Dienstag, 5. Juni 2018

Neugeborene und die Ökobilanz



In meinen Vorträgen werde ich oft gefragt, was der Einzelne denn schon erreichen könne. Die Frage ist berechtigt. In Deutschland brauchen wir im Schnitt 3,2 Erden, will sagen: Wenn jeder so lebte wie wir, müsste die Erde dreikommazweimal so groß sein. Wir leben also in einem großen Ressourcen-Defizit, das – global betrachtet – nicht einmal die Menschen auszugleichen in der Lage sind, die den afrikanischen Kontinent bewohnen und im Schnitt weniger als eine Erde an Ressourcen beanspruchen. Selbst wenn ich mich auf den Bedarf einer Erde reduzierte und damit quasi in Einklang mit der Natur lebte, muss nur ein weiterer Mensch in Deutschland geboren werden, um meine Bemühungen zunichte zu machen. Eins plus 3,2 ist gleich 4,2. Das macht einen Schnitt von 2,1 Erden pro Person. Reicht nicht! Der junge Mensch gibt dann bald sein Taschengeld für Einwegplastikflaschen am Schulkiosk aus und trinkt die schwarze Zuckerbrühe neben den Rauchern stehend heimlich hinter dem Physikbau.

Natürlich erreiche ich als Blogger, Netzwerker und auch über Vorträge mehr Menschen als nur jenen zweifelnden Einzelnen. Sagen wir, dass es fünf Menschen pro Vortrag wären, die ihren Lebensstandard auf einen Ressourcenbedarf von einer Erde reduzierten, dann glichen sie ein durchschnittlich bedürftiges Neugeborenes in Deutschland zumindest großzügig kaufmännisch abgerundet aus. Leider ist Deutschland keine Insel. Emigrierte der Säugling nach der Geburt in die USA, mit ihrem Ressourchenbedarf von fünf Erden, wäre auch dann alles für die Füße. Selbst ohne die Auswanderung wird es mathematisch kritisch. Es werden täglich über 2.100 Kinder in Deutschland geboren. Durch die Vorträge und Workshops aller Ökos in der Republik müssten folglich täglich über zehntausend Menschen erreicht und zum Ressourcensparen bewegt werden. Spätestens jetzt müsste ich eigentlich das Handtuch werfen! Peace Out! Ich bin raus und gehe mit meiner PET-Flasche in der einen und einem Schnitzelbrötchen zu einem Euro in der anderen Hand zu den Kids hinter dem Physikbau.

Kürzlich unterhielt ich mich mit einem Freund und gestand, dass ich manchmal skeptisch bin, ob ich überhaupt genug mache – gerade in Anbetracht all der Menschen, die immer wieder unsicher sind, was sie überhaupt alleine ausrichten können. Seine Worte verblüfften mich. Ob ich eigentlich wisse, was ich bereits bewegt habe, fragte er? Er selbst habe sein Leben völlig umgekrempelt und mindestens acht seiner eigenen Freunde hätten es ihm nachgetan. Alles meinetwegen und der Dinge wegen, die ich vorgelebt hätte.

Vielleicht muss die Frage, was der Einzelne erreichen kann, umgestellt werden und sollte lauten, wen der Einzelne erreichen kann. Nämlich Familie, Freunde und Bekannte. Mit Ideen, mit dem, was man vorlebt, mit dem, was vielleicht in einem Vortrag, in einem Workshop oder auch in einem Blog oder auf Youtube gesehen wurde. Wenn jeder den guten Willen an fünf Menschen weiterträgt und sie inspiriert, werden aus den fünf in der zweiten Ebene schon 25, in der dritten 125, und in der fünften Ebene haben wir schon eineinhalb Tage voll in Deutschland Neugeborener ausgeglichen. Irgendwann ist dann die nötige Menge Mitmachender erreicht, und es braucht gar keine Einzelimpulse mehr. Dann haben wir eine Bewegung, und die führt in Richtung eines angemessenen Umgangs mit unserem Planeten. Wer sagt, Reden sei Silber und Schweigen Gold, muss zwingend bedenken, dass auch diese Edelmetalle endliche Ressourcen darstellen. „Tue Gutes und rede darüber!“ ist die Formel.

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