Dienstag, 5. Februar 2019

Da platzt der Kragen


Sie waren mir nie aufgefallen, und das obwohl ich nun bereits den fünften tierleidfreien Winter überstanden habe. Doch neulich, auf dem Weg ins Büro, da stachen sie mir das erste Mal ins Auge: Menschen, die sich mit Fell um Kopf und Kragen wärmen. Ich war erschrocken, was aber auch daran liegen mag, dass der Akku meines Smartphones leer war und ich den Weg zum ersten Mal mit nach vorne gerichtetem Blick ging. Vor mir waren eine Frau mit Fellbesatz um ihre Schuhe herum, dann zwei Männer mit braunem Fellrand um die nicht auf dem Kopf getragene Kapuze, etwas links ein älterer Herr im Wildledermantel mit fellbesetztem breitem Kragen und zahlreiche Kinder mit fellbebüschelten Strickmützen. Ich begann nachzudenken. Wie geht man mit dem um, was zuhause im Schrank hängt, aber nicht mehr der eigenen Lebensrealität entspricht?

Letztes Jahr habe meinen alten, treuen Lederblouson weggegeben – eben weil er aus Leder ist und ich kein Kleidungsstück mehr im Alltag tragen wollte, das für Tierleid steht. Konsequent war ich dabei allerdings nicht, denn meine Lederschuhe trage ich noch und auch meine Lederjacke, die Heavy-Metal-Konzert-Besuchen vorbehalten ist. Ich räume ein: Vielleicht war das Tierleid gar nicht mal ausschlaggebend, sondern mehr, dass ich den Blouson einfach nicht mehr schön an mir fand. Ich denke weiter über das Dilemma nach. Darf ich mich Veganer nennen, aber nicht-vegane Kleidung tragen? Reicht es, künftig keine tierische Kleidung mehr zu kaufen, um den Tierschutz zu fördern? Ist es nicht ökologischer, bereits gekaufte Kleidung zu tragen, bis sie auseinanderfällt, statt sie weiterzugeben oder gar zu entsorgen und neue kaufen zu müssen?

Als ich mich im Alter von 19 Jahren entschied, vegetarisch zu leben, lud ich an einem Abend Freunde ein, mit denen ich sämtliche Fleisch- und Fischkonserven aß, die ich noch hatte. Ab da hatte ich einen vegetarischen Haushalt. Nun kann ich meine Freunde schwerlich dazu einladen, meine Kleidung zu essen. Sie zu verwenden, bis sie analog der Konserven von der Nutzung verzehrt wurden, würde wohl ein lebenlang dauern, denn gut gepflegtes Leder ließe sich gar seinen Kindern vererben. Wie geht man also mit diesem Zwiespalt um?
Den smartphonefreien Arbeitsweg nutzte ich, um zu forschen. Ich erhob in meinem U-Bahn-Wagon eine repräsentative Stichprobe. Ergebnis: Jeder fünfte Fahrgast trug Fellkapuze. Da wir weder in der Arktis leben, noch die Fahrgäste aussahen, als seien sie eine Touristengruppe der Inuit, wunderte ich mich. Welchen Nutzen hat eine solche Kapuze dann? Kaum war ich im Büro und hatte Ladestrom, gab ich „Fellkapuze“ in die Suchmaschine ein. Gleich das erste Ergbnis verriet: „Fellkapuzen sind für jede modische Jacke ein MUSS!“

Mir fielen gleich eine ganze Reihe solcher Werbesprüche ein: „Geländewagen sind für den zeitgemäßen Stadtmenschen ein MUSS!“, „Kohlekraftwerke sind für das Klima von morgen ein MUSS!“ oder „Massentierhaltung ist für den Feinschmecker ein MUSS!“ Ein Fellkragen ist ebenso wenig notwendig, um nicht zu frieren, wie ein SUV, um in der Stadt voranzukommen. Wenn Mode, der Geschmack oder allein der Werbetexter darüber entscheidet, ob Tiere leiden, ist die Entscheidung gefallen. Ich möchte lieber selbstbestimmt sein, und meine Entscheidungen vom Verstand statt von anderen und gar von Oberflächlichkeiten wie Mode oder Geschmack leiten lassen. Mein Kleiderschrank wird vegan, und vielleicht falle ich ohne Lederjacke beim Metalkonzert ja gar nicht so auf – solange ich eine Jeans-Kutte trage.

Bild: Fotograf: Berli Berlinski / Design und Realisation: Marcus Müller Pelzdesign, Regensburg
Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung 3.0 nicht portiert

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