe nicht gehustet, sondern laut in die tiefe Nacht gelacht - und dabei auch noch viel über Seesterne, Ninjas und Kurzsichtigkeit gelernt.
Jetzt mache ich aber Feierabend!
Also ein Lachen und kein Husten. Das beruhigt mich sehr. Die in die Nacht gesprühten Lachtränen schützen die herum hängende Astrid nämlich vor dem Austrocknen.
AntwortenLöschen[Über das Bein Stellen hatte ich tatsächlich auch nachgedacht. Letztlich war ich zum Schluss gekommen, dass es einen seiner Arme heißen müsste. Ich denke, es kommt sinngemäß von "in den Weg stellen". Insofern muss es der eigene Arm / das eigene Bein sein, den / das man in den Weg stellt, so dass sich der gewünschte Erfolg einstellt, nämlich, dass der Gestellte sich nicht weiter stellt, sondern fällt und damit liegt.]
Fontanellol? San Franzisco? Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass du eine Fortsetzung zu Francesco Fontallo wünschst. Vielleicht ist es aber auch nur ein Zufall ;-)
Mich würde auch interessieren, ob sich der Igel mittlerweile mit einer Haarbürste eingelassen hat und mit ihr gemeinsam die Winterruhe verbringt. Ach, und Frau Zuckerman, lebt sie noch? und überhaupt... ja, Zufall!
AntwortenLöschenOch, die arme Astrid! Aber die Geschichte gefällt mir gut! :)
AntwortenLöschenMerci. Doch immerhin ärgert sie Ruben nun nicht mehr ;-)
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