Samstag, 31. Mai 2014

Polizisten haben es schwer, Journalisten offensichtlich auch

Ja, ihr von RTL habt es vermutlich gut gemeint. Ihr wolltet zeigen, dass es unangenehm ist, angepöbelt zu werden, dass man sich schlecht fühlt, wenn man beleidigt wird, und dass es wirklich schlimm ist, körperlich angegangen oder mit Gegenständen beworfen zu werden. Insbesondere dann, wenn man nur seinen Job macht und dieser Job der des Polizeibeamten ist, der doch eigentlich Respekt und Wertschätzung verdient. Ihr wolltet eine Lanze brechen für die Polizei. Das kann ich nur begrüßen. Was Ihr mit eurem RTL-Extra-Beitrag tatsächlich machtet und am 19. Mai im Fernsehen zeigtet, war etwas völlig anderes: Eine fragwürdige Berichterstattung zu Lasten der Migranten in Deutschland.




1. Mai 2014, Berlin, die Links-Autonomen haben Verstärkung bekommen: Es kommen immer mehr Migranten zum traditionellen Steinewerfen auf Beamte, heißt es da sinngemäß. Das gemeinsame Ziel und Hassobjekt: Die Polizei. Und neben dem 1. Mai sei das auch so im Polizeialltag. Im Anschluss werden Jugendliche interviewt, die wohl kaum repräsentativ für die Migranten in Deutschland sind. Ein junger Mann wird befragt und sagt wörtlich: „Warum soll ich die ernst nehmen? Ich baue jede Scheiße, und ich komm nicht in den Knast rein. Warum? Weil ich klug bin! […] Mein Anwalt ist der Beste. Er holt mich danach raus.“ Ganz ehrlich, RTL, dieser junge Bursche hat gewiss nicht „jede Scheiße“ gebaut. Er ist eben nicht der große Gangster, als der er sich darstellt. Und deshalb ist er auch nicht im Knast. Er trägt auf, wie das Jugendliche nun mal machen. Insbesondere dann, wenn sie vor einer Kamera stehen und genau wissen, welche Show von ihnen erwartet wird. Der junge Bursche hat sich vielleicht geprügelt, vielleicht ist er mit Gras erwischt worden oder hat sogar mal Papas Auto ohne Führerschein gefahren. In den Knast kommt er dafür in Deutschland nicht. Nicht mal, wenn er sich gleichzeitig in Papas ohne Fahrerlaubnis geführten Auto einen Joint in den Mundwinkel steckt und seinem Beifahrer Backpfeifen gibt. Und das ist gut so. Ich möchte kein Deutschland, das einfach wegsperrt, wer nicht ins Konzept passt. Wenn das so wäre, hätten wir recht freie Straßen. Ich denke, die meisten, die auf ihre Einkommensteuerrückzahlung warten, sind recht froh darüber. Zurück zu dem jungen Mann. In den Knast kommt er auch deshalb nicht, weil das ist nicht Ziel des Jugendstrafgesetzes ist, dem der junge Mann augenscheinlich unterliegt. Das Jugendstrafgesetz richtet sich vorrangig am Erziehungsgedanken aus. Und auch das ist gut so. Es liegt also weder an der Klugheit des Interviewten, noch am befreundeten Staranwalt, dass er nicht im Knast ist, sondern daran dass die Jugend eben nicht in den Knast, sondern auf den rechten Weg gebracht werden soll. Und auf dem werden die meisten landen. Weil sie eben irgendwann durch Sozialstunden so klug werden, wie sie jetzt schon behaupten zu sein. Und, RTL, behaupten lässt sich leicht, dass man einfach so 60 Sozialstunden bestätigt bekommt, ohne sie gemacht zu haben. In meinen Augen hat da einfach ein Weiterer markiert und das Beinchen gegen den wankenden Laternenmast des Kölner Sensations-Journalismus gehoben. „Respektlose Provokationen und Kampfansagen von jungen Migranten mitten in Deutschland“, kommentiert die Redakteurin die Aussagen der Jugendlichen. Bei aller Liebe, aber wo war hier die Provokation und wo die Kampfansage, und was hat der Hinweis „mitten in Deutschland“ hier zu suchen? Da es geografisch augenscheinlich falsch ist, hättet ihr doch gleich sagen können, was beim Zuschauer ankommen sollte: „Mitten unter uns Deutschen!“

