Mittwoch, 13. Februar 2008

Totentunnel

Kapitel I

Panisch blickt er sich um. Links und rechts von ihm nur eine kahle dunkle Metallwand. Seine nackten Füße frieren auf dem schwarzen glatten Boden. Bebend, mit panischem, wirrem Blick, hebt er seine Hand und fühlt seinen Hinterkopf. Diese eine schmerzende Stelle fühlt sich heiß an, während er am ganzen Körper vor Kälte zittert. Vor Kälte und Angst. Blutrote feuchte Fingerkuppen zeigen sich ihm, als er seine Hand betrachtet. Er erinnert sich an nichts. „Wie bin ich bloß hierher gekommen? Was mache ich hier? Oh, mein Gott!“ sind die einzigen Worte, die seine Gedanken immer und immer wieder füllen. Er erinnert sich, seinen Wagen nach der Arbeit am Park geparkt zu haben. Er erinnert sich, noch etwas spazieren gegangen zu sein. Dann kam dieser dumpfe Schlag auf seinen Hinterkopf. Dieses Bild, wie er ausgesehen haben mag, als er die Augen nach oben drehte und wie seiner Knochen beraubt einfach zusammensackte, drängt sich immer wieder in seinen Schädel. Sonst nichts. Keine Erinnerung.

Dann das Aufwachen. In einem grünen Krankenhaushemd. Zusammengekrümmt auf dem kalten Boden eines düsteren schier endlosen Tunnels. Diffuses Licht dringt aus kleinen seltenen Oberlichtern in den Tunnel ein und erhellt ihn für wenige Meter, um ihn dann bis zum nächsten Oberlicht wieder in tiefer Dunkelheit zu belassen. Es herrscht Stille. Todesstille.

Er setzt einen Fuß nach vorne. Dann noch einen. Den Blick stur geradeaus gerichtet. Die Augen zu engen Schlitzen gekniffen. Nur nichts zu spät sehen. Nur nichts zu spät hören. Langsam schreitet er dem nächsten Oberlicht entgegen. Nur Licht. Keine Geräusche daraus. Das nächste Oberlicht ist einige Meter entfernt und dazwischen wartet ungewisse Dunkelheit. „Oh Gott! Wie komme ich nur hier her“ frisst sich erneut in seine Seele ein. „Hallo?“. Ein zaghafter Ruf in die Dunkelheit. „Hallo?“ Dieses mal lauter. Keine Reaktion. Kein Echo. Kein einziger Laut. Langsam geht er voran und der Dunkelheit entdecken. Nervös blickt er sich um.
„War da ein Laut! Nein. Ich habe mich wohl geirrt. Ich drehe langsam durch.“
Er atmet schwer, doch er schleppt sich wieder einen Schritt nach vorne.

Jetzt komme ich zum Zug. Wie immer in diesen Momenten, wenn ich die Angst durch die Luft zu schmecken beginne. „Du irrst nicht!“, hört er nun in seinem Kopf. Ein Schrei.
„Wer ist da? Zeig Dich. Wer ist da? Mir machst Du keine Angst!“.
Das ist eine Lüge. Ich spüre es. Ich rieche die Lüge. Langsam gehe ich ihm entgegen. Er hört die Schritte. „Ich komme jetzt zu Dir“ drängt sich mir meiner Stimme in seine Gedanken.
„Oh, mein Gott!“
Ich spüre, wie die Luft vibriert. Er ist in einer Angststarre. Wie viele vor ihm auch. Ich hoffe, er wird daraus erwachen bis ich bei ihm bin. Länger als 20 Sekunden dauert es selten. Ich beschleunige meine Schritte. Die Geräusche von vier krallenbewehrten Läufen auf einem harten Steinboden. Der Widerhall von den Tunnelwänden. Es wird ihn aus seiner Trance wecken.

Und dann höre ich es. Ein Schrei. Aus den Tiefen der Seele. Ich bin wieder der Jäger, als der ich geboren wurde. Ich beschleunige. Jetzt sehe ich ihn vor mir. Barfüssig, in seinem klinischen Gewand, so wie ich sie mir immer serviere. Er rennt so schnell er kann. Ich höre seine Lunge pfeifen. Ich hoffe, kein Raucher. Er schwitzt. Bei dem Gedanken an den Schweiß, bildet sich Speichel in meinem Mund. Meine Zunge hängt heraus. Nur noch weniger Meter.

Ich sehe das Weiße seiner Augen als er sich im vollen Lauf nach mir umdreht. Seine Augen weiten sich. Sein Mund öffnet sich zum stummen Schrei. Mehr wird er nicht mehr sehen. Im vollen Lauf springe ich ihn an. Meine Krallen, meine Reißzähne finden ihr Ziel. Ich schmecke das Blut in meinem Mund. Das Leben ist schön.