Dann der Schwenk zum Videodreh einer Reportage über einen Diensthundeführer in Zivil. „Plötzlich wird der Beamte aggressiv von diesem Schwarzafrikaner angegangen!“, klagt die Sprecherin an. Nö, ihr werdet aggressiv angegangen, weil der zugegeben sehr aufgebrachte Mann, nicht gefilmt werden will. Gewaltfreie Kommunikation scheint nicht seine Stärke zu sein, auch das zugegeben. Doch selbst als der Diensthundeführer sich als Polizist zu erkennen gibt, wird er nicht aggressiver als er es zuvor schon war. Warum klagt ihr also nicht an, dass er das RTL-Team aggressiv angegangen hatte? Angesichts solcher Reportagen wundert mich das nicht. Auch frage ich mich, weshalb ihr in bester Kolonialistenmanier betont, dass es ein "Schwarzafrikaner" sei. Es ist ziemlich offensichtlich, dass er dunkle Haut hat. Ob er deshalb gleich aus "Schwarzafrika" kommen muss, kann man wohl nur als Journalist bei RTL so schnell orakeln. Und die Bezeichnung allein spricht schon Bände, ist sie doch eigentlich eher Menschen zuzuordnen, die nachts zur Wahlzeit mit langen Leitern umherlaufen. Ich sehe einen Menschen, der aufgebracht ist, wie es Menschen aller Hautfarben sein können. Aufgebracht zu sein, ist nichts, das dunkle Haut mit sich bringt. Nach Deutschland migriert zu sein, schon gar nicht. Allenthalben vielleicht etwas, das mache TV-Doku in einem bewirkt. Nicht nur, aber gerade als Migrant.
„Beim kleinsten Fehler könnte er hier eine Anzeige wegen Rassismus riskieren!“, rechtfertigt die Sprecherin die passive Haltung des Zivilbeamten. Ah, ja! Eine Anzeige wegen Rassismus! So, so! Was soll das denn für ein Paragraph sein? Volksverhetzung? Dafür sind die Hürden aber mal wirklich riesig. Dafür würde nicht mal reichen, ihn als "Schwarzafrikaner" zu bezeichnen. Okay, der Beamte hätte ihn natürlich auch deeskalierend im Gespräch auf die Sachebene führen und ihm erklären können, dass gar nicht er gefilmt wurde, sondern dass es tatsächlich um ihn selbst und seinen Hund gehe. Er hätte ihm versichern können, dass seine Persönlichkeitsrechte und sein Recht am eigenen Bild selbstverständlich gewahrt würden. Der Beamte hat die Lage anders beurteilt. Er kam zum Schluss, dass er die Situation nicht deeskalieren kann. Er zog sich aus der Situation zurück. Nur er kann die Situation beurteilen, und seine Entscheidung war ebenso richtig. Offenbar, denn es kam zu keiner Eskalation. Es mag nicht genug Action gewesen sein, um eine einseitige Berichterstattung zu beleben, aber, liebes RTL, das ist auch nicht der Wilde Westen. Das hier ist nicht mehr die Polizei, die prügelt, wenn jemand frech ist, die jemanden Repressalien aussetzt, der Widerworte gibt. Der sich zu unrecht gefilmt gefühlte Passant war laut. Er war aufgebracht. Er trat sicher auch aggressiv auf. Aber eins war er gewiss nicht: Ein Fall für die Polizei. Man darf laut sein, aufgebracht und auch aggressiv. Er gibt kein Gesetz dagegen. Der Beamte hat alles richtig gemacht. Es gab keine rechtliche Grundlage einzuschreiten. Nichts ist eskaliert, alles bestens. Nochmal: Das ist nicht der Wilde Westen. Es gewinnt im Polizeialltag nicht, wer am Ende mit rauchendem Colt oder aufgeplatzten Fäusten als Letzter noch steht. Natürlich mag es an einem nagen, angeschrien zu werden, obwohl man doch nichts gemacht hat. Schließlich hatte der Beamte nur seinen Hund und nicht die Kamera geführt. Doch das geht vorbei. Man kann immer mal zwischen die Fronten geraten. Auch als Polizist. Doch eine Situation eskalieren, bis ein Grund zum rechtmäßigen Einschreiten besteht, das wäre gewiss nicht mehr, was zu recht als Rechtsstaat zu bezeichnen wäre.

Und der Leserbrief, na ja, ob er nun von einer Polizistin mit Migrationshintergrund geschrieben wurde oder nicht, das ist doch letztlich ohne Belang. „Wie sieht die Zukunft in Deutschland aus, wenn straffällige Migranten sich weiterhin weigern, die Regeln in ihrem Gast- beziehungsweise Heimatland zu akzeptieren?“, schreibt die Beamtin und „Meine deutschen Kollegen scheuen sich, ihre Meinung über die straffälligen Ausländer zu äußern, da sofort die alte Leier mit den Nazis anfängt. Das ist jedoch kein Grund, den straffälligen Ausländern hier in Deutschland alle Freiheiten zu lassen.“ Warum nur Migranten? Begehen nur Migranten Straftaten? Ist es ein Privileg des Deutschen ohne Migrationshintergrund in Deutschland Straftaten begehen zu dürfen? Vielleicht sollte man es unter Strafe stellen, wenn Migranten in Deutschland Straftaten begehen. Quasi als strafverschärfendes Tatbestandsmerkmal. Fairerweise sollte man natürlich die Strafverschärfung etwas mildern, wenn es ein deutscher Migrant ist. Am besten ein mehrstufiges System: Einfach wird der Deutsche ohne Migrationshintergrund bestraft, dann steigert sich die Verschärfung vom Deutschen mit Migrationshintergrund im weiteren Sinne, über den Deutschen mit Migrationshintergrund im engeren Sinne und den Ausländer mit Migrationshintergrund bis zum Ausländer ohne Migrationshintergrund. Damit könnten wir jedem Migranten und jedem Ausländer schon allein durch Lektüre des Strafrechtes klar machen, wer in Deutschland die Verbrecher sind. Wir wollen keine Migranten und Ausländer, die unsere Verbrechen begehen. Wer es doch macht, wird so richtig bestraft. Aber so richtig! Damit wäre den straffälligen Ausländern auch gleich die Freiheit wieder genommen. Wo kommen wir denn da hin, wenn jeder in Deutschland alle Freiheiten hätte.

Und zur Musik der aufspielenden Nazi-Leier singt Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) dann das Lied vom Disziplinarverfahren. Jeder kann seine freie Meinung äußern, solange sie keine Normen und Gesetze verletzt. Dazu haben unsere Vorfahren vor Jahrhunderten das Grundgesetz erkämpft. Auch bei der Polizei ist das so. Wie kann es dann Disziplinarverfahren geben? Hierzu muss man sich zunächst die Frage stellen, was für eine Meinung es über straffällige Ausländer überhaupt geben kann? Bleiben wir doch bei dem ersten Beispiel der Reportage, den „Migranten, die zum traditionellen Steinewerfen auf Berliner Beamte hinzukommen“. Der Migrant kommt zum traditionellen Steinewerfen. Wer ist dieser Migrant? Der Besitzer des türkischen Imbiss, der mir immer ein paar Falafel mehr draufpackt, wenn ich zu Mittag bei ihm esse? Nein, gewiss nicht. Der war noch nie in Berlin. Ich habe ihn gefragt. Ich glaube ihm. Also schon mal nicht der Migrant an sich. Also Berliner Migranten? Ekin Deligöz ist Berlinerin und sie ist Migrantin. Darüber hinaus aus Bayern zugezogen. Hat einen doppelten Migrationshintergrund, wenn man so will. Ob sie wohl zum Steinewerfen kommt? Sie ist andererseits Mitglied des Deutschen Bundestags. Dort sieht man das vermutlich nicht so gerne. Auch nicht bei den Grünen. Also sind es wohl auch nicht die Berliner Migranten an sich. Vielleicht nur die eines bestimmten Stadtteils? Oder einer bestimmten sozialen Schicht? Oder eines bestimmten Bildungsgrades? Oder vielleicht sind es nur vegan lebende Migranten, deren Vorname mit F beginnt und die einen Hund mit abgeknicktem linken Ohr haben. Fakt ist, sobald bekannt wird, dass Faisal tierische Produkte ablehnt und das linke Ohr seines Hundes Fluffy eine verdächtige Neigung hat, ist auch diese superspezifische Gruppenbezeichnung nicht mehr geeignet, zu beschreiben, wer sich da den Links-Autonomen angeschlossen hat, um traditionsbewusst Steine auf Polizisten zu werfen. Und sind wir mal ganz ehrlich, wenn wir Faisal wären und gerade mit Fluffy spazieren gingen, keiner von uns würde gerne schief angeschaut werden, weil jeder denkt, wir gehörten zu eben jenen vegan lebenden Migranten, deren Vorname mit F beginnt, die einen Hund mit abgeknicktem linken Ohr haben und traditionell am 1. Mai zusammen mit den Links-Autonomen Steine auf Polizisten werfen. Ich kann mich folglich gar nicht über „die straffälligen Ausländer“ und Migranten äußern. Es ist schlichtweg nicht möglich. Es gibt eben „die Ausländer“ nicht. Es gibt nur Verallgemeinerungen. Und mit der Verallgemeinerung geht stets eine Gruppendiskriminierung einher. Zumindest in Hessen gibt es einen Erlass des Ministeriums des Innern und für Sport, der insbesondere Minderheitenbezeichnungen im internen und externen Sprachgebrauch zu verwenden, untersagt. Das ist richtig und wichtig. Denn ebenso wenig, wie der Franzose an sich, stets ein Baguette unter dem Arm und eine Baskenmütze auf dem Kopf trägt, startet der Migrant an sich jeden Mai mit Steinewürfen. Verstöße gegen den Erlass werden gewiss nicht immer disziplinarisch bei der Polizei geahndet, doch zumindest führt es dazu, dass sich schriftlich damit auseinandersetzen muss, wer es dennoch macht.