Kapitel II

„Mann, Mann, Mann! Was für eine riesige Schweinerei. Hey, Mike. Habt ihr da vorne schon fotografiert.“
„Ja, klar. Sind mit der Spusi fast fertig. Wann kommt die Pietät? Der müffelt schon ganz schön. Oder zumindest, was von ihm übrig ist.“ Grinsend geht der in einen weißen Schutzanzug gekleidete Beamte an Kommissar Burowski vorbei.
„Was für eine Riesenschweinerei!“

„Gibt’s hier keinen Golfwagen, der uns abholt?“ tönt die Stimme eines der Leichenbestatter, die den schweren Zinksarg durch den alten Versorgungstunnel tragen.
„Ihr hättet auch ein paar Plastiktüten mitbringen können. Die hätten gereicht. In der Zinkwanne könntet ihr zehn von der Sorte transportieren“, kann Mike sich nicht verkneifen. „Oh! Was ist denn mit dem passiert?“ will der andere Leichenbestatter wissen.
„Würde ich auch gerne wissen“, antwortet Burowski, „Sieht aus, als sei ihm Fleisch in großen Stücken herausgerissen worden.“ Der Kommissar zeigt mit der Hand um den Leichnam herum. „Blut ist kaum da. Nur verschmierte, angetrocknete Spuren. Sieht aus wie aufgeleckt!“

Die beiden von der Pietät stellen den Sarg neben den toten Körper. Beide ziehen sich Gummihandschuhe über und hieven ihn in die Wanne.
„Ins GMI mit ihm. Der wird obduziert“, ruft Mike den Leichenbestattern hinterher, als sie die sterblichen Überreste nach oben bringen.
„Ich mach auch Schluss, David. Ist ja immer noch mitten in der Nacht. Oder brauchst Du mich noch?“
„Nein, geh nur. Danke, dass Du noch geblieben bist. Die anderen sind ja schon seit 'ner Stunde weg. Ich denk' noch ein bisschen nach und geh dann auch.“, erwidert Burowski.
„OK. Dann bis morgen!“
„Leg mir bitte die Plomben noch raus, dass ich den Tunnel versiegeln kann.“
„Na klar!“

Als er Mike die letzten Stufen aus dem Tunnel gehen hört, schüttelt David Burowski ratlos den Kopf. In seinen vierzehn Jahren Mordkommission hatte er so etwas noch nicht erlebt. „Was für eine Riesenschweinerei! Was hast Du im Tunnel gewollt? Dein Auto hattest Du am anderen Ende der Stadt geparkt. Wie bist Du hier rein gekommen? Der Tunnel ist seit Jahren verschlossen gewesen. Wäre Dein Gestank nicht durch die Lüftungsschächte gedrungen, hätten wir dich nie gefunden.“.
Burowski schaltet seine Maglite an und greift nach dem Schalter für die Flutlampen, die üblicherweise an Tatorten von Kapitaldelikten aufgestellt werden. Der Tunnel wird in völlige Dunkelheit getaucht. Nur der Lichtkegel der Lampe erhellt den Tunnel und deutet die Treppe hoch zum Ausgang an. Burowski schüttelt ratlos seinen Kopf.
„Das wird wohl wieder so ein unaufgeklärter!“

Ich rieche seinen Schweiß. Ich spüre seinen Mut und zittere vor Aufregung. „Nicht nur ein unaufgeklärter“ spreche ich in seine Gedanken und renne auf ihn zu. Ich sehe wie er sich mit einem Ruck umdreht, doch da springe ich schon. Mit augerissenem Maul und gebleckten Hauern dem blendenden Lichtkegel entgegen.

Acht laute Schüsse hallen durch den Tunnel, dringen durch die Tore des Versorgungstunnels und verschwinden in der Nacht. Acht laute Schüsse. Das Letzte, das er im Leben vernehmen sollte. Und der Tunnel wurde wieder still. Totenstill.

5 Kommentare:

  1. Ahhh... wir versuchen uns in leichter Suspense-Unterhaltung!!!!
    Dann bin ich mal gespannt was die Spusi noch so zu Tage bringt:-))

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  2. Hui, sehr spannend. Ich hoffe das Monstster ist ein Werwolf.^^ Echt klasse!

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  3. Schön gruselig! Gibt's irgendwann eine Fortsetzung oder bleibt's bei der Kurzgeschichte?

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  4. Lieben Dank für Eure Kommentare.

    Ich muss zugeben, schon Sympathien für Burowski entwickelt zu haben, doch die Geschichte ist abgeschlossen.

    Ich möchte dem Leser durch eine Fortsetzung nicht nehmen, selbst in der Phantasie zu entscheiden, ob es Burowski oder das Monster, was immer es gewesen sein mag, ist, dem der letzte Absatz gilt.

    Vielleicht folgt aber ein anderer Kommissar in einer anderen Geschichte ;-)

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