Und obwohl das Vorangegangene bereits musikalisch grenzwertig genug war, liebe RTL-Extra-Redaktion, stimmt Wendt prompt mit der Leier erneut an und spielt das Lied von der sich in den letzten Jahren rasant gesteigert habenden Zahl der Anzeigen von Migranten gegenüber deutschen Polizeibeamten wegen Ausländerfeindlichkeit. Ach, ja? Es gibt in der polizeilichen Kriminalstatistik keine offiziellen Zahlen über Täter mit Migrationshintergrund, sagt ihr selbst, aber über den Migrationshintergrund von Anzeigenerstattern gegen Polizeibeamte gibt es eine bundesweite Statistik? Da bin ich ja mal auf die Quelle gespannt. Und auch auf die Rechtsgrundlage für eine solche statistische Erfassung. Zum Pech klammert sich Wendt fest an das Instrument und spielt zu folgendem Text enthusiastisch auf: „ [Dass] In bestimmten Kriminalitätsphänomenen viele Mitglieder bestimmter Migrantengruppen überrepräsentiert sind.“ Oh, ha! Wo ist diese Statistik nun wieder her, wo doch die Polizeiliche Kriminalstatistik, wie beiderseits festgestellt, keine Tabellen über Täter mit Migrationsintergrund kennt. „Mit dieser differenzierten Betrachtung kommt man dann auch weiter, weil es die Wahrheit ist, und mit der Wahrheit kommt man immer am weitesten“, sagt Wendt. Ja, stimmt, weit kommt, der die Wahrheit kennt. Die Statistik kennt sie nicht. RTL und Wendt auch nicht. Dafür weiß Wendt dass es „eigentlich der Normalfall [ist], dass Polizisten, sobald sie in Kontakt mit Ausländern tätig werden, angezeigt werden oder zumindest beschimpft werden, rassistisch zu sein.“ Oh, Himmel. Dazu fällt mir jetzt nichts mehr ein. Wirklich nichts. Das passt aber zum Rest: „Je schwächer der Staat auftritt, umso mehr ermuntert er diejenigen, die seine Autorität nicht akzeptieren, Gewalt anzuwenden.“ Aus dem Munde von jemandem, der laut Wikipedia die Auffassung vertritt, polizeiliche Einsatzmittel müssten wehtun, damit sie wirken, und der ein Freund des Racial Profiling ist, passt beides sehr gut. Ein gut gewählter Interviewpartner, liebes RTL, wenn man die Mär vom gewalttätigen Migranten erzählen und Ausländerfeindlichkeit schüren will. Genau wie die markierenden Jugendlichen. Der erste, der etwas Vernünftiges sagt, kommt ganz zum Schluss zu Wort, der Berliner Polizist Karim el Sarraf. „Teilweise dauert es einfach zu lange bei straffällig gewordenen Jugendlichen bis sie von der Aufnahme Justiz braucht zu lange“, sagt er. Und genau darum geht es, um straffällig gewordene Jugendliche. Nicht um Ausländer, nicht um Migranten. Schade, dass Herr el Sarraf nicht ausschließlich zu Wort kam.

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